Eine Jugi mit historischem Hintergrund

Eine Jugi mit historischem Hintergrund

Eine Jugi mit historischem Hintergrund

Das idyllisch in Leissigen am See gelegene Häuschen lässt auf den ersten Blick nicht vermuten, dass es als eine von über fünfzig Jugendherbergen in der Schweiz genutzt wird. 

Text & Fotos: Monica Schulthess Zettel

Ob Dr. Albert Wander jeweils am Morgen eine Ovomaltine getrunken hat, ist nicht überliefert. Aber die Weiterentwicklung des «Kraftnährmittels» seines Vaters, das im Jahr 1904 mit dem Namen Ovomaltine die Marktreife erlangte, ist bis heute erhalten geblieben. Und auch seine ehemalige Sommerresidenz in Leissigen am Thunersee ist der Nachwelt erhalten geblieben – in Form einer Jugendherberge. Diese spannende Geschichte wird im folgenden Abschnitt erzählt.


Wie aus dem «Vogelnest»  eine Jugendherberge entstand

Albert Wander war von Beruf Apotheker und Chemiker, und nachdem die Ovomaltine über die Schweizer Grenzen hinaus zu einem Exportschlager geworden war, konnte die Produktion gesteigert werden. Dem Patron waren nicht nur die Geschäftszahlen wichtig, er beschäftigte auch Leute, die sich um soziale Anliegen der Angestellten kümmerten. Auch gab es eine betriebliche Pensions-, Witwen- und Waisenkasse. Ferien verbrachte die Familie Wander unter anderem in ihrer Sommerresidenz in Leissigen, wo nebst dem Ferienhaus ein Personalhaus sowie ein Bootshaus errichtet wurden. Versehen wurde das Anwesen mit dem Namen «La Nichée», da es wie ein Nestchen zwischen Berg und See eingebettet ist, wie in der Wander- Personalzeitung von 1952 zu lesen ist. Nach dem Tod von Albert Wander und seiner Frau vermachten die Erben im Jahr 1952 das ganze Anwesen der betrieblichen Pen- sions-, Witwen- und Waisenkasse, damit die Angestellten sowie deren Angehörige in den Genuss von preisgünstigen Erholungs- ferien kamen. Als nach rund 40 Jahren die Nachfrage zurückging, wurden die Schweizerischen Jugendherbergen 1992 Besitzer dieser einmaligen Anlage. Knapp zehn Jahre später wurde das Anwesen an die Schweizerische Stiftung für Sozialtourismus überschrieben, die für Bau und Unterhalt der meisten Jugendherbergen in der Schweiz verantwortlich ist. 


Das Albert-Wander-Haus

Das Hauptgebäude – das Albert-Wander- Haus – wurde 1916 nahe des Seeufers gebaut. Das Haus verfügt über ein gemauertes Hochparterre, das auf einem Kellersockel liegt. Die beiden oberen Stockwerke sind aus Holz gebaut und das Satteldach prägt den Stil dieser einstigen Villa. An der Fassade sind verschiedenfarbige Verzierungen aufgemalt sowie unter anderem der übersetzte Spruch «Kleines Haus, grosse Ruhe». Über der kunstvoll geschnitzten Eingangstüre mit einer schmiedeeisernen Rosette und einem kreisrunden Glas dahinter findet sich ein schönes Gemälde mit zwei Engeln. Betritt man das Gebäude, so findet man gleich zur Rezeption, der wohl kleinsten aller Jugendherbergen in der Schweiz. Im danebenliegenden Speisesaal ist ein Cheminée eingebaut. Von hier gelangt man direkt auf die schattige Laube, die über zwei Seiten des Hauses verläuft und wo sich weitere Sitzmöglichkeiten befinden. Neben dem Speisesaal, welcher mit Tischen und Stühlen aus Holz bestückt ist, befindet sich der Aufenthaltsraum. Dominierend ist hier der grosse weisse Kachelofen mit blauen Zeichnungen. Der Ofen wird mit Holz befeuert und auf dessen Bänklein sitzend wärmen sich die Gäste bei kühlen Temperaturen. Da das ganze Haus nicht isoliert ist, ist diese Jugendherberge nur halbjährig im Sommer geöffnet. In diesem Raum gibt es auch eine Spielecke für Kinder und es ist eine kleine Bibliothek untergebracht. Wie der Speise- saal ist auch dieser Raum gegen den See ausgerichtet. Die eher kleine Küche befindet sich gleich daneben im polygonalen Anbau. In den beiden oberen Stockwerken befinden sich ingesamt acht Zimmer für die Gäste, sanitäre Anlagen, private Räumlichkeiten des Betreibers sowie kleine Lager- flächen für verschiedenes Material. Die gegen den See ausgerichteten Zimmer verfügen zusätzlich über einen Zugang zum Balkon.


