Ein Boutique-Hotel zum Wohlfühlen
Ein Boutique-Hotel zum Wohlfühlen
Aus einem Speditionsgebäude, wo einst Käselaibe zwischenlagerten, ist ein schmuckes, urbanes Hotel entstanden, das einzigartige Momente erleben lässt.
Text: Monica Schulthess Zettel | Fotos: Monica Schulthess Zettel, zvg
Im Jahr 1956 zieht die Gerberkäse AG in das ehemalige Samen-Schweizer-Haus an der Gewerbestrasse in Thun, das bis zu diesem Zeitpunkt von der Firma Jenni Futtermittel und Brennstoffe genutzt wurde. Nebst dem Gerber-Fondue gehören die Gerber-Käsli in den charakteristischen Rundschachteli zu den bekanntesten Produkten des Unternehmens. In besagtem Gebäude werden Käse zwischengelagert sowie Produkte zur Auslieferung fertiggestellt. In unmittelbarer Nähe befindet sich zudem das Administrationsgebäude. Doch wie so viele Geschichten geht auch diese zu Ende: Im Jahr 2002 erlangt der Luzerner Milchkonzern Emmi die Aktienmehrheit der Gerberkäse AG, vier Jahre später wird die Produktion in Thun ausgelagert. Und damit beginnt eine neue Geschichte, denn das ganze Areal erhält in den kommenden Jahren ein neues Gesicht. Neu- bauten mit viel Glas, hervorstehende Balkone und farbige Fensterrahmen, aber auch locker verteilte Betonelemente, die zum Sitzen und Verweilen einladen. Es entstehen Wohnungen, Büroräume wie auch Ladenlokale, und dies in unmittelbarer Nähe zum Bälliz, Thuns Einkaufsmeile. Und aus dem ehemaligen, ca. 130-jährigen Speditionsgebäude entsteht ein schmuckes Hotel.
Die Vorderseite des Gebäudes mit Terrasse und seitlichem Eingang links hinten.
Die sich im Schatten befindende Rückseite des Gebäudes mit Eingang (ca. 1956 fotografiert).
Der Hoteleingang
Der Haupteingang befindet sich auf der Seite, wo Bäume dem Gebäude einen ländlichen Charme vermitteln. Die an der Aussenmauer angebrachte Stuckatur mit den zwei Kindern ist Original und diente zudem als Vorlage für das Logo des Drei-Sterne- Superior-Hotels. Über ein paar Stufen gelangt man durch eine alte Holztüre ins Innere des Hauses. Während man sich von vielen Hotels gewohnt ist, direkt vor einer Empfangstheke zu stehen, befindet man sich bereits im Treppenhaus, nur zwei, drei Schritte vom Restaurantbereich entfernt.
Das Gestaltungskonzept
Für den Innenausbau wurde die schwedische Firma Stylt Trampoli beauftragt, die vom Gründer und Creative Director Erik Nissen Johansen geleitet wird. Und dies so erfolgreich, dass das Unternehmen heutzutage in ganz Europa für das Erscheinungsbild von verschiedenen Hotels und Restaurants hinzugezogen und mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet wird. Das Hotel Spedition ist das erste Projekt in der Schweiz, weitere werden folgen.
Stylt Trampoli will keine «nett» aussehenden Räume für Hoteliers und Gastronomen schaffen, sondern unvergessliche Momente für die Gäste. Momente, die in Erinnerung bleiben und an deren Ort des Geschehens man gerne zurückkehrt. Dafür nutzen die Innenarchitekten das Storytelling, das Geschichtenerzählen. Durch die Vorgeschichte des Hauses wurde die Idee der Spedition wieder aufgegriffen. Der Spediteur geht mit seinen Produkten in die Welt hinaus, verkauft seine Ware, und beim Nachhausekommen bringt er kleine Erinnerungen mit. Ein paar Ansichtskarten, einen Kristall, ein altes Holzpferd…
Nach dieser Idee wurde das Haus umgebaut und eingerichtet, wobei als Vorteil zu sehen ist, dass durch die Vorgeschichte gar keine Innenwände vorhanden waren, sodass man bei der Raumeinteilung ziemlich frei war. Da das Gebäude unter Denkmalschutz steht, gab es jedoch das eine oder andere zu beachten, und es durften keine weiteren Fenster gebaut werden.
Es herrschen dunkle Farben vor, die Erdtöne verschaffen die Atmospäre einer Wohlfühloase, wo man gerne verweilt. Mitarbeitende von Stylt Trampoli haben für die Dekoration aus aller Welt Gegenstände nach Thun gebracht. Altes Spielzeug, vergoldete Spiegel, stoffbezogene Knöpfe und hölzerne Fadenspulen, Bahntickets und vie-
les mehr. Nichts ist dem Zufall überlassen. Selbst um das Besteck und die von Hand bemalten Teller haben sich die Skandinavier gekümmert.
