Wo früher Königinnen und Kaiser logierten

Wo früher Königinnen und Kaiser logierten

Wo früher Königinnen und Kaiser logierten

Im Thuner Hofstettenquartier befindet sich eines der schönsten Bauwerke der Stadt. Das «Bellevue» gehörte im 19. Jahrhundert zu den modernsten Hotels der Schweiz und war von grosser Bedeutung für den aufstrebenden Tourismus im Raum Thun. Während seiner reichhaltigen Geschichte war das Gebäude Unterkunft für Persönlichkeiten von Weltruhm und inzwischen beherbergen die Räumlichkeiten eine Altersresidenz der Tertianum AG.

Text: David Heinen  |  Fotos: zvg

Am Anfang stand die Familie Knechtenhofer. Bis heute begegnet einem der Name an der einen oder anderen Stelle rund um Thun. Anfang des 17. Jahrhunderts erwarb der erste Angehörige der Familie das Thuner Burgerrecht. Die Gründung des «Bellevue» am Göttibachweg geht zurück auf den unternehmerischen Pioniergeist der drei Brüder Johannes, Johann Jakob und Johann Friedrich Knechtenhofer. Ihr Vater, Jakob Wilhelm Knechtenhofer, hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts mehrere Grundstücke in Hofstetten übernommen. Die Söhne führten in Sumiswald einen erfolgreichen Leinwandhandel und machten sich in den frühen 1830er-Jahren daran, in Hofstetten eines der modernsten Hotels der Schweiz zu errichten. Im Jahr 1834 wurde schliesslich das Hotel «Des Bains de Bellevue» feierlich in Betrieb genommen. Das Hotel erfreute sich derart grosser Beliebtheit, dass die Räumlichkeiten bald nicht mehr ausreichten, um die Schar an Touristinnen und Touristen unterzubringen. Entsprechend machten sich die Gebrüder Knechtenhofer daran, dieses Kapazitätsproblem zu lösen, und gaben den Bau eines weiteren Hotelgebäudes in Auftrag. Das neue Hotel konnte im Jahr 1840 bezogen werden und erhielt den Namen «Bellevue». Das sechs Jahre ältere Bauwerk, der heutige Sitz der Berntorschule, wurde dagegen in «Du Parc» umbenannt. Das «Bellevue» wurde im damals weit verbreiteten Architekturstil des Klassizismus erbaut. Angelehnt an den Baustil der klassischen griechisch-römischen Epoche wurde eine klare und geradlinige Gestaltung bevorzugt; im Gegensatz zum Stil des Barocks mit seinen pompösen, verschnörkelten Bauwerken. 


Die Welt kommt nach Thun

Das «Bellevue» kann einige illustre Einträge im Gästebuch vorweisen. Von König Wilhelm von Preussen über den berühmten deutschen Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy bis hin zum vielleicht bekanntesten Millionär seiner Zeit, dem Baron Rothschild, logierten im 19. Jahrhundert diverse bedeutende Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Gewerbe im «Bellevue». Der Name mit der wohl grössten Strahlkraft ist allerdings derjenige von Kaiser Napoleon III. Bereits in den 1830er-Jahren – also noch im «Du Parc» – war er erstmals zu Gast. Es kamen noch einige weitere Besuche in den folgenden Jahren dazu. Dass sich dermassen vornehme Gäste im «Bellevue» einquartierten, hatte einen grossen Anteil daran, dass sich das Hotel den Ruf als eines der besten Häuser der Schweiz erarbeiten konnte. Die Gebrüder Knechtenhofer waren nicht nur für die Hotellerie im Raum Thun von grosser Bedeutung, sondern der Fremdenverkehr generell profitierte von ihrem Erfindungsgeist. So geht es auf ihre Initiative zurück, dass bis heute auf dem Thunersee Dampfschiffe umher tuckern. Die Jungfernfahrt der «DS Bellevue» erfolgte im Jahr 1835 und Johannes Knechtenhofer fungierte selbst als erster Kapitän.


Vor allem die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war für den Tourismus in der gesamten Schweiz eine wahre Blütezeit. Diese Hochphase nahm aber mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges ein abruptes Ende. Hierbei bildet auch das «Bellevue» keine Ausnahme. Der Betrieb konnte zwar über die Kriegsjahre und die Zwischenkriegsjahre hinweg aufrechterhalten werden, doch in den 1940er-Jahren übernahm schliesslich die Stadt Thun den ganzen Komplex rund ums «Bellevue». Dieses wurde noch fast vier Jahrzehnte weiter als Hotel betrieben. Doch der bauliche Zustand wurde immer schlechter, sodass im Jahr 1980 der Hotelbetrieb endgültig eingestellt werden musste. Danach folgten verschiedene Zwischennutzungen, bis nach einer umfassenden Renovation die Altersresidenz Bellevue-Park ab 2004 die Gebäude wieder mit Leben füllte.