Die Dépendance

Die Dépendance – das ehemalige Personalhaus – befindet sich am hinteren Ende der grossen Parkanlage. Hier stehen den Jugendherbergegästen ingesamt sechs Zimmer sowie eine kleine, schattige Terrasse zur Verfügung. 


Das Bootshaus

Das Bootshaus liegt direkt neben dem kleinen Kieselstrand beim See. Verschiedene Surfbretter sowie ein Ruderboot stehen den Gästen zur Verfügung, und eine bogenförmige Steinmauer schützt das kleine Holzhäuschen vor hohem Wellengang. Ein schönes Detail sind die grün gestrichenen Fensterläden aus Holz mit ausgeschnittenen Herzen.

Der Gartenpark

Besonders erwähnenswert ist der herrschaftliche Gartenpark mit wertvollem Baum- bestand. Am imposantesten ist die grosse Blutbuche am Seeufer, die seit 1979 unter Schutz steht, etwa 100 Lenze zählt und damit erst rund die Hälfte ihrer möglichen Lebensjahre erreicht hat. Wie in einer Mitteilung der Naturforschenden Gesellschaft in Bern aus dem Jahr 1980 zu lesen ist, erfolgte das Gesuch zur Unterschutzstellung auf Antrag der Eigentümerin, der Pensions-, Witwen- und Waisenkasse der Firma Wander AG in Bern, da es zu dieser Zeit in der Gemeinde Leissigen noch keine Baumschutzverordnung gab. In einem kleinen Gartenbeet im hinteren Teil des Parks werden Kräuter, Salat und etwas Gemüse angepflanzt, und je nach Saison können Äpfel, Pflaumen sowie Kirschen geerntet werden. Letztere werden vom Gastgeber zu Marmelade verarbeitet.

Im Garten gibt es viel zu entdecken – auch Kunstwerke –, und gerade die jungen Gäste haben viel Platz für Spiele, sei es zum Beispiel für Fussball oder einen Tischtennismatch, oder für eine Partie Schach. Aber auch viele Tiere finden hier wichtigen Lebensraum. Seien es Eidechsen, die sich bei Gefahr geschwinde zwischen den Steinen verstecken, oder Vögel, die von Ast zu Ast hüpfen und in den schönsten Tönen singen.

Die Renovationen

Das Albert-Wander-Haus ist bei der Denkmalpflege des Kantons Bern als «schützenswertes» Baudenkmal katalogisiert, was bedeutet, dass sich das Gebäude noch fast im Originalzustand befindet. Folgende Renovationen wurden gemäss den Schweizer Jugendherbergen in den vergangenen Jahren vorgenommen, wobei ordentliche Unterhaltsarbeiten nicht aufgeführt sind. Im Jahr 1997 wurde im Untergeschoss des Haupthauses eine Einliegerwohnung eingebaut. Sechs Jahre später wurden die Oberflächen in den Zimmern renoviert, die Nassräume grösstenteils totalsaniert sowie die Betriebsküche komplett erneuert, wobei sich der Lotteriefonds mit 160000 Schweizer Franken beteiligte. Im Jahr 2012 erfolgte die Restaura- tion des Kachelofens im Speisesaal. Im Jahr darauf wurden im Nebengebäude die Duschen und WCs totalsaniert und der Balkon im gleichen Gebäude ersetzt. Restaurations- und Malerarbeiten wurden im Jahr 2015 durchgeführt, indem historisch relevante Möbel aus der Gründerzeit, wie zum Beispiel die zwei Holzbetten mit farbigen Verzierungen, aufgefrischt wurden. Im gleichen Jahr wurden im Nebengebäude die Lavabos renoviert und mit wasserabweisenden Rückwänden versehen. In diesem Jahr musste der nach Süden ausgerichtete Balkon beim Haupthaus ersetzt werden, und in Planung sind Malerarbeiten an der Fassade. Vorgesehen ist zudem die Optimierung und Instandsetzung der Spielanlage, da viele Familien hier ihre Sommerferien verbringen.

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