Natürliches Wohnen im Erdhaus

Natürliches Wohnen im Erdhaus

Natürliches Wohnen im Erdhaus

In einem Quartier in Heimberg stehen zwei Häuser, die auf den ersten Blick gar nicht als solche erkennbar sind. Die einstöckigen Bauten sind von einem Hügel bedeckt und nur auf eine Seite hin gänzlich geöffnet. Diese sogenannten Erdhäuser überraschen aber nicht nur von aussen, sondern ganz besonders von innen. 

Text: Lisa Inauen  |  Fotos: flamestones, Lisa Inauen, zvg

Schauspieler Walter Andreas Müller sagte in einem Interview, er wohne «wie ein Hobbit» – und meinte damit sein Erdhaus. Die Behausungen in den Herr-der-Ringe-Filmen, die an gemütliche Holzchalets erinnern und deren kleine Fenster nur wenig Licht ins Innere lassen, haben aber mit Erdhäusern wenig gemeinsam. Ja, die Häuser in Heimberg haben erdbedeckte und bewachsene Dächer. Höhlenartig und dunkel sind sie aber keineswegs: Beim Betreten staunt man über die hellen und offenen Räume, ein Zierbrunnen plätschert im Hintergrund, Lichtschächte bringen indirektes Tageslicht auch in die der Fensterfront abgewandten Räume. Auch die restliche Beleuchtung ist oft indirekt, durch die organischen Formen, die im ganzen Haus vorherrschen, entsteht eine Wohlfühl-Oase der ganz besonderen Art. Unterstützt wird dies durch Malereien an den Wänden und der Decke, die eine Raumerweiterung ermöglichen: An der Decke entsteht durch Malereien die Illusion eines weiten, blauen Himmels, im Bad blickt man auf das Meer, im Wohnbereich auf eine idyllische Hügellandschaft. Erstellt hat diese fantasievollen Bilder der selbständige Künstler und Bildhauer Adrian Ramseyer, der im Auftrag von Peter Hauenstein für den Innenausbau der beiden Häuser zuständig war.

Höhlenartig und dunkel sind sie keineswegs.

Mehr Grünfläche im Quartier

Die Idee, zwei Erdhäuser im Quartier zu bauen, kam von Peter Hauenstein, der auch Besitzer der umliegenden Parzellen war. Von den Wohnungen auf der Parzelle nebenan sieht man nun anstelle einer weiteren Überbauung eine bepflanzte Böschung sowie eine erhöhte Wiese mit den Lichtschächten. Diese Grünfläche ist für Fauna und Flora innerhalb des Quartiers wertvoll. Die Hausseite mit Fensterfront wurde inzwischen mit Hecken und Büschen vor neugierigen Blicken geschützt. Durch die geschwungene Fensterfront, den Zierbrunnen und die Bepflanzung entsteht im Garten eine kleine Oase, die besonders in den wärmeren Monaten zum Verweilen einlädt. Die sandsteinfarbene, felsenartigen Fassade wurde der Farbe der umliegenden Häuser angepasst, sodass sich die beiden Häuser trotz ihrer unüblichen Bauweise gut in das Quartier einfügen.