Der lange Weg vom Hotel zur Altersresidenz 

Das heutige Gesicht des «Bellevue» ist nicht nur das Ergebnis der grossen Umbauten zu Beginn dieses Jahrtausends, sondern das Gebäude wurde während seiner umfangreichen Geschichte stetig erweitert und ergänzt. Neben dem «Bellevue» kann man auch heute noch den sogenannten Salon de Réunion bestaunen. Der schöne Holzbau entstand in den 1850er-Jahren und war ursprünglich als Speisesaal für die warmen Sommermonate gedacht. Heute nutzt Tertianum den eindrücklichen Saal für verschiedenste, teilweise auch öffentliche Anlässe. Im Jahr 1880 wurde zudem ein zusätzlicher Speisesaal an das Hotel angebaut. Heute können in dem schmucken Saal die Gäste des Restaurants Brasserie du Parc dinieren. Ende der 1860er-Jahre wurde das Hauptgebäude des «Bellevue» noch einmal grossflächig umgebaut: Das Hotel wurde um ein Stockwerk erhöht und auch in die Breite erweitert. Um 1890 wurde schliesslich die Veranda gebaut und Anfang des 20. Jahrhunderts mit den immer noch erhaltenen, schönen Jugendstilfenstern bestückt.

Im Sommer des Jahres 2000 wurde dann mit dem Umbau begonnen, der dem heutigen Gebäudekomplex seine Gestalt gab. Eine Herausforderung für die Gesamtanlage war, dass viel neues Bauvolumen in das Areal integriert werden musste. Dabei sollten die historischen Anlagen nicht durch die Neubauten erschlagen werden. Dies wurde unter anderem dadurch erreicht, dass als Verbindungsglied zwischen dem ehemaligen Hotel und der neuen Pflegeabteilung eine circa sechs Meter breite Glasfuge gebaut wurde. Darin befindet sich sozusagen der Wirtschaftsteil der Anlage, also beispielsweise die Rezeption und die Grossküche. Die daran anschliessende Pflegeabteilung wurde bewusst niedrig gehalten, um dem historischen Teil nicht die Show zu stehlen. Aus demselben Grund wurden die drei höheren, neuen Apartmenthäuser am Rand des Areals gebaut. Das alte Hotelgebäude wurde saniert, der historische Charakter dabei aber bewahrt. Dieser Übergang von alt zu neu ist überaus gelungen und spannend anzusehen, da nicht versucht wurde, etwas auf alt zu trimmen, sondern vielmehr ein Brückenschlag zwischen unterschiedlichen Zeitaltern gestaltet wurde. So scheinen die versetzten Apartmenthäuser auf den ersten Blick getrennt vom Hauptgebäude zu sein, doch bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass alle Bauten durch Gänge miteinander verbunden sind. Auch im Untergrund zieht sich diese Vernetzung weiter und ermöglicht so, den Betrieb im Pflegeheim und in den einzelnen Wohnungen reibungslos zu gestalten. Während den Renovationsarbeiten gestaltete sich auch die Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz äusserst spannend. Das Hotelareal hat eine gewachsene Struktur und deswegen musste versucht werden, die jeweilige Hauptepoche der Gebäude zu ermitteln, woran sich dann die Planung der Neubauten zu orientieren hatte. Für jeden Umbau eines historisch bedeutsamen Gebäudes stellt sich die Frage, wie einerseits der Geist der Historie bewahrt werden kann und anderseits die Normen des Umbaus eingehalten werden können. So sind beispielsweise für Gebäude aus der Gründungszeit des «Bellevue» Türschwellen charakteristisch. Dagegen muss im Alterswohnungsbau schwellenlos gebaut werden. Verschiedene solche kleineren und auch grösseren Herausforderungen stellten sich beim Umbau des Areals. Schliesslich wurden aber gute Lösungen gefunden, und es konnte eine harmonische Verbindung zwischen den verschiedenen Bauteilen erstellt werden. Das «Bellevue» erstrahlt deswegen heute wieder in neuem altem Glanz.

Angelehnt an den Baustil der klassischen griechisch-römischen Epoche wurde eine klare und geradlinige Gestaltung bevorzugt.

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