Der Thunerhof: Fenster in die Vergangenheit

Der Thunerhof: Fenster in die Vergangenheit

Der Thunerhof: Fenster in die Vergangenheit

In den 1870er-Jahren entstand mit dem Grandhotel Thunerhof ein eindrückliches Bauwerk, das bis heute die Erscheinung der nördlichen Aareseite von Thun prägt. Aus wirtschaftlicher Sicht war das Hotel aber eher ein Misserfolg, und während dessen bewegter Geschichte musste die Stadt Thun mehrmals unterstützend eingreifen. Nach Renovierungsarbeiten erinnert der heutige Sitz der Stadtverwaltung und des Kunstmuseums nun wieder an die Zeiten der Belle Époque.

Text: David Heinen  |  Fotos: David Heinen, zvg

Das Hofstettenquartier kann als eine der Wiegen des Thuner Tourismus bezeichnet werden. Bereits in den 1830er-Jahren begann mit dem «Du Parc» und dem «Bellevue» die dortige Hotelbautätigkeit. Weiter ist das 1905 erbaute Hotel Beau Rivage zu nennen. Auch das Hotel Baumgarten Victoria befand sich auf der sonnigen Seite des Aarebeckens nicht weit entfernt vom Quartier. Der vielleicht eindrucksvollste Bau war und ist aber der Thunerhof. So ist der Blick vom gegenüberliegenden Ufer auf das ehemalige Grandhotel, die Obere Schleuse im Augenwinkel, einer der schönsten der ganzen Stadt.

Der Thunerhof geht zurück auf die Pläne des bedeutenden Berner Architekten Paul Adolphe Tièche. An der ETH in Zürich war er ein Schüler Gottfried Sempers, eines der wichtigsten Architekten des Historismus, der einen grossen Einfluss auf Tièches Schaffen ausübte. Diverse öffentliche und private Bauten in der ganzen Schweiz gehen auf Tièche zurück, so die Kantonalen Militäranstalten auf dem Berner Beundenfeld , die Villa auf dem Landsitz Eichbühl in Hilterfingen, und auch am Bernischen Historischen Museum war er beteiligt.

Vom Grandhotel zu profaneren Aufgaben

Der Bau des Thunerhofs war ein genuines Grossprojekt und brachte die verantwortliche Baugesellschaft bis an ihre finanzielle Grenze und darüber hinaus. Tièche lieferte den ThunerInnen einen kühnen Bauplan, der in seiner Modernität etwas Städtisches hatte – einige hätten sich wohl lieber an ein Chalet erinnert gefühlt. Im Stile des Historismus lehnt sich der Bau an den Formen der Renaissance an, die Linienführung ist eher nüchtern, und die Aussenansicht wird dominiert durch den imposanten Eckturm. Im Innenausbau besticht das Gebäude durch einen eindrücklichen Lichthof mit Glasoberlicht, einer dreistöckigen Treppenhalle mit römisch anmutenden Säulen sowie umlaufenden Galerien. Der Thunerhof konnte zudem den vielleicht ersten ­hydraulischen Lift des ganzen Kantons Bern vorweisen. 

Als das Hotel im Jahr 1875 nach rund zweijähriger Bautätigkeit fertiggestellt wurde, hatte das Projekt mit Kosten von 2,15 Millionen Franken das ursprüngliche Budget von 1,4 Millionen deutlich überschritten. Dies war wohl auch der Grund dafür, dass die Innengestaltung äusserst schlicht gehalten wurde. Braun in braun präsentierte sich das Hotel, auf aufwendige Dekorationen, Malereien und Ornamente wurde verzichtet. Ähnlich schmucklos war auch die wirtschaftliche Lage in den ersten Jahren nach der Eröffnung. Obwohl Service und Verpflegung allgemein gelobt wurden, galt der Thunerhof als zu teuer und erlangte weder bei schweizerischen noch bei internationalen Reisenden grosse Bekanntheit. Bereits 1878 musste aufgrund der desolaten finanziellen Lage die Einwohnergemeinde der Stadt Thun den Komplex übernehmen. Erst im Jahr 1895 konnte der Thunerhof an die neu gegründete Aktiengesellschaft Hotels Thunerhof und Bellevue Thun verkauft werden – fast 20 Jahre war also die Stadt Thun Hotelbesitzerin. Die Innengestaltung wurde erneuert, und so stammen eben diese schönen Verzierungen und Malereien, die nun wieder bestaunt werden können, aus jenem beziehungsweise dem darauffolgenden Jahr. Nun begannen die eigentlichen Glanzjahre des Grandhotels Thunerhof. Allerdings dauerte die prosperierende Phase nicht lange an; mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam die Tourismusbranche europaweit zum Erliegen, und für die Thuner Hotels brach eine desaströse Zeit an. In einigen Saisons blieben die Tore des Thunerhofs sogar ganz geschlossen; der Zweite Weltkrieg bedeutete dann das endgültige Ende des Hotelbetriebs im Thunerhof. Schliesslich übernahm aufs Neue die Stadt Thun die Liegenschaft und quartierte einen Teil der Verwaltung dort ein. Seit Beginn der 1940er-Jahre gab es Bestrebungen, das gesammelte Kulturgut der Stadt Thun an einem passenden Ausstellungsort zu präsentieren. Dies wurde im Thunerhof ermöglicht, und seit 1948 ist im Erdgeschoss zusätzlich das Kunstmuseum Thun beheimatet.

