Das älteste Bauernhaus in der Bucht von Spiez

Das älteste Bauernhaus in der Bucht von Spiez

Das älteste Bauernhaus in der Bucht von Spiez

Majestätisch ragt das Schloss Spiez weit in den Thunersee hinein. Für Liebhaber von eindrucksvollen Bauwerken gibt es in der charmanten Spiezer Bucht aber noch mehr zu entdecken, zum Beispiel das frisch restaurierte Bauernhaus im Mühlegässli. Bereits seit 1753 steht der Kantholzblockbau mit Satteldach an dieser Stelle.

Text: Patrick Leuenberger  |  Fotos: Fabian Schwarz

Schon immer war der Thunersee von grösster Bedeutung für die Siedlung Spiez. Noch bis ins 17. Jahrhundert lebten beinahe alle Bewohnerinnen und Bewohner entweder vom Fischfang oder von der Schifffahrt. Natürlich gab es aber schon früh auch einige andere Tätigkeiten, die in dieser Gegend betrieben wurden. Unter anderem gab es bereits seit 1570 mindestens eine, später dann sicher zwei Mühlen, die mit dem Wasser vom Mühlebächlein betrieben wurden. In den Mühlen wurde mitunter Baumrinde von Fichten und Eichen zerkleinert, die dann für das Gerben von Tierhäuten verwendet wurde.

Bestimmt wurde auch das Korn des Bauernhauses am Mühlegässli in einer dieser beiden Mühlen gemahlen, denn immerhin befand sich das älteste noch heute erhaltene Bauernhaus in der Bucht von Spiez in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihnen. Die beiden Mühlen sind inzwischen verschwunden und das Bauernhaus wird längst nicht mehr für die Landwirtschaft genutzt. Von seiner alten Schönheit hat es trotzdem nichts verloren und es ist heute noch eines der eindrucksvollsten Gebäude der Region.

Von seiner alten Schönheit hat es nichts verloren und ist heute noch eines der eindrucksvollsten Gebäude der Region.

Haussegen und Inschriften 

Das Bauernhaus steht unter Denkmalschutz und wurde 1995 als «schützenswertes Objekt» eingestuft. Die Inschriften auf der Fassade verraten zudem, dass das alte Bauernhaus nicht nur von offiziellen Amtsstellen geschützt wird, sondern auch mit dem Vertrauen auf Gott gebaut wurde. Nämlich stehen dort die ersten Zeilen eines Kirchenliedes von Joachim Magdeburg: «Wer Gott vertraut hat wohl gebaut Im Himel und auf Erden, Wer sich verlässt auf Jesum Christ, dem wird der Himel werden.» Diese Verszeilen erfreuten sich bereits seit ihrer Publikation durch Magdeburg grösster Beliebtheit und deshalb finden sie sich auf zahlreichen Gebäudefassaden im gesamten deutschsprachigen Raum. Ein möglicher Grund für die grosse Popularität des Spruches wird darin vermutet, dass damit Wohlstand und Reichtum als Gabe Gottes gerechtfertigt wird. Es ist heute noch – und war in der Vergangenheit erst recht – eine teure Angelegenheit, ein Haus zu bauen. Entsprechend ist es nachvollziehbar, dass dies als ein Segen Gottes betrachtet wurde. Weiter unten findet sich ein zweiter Haussegensspruch, dessen Ursprung nicht ermittelt werden konnte: «Auf Gottes Hoffnung und Vertrauen, ist dieses Haus hierar gebauen. Gott Es wohl bewahr, und Segne imerdar.» Beide Sprüche sind zwar gut verständlich, mögen heutzutage aber etwas sonderbar wirken. Sie sind nämlich auf Frühneuhochdeutsch geschrieben, einer Vorstufe des heutigen Deutschs. Charakteristisch dafür ist zum Beispiel, dass neben Substantiven auch andere wichtige Wörter grossgeschrieben werden. Auch die Doppelung des Buchstabens M durch einen darüber gemalten Strich (wie etwa bei «Himel» oder «imerdar») ist typisch für das späte Mittelalter und die frühe Neuzeit.

