Das «Turmhaus» –  ein Geschenk der Grafenfamilie

Das «Turmhaus» – ein Geschenk der Grafenfamilie

Das «Turmhaus» – ein Geschenk der Grafenfamilie

Das Gebäude im Stil eines toskanischen Landhauses in Oberhofen wurde 1863 als kleines Krankenhaus erbaut. 1919 ging es als Schenkung in den Besitz der Gemeinde über. Erhalt und Betrieb des geschützten Gebäudes sind aber nicht ganz ohne.

Text und Fotos: Beat Straubhaar

Touristen staunen nicht nur über die Palmen am rechten Thunerseeufer, auch der Blick vom Thunerseeschiff auf die Promenade Oberhofens lässt viele sich in südlicheren Gefilden wähnen. Im Gebiet Schoren, westlich des Schlosses und direkt am See, steht ein pittoresker Putzbau im Stil eines toskanischen Landhauses. In visueller Wahrnehmung der Architektur ist die umgangssprachliche Bezeichnung «Turmhaus» sicher nachvollziehbar, sagt jedoch wenig bis nichts aus über die ursprüngliche Zweckbestimmung des Gebäudes. Aufschlussreich sind deshalb die Erläuterungen des Oberhofner Architekten, Lokalhistorikers und Kulturpreisträgers Wolfgang R. Hauzenberger Clare: «Gebaut wurde das ‹Turmhaus› 1862/63 als kleines Krankenhaus im Auftrag der Gräfin Anna von Pourtalès (1827–1892) vom Schloss Oberhofen. 1863 eingetragen im Grundbuch als ‹Krankenhausbesitzung›, wurde das Haus fortan unter der offiziellen Namensbezeichnung ‹Pourtalès-Spital› geführt. Acht bis zehn Kranke konnten in den hellen und luftigen Räumen Aufnahme finden, umsorgt von den zwei Oberhofner Krankenschwestern, die Albert Alexander Graf von Pourtalès auf seine Kosten nach Düsseldorf schickte, wo sie in der Kaiserwerter-Diakonie zu kompetenten Krankenpflegerinnen ausgebildet wurden.» Die Grafenfamilie baute nicht nur das Krankenhaus, sie war auch dafür besorgt, dass die damals recht zahlreichen armen und bedürftigen Menschen von Oberhofen und Hilterfingen im «Pourtalès-Spital» unentgeltlich ärztlich versorgt wurden und an bestimmten Wochentagen gratis die Sprechstunden besuchen konnten.

Die Grafenfamilie als Wohltäter

Nach dem unerwartet frühen Tod von Graf Alexander im Alter von 49 Jahren war es seine Witwe, Gräfin Anna von Pourtalès geb. Bethmann-Hohllweg (1827–1892), die das humanitäre Wirken ihres verstorbenen Ehemannes mit grosser Hingabe weiterführte. Ganz im Sinne Graf Alexanders wirkte Gräfin Anna bis an ihr Lebensende in Oberhofen als grosszügige Wohltäterin. Gemäss dem Wunsch ihres Ehemannes liess sie 1862/63 das «Hospital» bauen, richtete nachträglich im Erdgeschoss eine Kleinkinderschule ein, wo auch christliche Versammlungen stattfinden konnten, und sorgte dafür, dass auf der Ostseite des Hospitals ein lauschiger Garten und ein Kinderspielplatz hergerichtet wurden.

Immer dann, wenn die reisefreudige Grafenfamilie an Weihnachten in Oberhofen anwesend war, wurden die Oberhofner Kinder, Einsame und Verarmte ins Schloss eingeladen, wo gemeinsam bei Speis und Trank das Christfest gefeiert wurde und sich die kleinen und grossen Gäste über die Geschenke der adeligen Herrschaften freuen konnten. Aber nicht nur an Weihnachten, sondern über das ganze Jahr war es der Grafenfamilie ein Anliegen, darüber informiert zu sein, wo helfend eingeschritten werden musste. 

Grosszügige Schenkung 

Nach dem Tod von Gräfin Anna 1892 erbte ihre Tochter Gräfin Helene (1849–1940) Schloss Oberhofen. Die sehr beliebte Gräfin Helene war mit dem begüterten schlesischen Maler und Husarenoffizier Ferdinand Graf Harrach (1832–1915) verheiratet. Das Hochzeitsfest fand in Oberhofen unter grosser Anteilnahme der einheimischen Bevölkerung statt. 

Sechs Jahre bevor sich die Grafenfamilie entschliessen musste, sich wegen der Nachkriegsinflation von Schloss Oberhofen zu trennen, schenkte Helene Gräfin Harrach 1919 das «Pourtalès-Spital» und den ganzen dazugehörigen Grundbesitz der Einwohnergemeinde Oberhofen.

In der Schenkungsurkunde ist im Wesentlichen festgehalten, dass die Einwohnergemeinde die Pfandschuld von Franken 30000.– zugunsten der Amtsersparniskasse Thun übernimmt und dass auf der Krankenhausliegenschaft weder Hotels noch Wirtschaften noch lärmende oder übelriechende Gewerbe irgendeiner Art erstellt oder betrieben werden dürfen. Dokumentiert sind auch die Wünsche der Gräfin Helene betreffend die Verwendung von Ertragsüberschüssen: Anstellung einer Gemeindeschwester zur Pflege der bedürftigen Kranken in Oberhofen und Hilterfingen, Weiterführung der Kleinkinderschule und, wenn möglich, der Unterhalt eines Versammlungsraumes zu christlichen und gemeinnützigen Zwecken. Diesen Anliegen konnte allerdings nicht sehr lange stattgegeben werden: Die Kleinkinderschule wurde noch vor Mitte des 20. Jahrhunderts ins Dorf verlegt und an den Versammlungsraum erinnert nur noch die manuell bedienbare Glocke im Eckturm. 