Die Restaurants mit Bar, Terrasse und Privat Dining
Das Daily-Tagesrestaurant bietet nebst dem Frühstück Fleischgerichte sowie vegetarische und vegane Menüs zur Mittagszeit an, während im Spedition-Abendrestaurant zusätzlich Fisch, im Hause gereiftes Fleisch sowie traditionelle Schweizer Gerichte angeboten werden. Die Räumlichkeiten sind edel gehalten, mit Holz und Metall, gepolsterten Stühlen und Bänken, die an Diwans erinnern. Zudem gibt es ein kleines Séparée für maximal sechs Personen, das durch schwere Vorhänge abgetrennt werden kann. Zwischen dem Restaurant und der Bar liegt die offen gehaltene Küche, sodass die Gäste auf Wunsch direkt bei der Entstehung ihrer Gerichte zusehen können. Im vorderen Teil befinden sich weitere Tische sowie die Bar, die ein richtiger Blickfang ist. Die Gläser hängen an eisernen Schränken, die an der Decke montiert sind und Platz für viel Hochprozentiges aus aller Welt bieten. Nebst der Kaffeemaschine drängen sich zwei Kühlschränke in das Sichtfeld des Betrachters. Es handelt sich jedoch um Reifeschränke, sodass man weder Softgetränke noch Bier darin vorfindet, sondern Fleisch, Würste und Käse. Und auch ein alter Hacktisch darf nicht fehlen. Und während hier abends Gäste wie Publikum aus der Stadt Thun den Abend ausklingen lassen, wird hier morgens das Frühstücksbuffet aufgetischt.
Private Dining wird im Untergeschoss angeboten, wo sich nebst dem Weinkeller ein Kochstudio befindet. Hier können private Anlässe wie auch Firmenevents durchgeführt werden, wobei bis zu 28 Gäste Platz finden. Durch die Küche, die sich im gleichen Raum befindet, kann als Highlight «Private Dining» gebucht werden: Dem weit über Thun hinaus bekannten Koch Adrian Tschanz kann hier sprichwörtlich über die Schulter geschaut werden, wenn er auf seine witzige, charmante Art kulinarische Köstlichkeiten kreiert.
Im ganzen Haus stösst man auf Kleinigkeiten, die Erinnerungen an die Kindheit, an Reisen und anderes mehr aufkommen lassen.
Die Hotelzimmer
Jedes der 15 Zimmer ist individuell eingerichtet. Das aus fünf Farben definierte Konzept wird konseqent durch alle Räumlichkeiten durchgezogen. Die Zimmer strahlen durch die Kombination von Holz, Baumwolle und Leinen viel Gemütlichkeit aus. Im Mittelpunkt stehen behagliche Boxspringbetten. Nachttischchen, ein Sekretär zum Schreiben von Briefen oder SMS, gemütliche Sessel und ein grosser Spiegel, der auf dem Boden stehend an die Wand gelehnt ist, runden das Gesamtbild ab. Obwohl modern wirkend, erinnert das Ambiente an frühere Zeiten, ohne dass auf neuzeitlichen Komfort wie Klimaanlage und Luftreinigung verzichtet wird.
Das Treppenhaus
Während beim Neubau ein Lift eingebaut wurde, ist die Begehung der drei Etagen weiterhin über Treppen möglich. Der Gestaltung und Ausarbeitung des Treppenhauses wurde viel Beachtung geschenkt. Tapeten mit Waldmotiv ziehen sich über die Etagen. Die Nebelstimmung im Wald wird durch wenig Beleuchtung und einen farblich abgestimmten Teppich, der über die einzelnen Stufen wie auch die Zwischenböden ausgelegt ist, unterstrichen. Die in Schwarz gehaltenen Geländer aus Metall unterstreichen wiederum den Speditionscharakter. Und es finden sich auch hier immer wieder kleine Details wie Reisekoffer oder ein hölzernes Nachttischchen mit einer kleinen Lampe darauf.
Speziell und ein weiteres Tüpfchen auf dem i ist die Bibliothèque Erotique, die auf einer schmalen Zwischenetage unter der Dachschräge untergebracht ist. Gemütlich in einem Sessel sitzend, kann sich der Gast – zum Beispiel kurz vor dem Zu-Bett-Gehen – durch französischsprachige Bücher mit erotischem Inhalt lesen. Sozusagen ein «Bettmümpfeli» der besonderen Art.
Kurioses wie Altes fügt sich ins Ambiente ein und lässt die Gedanken auf Reisen gehen.