Schliesslich sind noch die Bauherren und -damen auf der Fassade verewigt worden. Einerseits war dies der Zimmermeister Gilgian Linder und andererseits das Ehepaar Hans Itten und Madlena Barben sowie Hans’ Bruder Jacob Itten. Die Namen Itten und Barben gehörten zu dieser Zeit in Spiez zu den bedeutenden Namen und sind dort auch heute noch häufig anzutreffen. Die Inschriften wurden in gotischer Frakturschrift verfasst, die primär im Hochmittelalter, also etwa im 15. bis 16. Jahrhundert weit verbreitet war. Aufgrund des aufkommenden Buchdrucks ging der Schriften-Trend bereits in Richtung von einfacheren und effizienteren Schriften. Doch dank dem wunderbaren Schriftbild wird die gotische Fraktur sogar noch bis heute gerne für besonders kunstvolle und ästhetische Beschriftungen verwendet. Das Bauernhaus am Mühlegässli zeigt das eindrücklich.


Aus alt mach neu 

Damit ein Haus über mehr als 250 Jahre bestehen kann, muss es gut gepflegt werden. Auf das alte Bauernhaus hat das zum Glück zugetroffen. Der letzte Umbau fand 1986 statt, gut 30 Jahre später erhielt es nun schrittweise eine fach- und denkmalgerechte Restauration. Die Fassade wurde im vergangenen Sommer erneuert – und das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Bestimmt war das keine leichte Aufgabe, besonders bei dem aufwendig gestalteten Äusseren des Bauernhauses. Mehrfache Fassadenvorsprünge wurden eingebaut, zudem ist die Fassade mit diversen Friesen reich verziert: Zu sehen gibt es Buchrücken-, Rauten- sowie Karniesfries. Es verfügt über geschwungen profilierte Firstkonsolen mit Kerbwülsten.

Das Gebäude ist ein Vertreter des Frutigtyps. Das ist ein spezieller Baustil, bei dem Wohnbereich und Scheune giebelseitig nebeneinander liegen, sodass man an der Gebäudefront die beiden unterschiedlichen Teile erkennen kann. Der Ökonomieteil wurde beim Bauernhaus am Mühlegässli aber nachträglich ausgebaut, sodass nun beide Teile als Wohnfläche dienen. Im oberen Stock sind noch ursprüngliche, kleine Fensteröffnungen verbaut. Unter dem Holzhaus befindet sich ein massives, verputztes Kellergeschoss.


Altbewährt 

Durch die Restaurierung konnte der alte Glanz des ehrwürdigen Zeitzeugen neu zur Geltung gebracht werden. Schon seit einem viertel Jahrhundert zieht das Bauernhaus am Mühlegässli in der Bucht von Spiez viele Blicke auf sich und dank der sorgfältigen Pflege wird das sicherlich noch lange Zeit so bleiben. Beim Bestaunen dieser uralten Holzbalken überkommt einen das Gefühl, dass die Welt eben doch noch in Ordnung ist. Das Haus ist ein gutes Beispiel dafür, welche einzigartige Schönheit aus dem menschlichen Schaffen hervorgehen kann. Gleichzeitig ist es ein Vorbild für die nachhaltige und schonende Verwendung von natürlichen Ressourcen, denn in der heutigen Wegwerfgesellschaft ist es keineswegs mehr selbstverständlich, dass etwas für eine so lange Zeit gepflegt und repariert wird, statt es zu ersetzten. So bleibt mit Zuversicht zu hoffen, dass das wunderschöne Bauwerk noch ein paar weitere Jahrhunderte der Nachwelt bestehen bleibt und mit seiner blossen Existenz die Umgebung aufwertet und bereichert.

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