In der Schenkungsurkunde ist explizit festgeschrieben, dass die Einwohnergemeinde Oberhofen berechtigt ist, die Krankenhausbesitzung zu verkaufen, «gegen Ablieferung des Wertes des Schenkungsobjektes oder des dafür erzielten Erlöses an die Schenkerin oder an deren Erben». 

Die in der Öffentlichkeit weitverbreitete Meinung, dass im «Pourtalès-Spital» immer ein Arzt mit Praxis wirken und wenn möglich auch dort wohnen soll, ist im Schenkungsvertrag nicht dokumentiert. Es war vielmehr der Gemeinderat Oberhofen, der sich diese moralische und dauernde Verpflichtung auferlegte, dies in Würdigung und im Andenken an die grosszügige Stifterin. Bis ins Jahr 2015 war es möglich, dieses Versprechen aufrechtzuerhalten, jetzt steht die Arztpraxis leer. Zurzeit bewohnt sind noch das Obergeschoss und das Dachgeschoss als Maisonnette-Familienwohnung. 

Historisch wertvoll

Erstmals gründlicher saniert wurde das Gebäude 1965. Renoviert wurden vor allem die Innenräume und Installationen. An der Aussenhaut wurden nur die zwingend notwendigen Reparaturen ausgeführt, aus denkmalpflegerischer Sicht nicht in allen Teilen befriedigend. Viel aufwändiger war die Totalsanierung 1993. Sowohl in der Planungs- als auch in der Ausführungsphase wurde eng mit der Kantonalen Denkmalpflege zusammengearbeitet. Die beauftragten Architekten erarbeiteten ein Restaurierungskonzept, das praktisch alle Arbeitsgattungen betraf. Das Dachgeschoss (Estrich) wurde funktionell der Wohnung im Obergeschoss angegliedert. Anstelle der zwei bestehenden kleinen Mansarden wurden ein Zimmer mit Vorraum und eine Nasszelle mit Dusche und WC eingebaut, belichtet und belüftet mit zwei kleinen Dachflächenfenstern und zwei Rundbogenlauben, die sich harmonisch in die Dachfläche integrieren. Total erneuert wurde das Dach mit einer wirk- samen Wärmeisolation und eingedeckt mit neuen roten Muldenziegeln. Ersetzt wurden auch sämtliche Spenglerarbeiten, ausgeführt in Kupfer und Kupfer-Titan-Blech, defekte Sandsteingesimse und Gewände wurden sorgfältig restauriert oder, wo nötig, originalgetreu neu hergestellt. In marodem Zustand war die Veranda im Obergeschoss, sie musste von Grund auf neu erstellt werden. Notwendig war auch die teilweise Erneuerung der Elektro-, Heizungs- und Sanitäranlage. Montiert wurden ein neuer Wär- meerzeuger und Wassererwärmer und verschiedene Sanitärapparate. Mehrheitlich er- setzt werden mussten auch die Fenster und Fenstertüren. Mit erheblichem Aufwand ge- lang es, das Wahrzeichen des Gebäudes, den Eckturm, dem der Zahn der Zeit besonders zugesetzt hatte, zu restaurieren. Das stark beschädigte Bruchsteinmauerwerk musste fast flächendeckend neu ausgemörtelt und die abgewitterten Sandsteinbauteile neu hergestellt werden. Keine besonderen Restaurierungsmassnahmen waren im Glockenstuhl nötig, er präsentiert sich noch heute im Originalzustand. Sämtliche äusseren Malerarbeiten wurden nach Originalfarbbefunden von 1863 oder nach Vorgaben der Kantonalen Denkmalpflege ausgeführt.

Der Glockenstuhl  präsentiert sich noch heute  im Originalzustand.

Erneute Sanierung steht an

Heute, 22 Jahre nach der letzten Restaurierung, wird sich der Gemeinderat von Oberhofen demnächst mit der Frage befassen müssen, wie das «Turmhaus» in Zukunft genutzt wer- den soll. Thema dürfte sein, ob es möglich ist, das «Pourtalès- Spital» wieder mit einer Arztpraxis zu beleben, oder ob das «Turmhaus» nur noch als Wohnhaus genutzt werden soll. Zahlreiche Ärzte entscheiden sich heute, nicht zuletzt auch aus Kostengründen, in Gemeinschaftspraxen zu arbeiten. Für eine Gemeinschaftspraxis dürfte das «Turmhaus» allerdings flächenmässig eher zu knapp sein. Das fast hundertjährige moralische Versprechen des damaligen Gemeinderates, dass immer ein Arzt im «Pourtalès-Spital» wirken soll, kann also möglicherweise nicht mehr gehalten werden. Wie auch immer das historisch wertvolle Gebäude an prominentester Lage am See in Zukunft genutzt wird, eines steht fest: Es muss wieder erheblich investiert werden. «Keine Option dürfte sein, die Liegenschaft zu verkaufen», ist Hauzenberger überzeugt.

  Detailreiches Treppengeländer im Obergeschoss.

  Das Dachgeschoss wurde ausgebaut und der Wohnung im Obergeschoss angegliedert. 

Das Schloss Oberhofen präsentiert sich durch die Pergola im Garten.

Der direkte Abgang vom Erdgeschoss in den Garten wurde für die Kleinkinderschule erstellt.

Originaldetail am Brunnen.


  Grosszügiger Wohnraum mit Cheminée im Obergeschoss.

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