Mit dem Skalpell der alten Pracht auf der Spur

Wurde vorhin geschrieben, dass sich der Thunerhof nach der Eröffnung 1875 schmucklos braun in braun präsentierte, so war der Anblick vor den umfassenden Restaurierungen der letzten Jahre mindestens ebenso trist; nach diversen Umgestaltungen im Laufe des 20. Jahrhunderts kam der Thunerhof in schlichtem Hellgrau daher. Einzig die Deckenmalereien im Foyer hatten noch ihr originales Erscheinungsbild; wahrscheinlich wurden diese aus Kostengründen in keiner der Renovierungsphasen übermalt. Als die Idee, dem Thunerhof sein früheres Antlitz wiederzugeben, in der Stadtverwaltung aufkam, stellte sich naturgemäss die Frage: Wie hat das Gebäude überhaupt früher ausgesehen? In den Stadtarchiven, insbesondere aber im Archiv von Markus Krebser, konnten glücklicherweise alte Fotografien ausfindig gemacht werden, an denen sich die Restaurierungsarbeiten orientieren konnten. Weiter kämpften sich die RestauratorInnen in detaillierter Kleinarbeit mit dem Skalpell durch teilweise bis zu neun Farbschichten, um die Malereien und Dekorationen von 1896 freizulegen beziehungsweise um sich einen Eindruck der ursprünglichen Gestaltung zu verschaffen. Stellenweise wurden die Malereien freigelegt, oftmals aber aus Kostengründen originalgetreu rekonstruiert. Die beiden Eingangsbereiche wurden bereits vor einigen Jahren restau­riert – nach eingehender Recherche stellte sich heraus, dass der Dekorationsmaler Max Poser für die schönen Groteskenmalereien verantwortlich war. In den Kartuschen findet man vorwiegend idealisierte Landschaften. Man widmete sich in der aktuellen Restaurierungsphase hauptsächlich dem Erdgeschoss – dort zeigen sich die Wand- und Säulenbemalungen nun wieder in ihrer ursprünglichen Form. Eigentlich sind die Malereien auf allen Geschossen, unter vielen Farbschichten verdeckt, noch vorhanden. Die Restaurierung des gesamten Gebäudes wäre aber im Moment ein zu teures Unterfangen. Jedoch wurden an einigen Stellen kleine rechteckige Aussparungen erstellt, sodass die originalen Malereien bestaunt werden können. Damit hat man gewissermassen Fenster installiert, durch die ein Blick in die Vergangenheit möglich wird. Dies zeigt, dass eine zukünftige weiterführende Restaurierung durchaus eine Option sein könnte.

Wenn man nun in den restaurierten Thunerhof eintritt, ist der Eindruck überwältigend – sofort fühlt man sich zurückversetzt in die Zeit der Belle Époque. Leider eilt einem heutzutage kein Page entgegen, der das Gepäck empfängt. Allerdings ist man bei einem Besuch des Museums oder der Stadtverwaltung kaum so schwer bepackt wie die Hotelgäste vor über 100 Jahren. Betritt man über die kurze Treppe den Lichthof, lässt man automatisch den Blick über die Galerien, den Säulen entlang, in die Höhe schweifen und bestaunt die schönen Glasmalereien an der Decke. Gut kann man sich die vornehmen Damen und Herren vorstellen, wie sie in der Hotellobby sassen und sich über ihre Geschäfte austauschten. Es lohnt sich also wirklich, den Thunerhof zu besuchen und damit einen kleinen Ausflug in die spannende Geschichte der Stadt Thun zu unternehmen.

Nach eingehender Recherche stellte sich heraus, dass der Dekorations­maler Max Poser für die schönen Groteskenmalereien verantwortlich war. 

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