Ein ganz besonderes Erdhaus

Das Innere der Häuser besteht aus vielen runden Formen, rechte Winkel sind kaum vorhanden. Allerdings wurden die runden Formen erst nachträglich modelliert: Der Rohbau wurde quaderartig betoniert und mit Erde bedeckt, erst danach wurde das Innere mit sogenannten Tonrabitznetzen in organischen Formen gestaltet und mit Ton und Kalk verputzt. Dieser mineralische Verputz ist atmungsaktiv, dahinter verbirgt sich eine zentrale Hauslüftung, die ein ideales Raumklima ermöglicht. Ausgehend von hohen Räumen laufen die oft senkrechten streckenweise auch geraden Wände in zahlreiche Rundungen und Formen über. Durch diese Bauweise wird auch die Einrichtung des Hauses vereinfacht, denn in anderen Erdhäusern, die oft von Grund auf ohne rechte Winkel gebaut werden, sind meist massangefertigte Möbel nötig. Der Grundriss der beiden Häuser ist identisch, Malereien, aber auch das Cheminée und der Innenausbau sind unterschiedlich. «Fragen bezüglich Statik und Baumaterialien wurden eingehend abgeklärt, da es sich bei diesen Häusern um Prototypen handelte. Die Detailgestaltung der genauen Formen erfolgte aber oft intuitiv», erklärt Adrian Ramseyer. Eineinhalb Jahre dauerte der Bau der Häuser, die im Jahr 2006 fertig gestellt wurden. Besonders aufwendig war der Boden: Aus Naturofloor, einem mineralischen Bodenbelag, wurden die Fugen herausgeschnitten, die Platten danach mit verschiedenen Pigmenten von Hand gefärbt. Die beiden Erdhäuser sind also individuell gestaltete Prototypen, welche ihresgleichen suchen. 

Fortschrittlich und energieeffizient

Nachhaltigkeit wurde in den letzten Jahren zunehmend zu einem wichtigen Faktor in den verschiedensten Lebensbereichen, so auch beim Wohnen. Erdhäuser ermöglichen natürliches Wohnen dank nachhaltiger Baustoffe und eines reduzierten Energieverbrauchs. Sie sind relativ unempfindlich gegen Wind und Wetter. Die Innenraumtemperatur bleibt durch das dick mit Erde verkleidete Dach und massive Wände im Sommer wie im Winter lange stabil. Dazu kommt eine gesunde Raumfeuchtigkeit gegen die 50 Prozent, die durch den Verputz reguliert und durch allfällige Zimmerbrunnen unterstützt wird. Zugluft ist in einem Erdhaus ebenfalls kein Problem, Allergene und Schadstoffe werden von der Aussenwelt ausgesperrt. Da das Dach als Garten oder einfach als Grünfläche genutzt werden kann, ist der Flächenverbrauch auf ein Minimum reduziert.

Erdhäuser sind heute einem breiten Publikum bekannt. Allerdings ist das Konzept der Erdhäuser bereits über tausend Jahre alt: Als die Wikinger nach dem Jahre 870 Island besiedelten, errichteten sie Erdhügel, die sie innen mit Holz verkleideten. So trotzten sie den eisigen Stürmen, die über die Insel nahe dem Polarkreis fegen. Auch die Nordmänner, die von Island aus Grönland und Neufundland besiedelten, verfuhren ähnlich. Die Indianer in Nordamerika gruben im Herbst tiefe Löcher in den Boden, die sie mit Baumstämmen abdeckten, auf welche dann Erde geworfen wurde. Auf diese Weise konnten sie die harten Winter überleben.

Die Popularität der Bauweise kann sicherlich auch mit den Filmen des neuseeländischen Regisseurs Sir Peter Jackson in Zusammenhang gebracht werden. Mit der Verfilmung von J.R.R. Tolkiens «Ringe»-Trilogie und dem Dreiteiler «Der Hobbit» wurde das Wohnen unter der Erde einem grösseren Publikum bekannt gemacht. Das Interesse an Erdhäusern stieg in den vergangenen Jahren stark, was sich am Tag der offenen Tür zeigte.

Koryphäe Peter Vetsch

Zur Hochblüte des Erdhauses trug auch der Stararchitekt Peter Vetsch bei. Der Absolvent der Kunstakademie Düsseldorf gilt als Europas Pionier im Erdhaus-Bau. 1974 entwarf er sein erstes, von Erde bedecktes Eigenheim. Kennzeichen: keine rechten Winkel. Er überwand die Eintönigkeit des tradierten, konventionellen Bauens mittels Spritzbetonkonstruktionen. Dabei handelt es sich um ein Verfahren aus dem Tunnelbau. In einer Bodenplatte aus Beton werden feinmaschig geflochtene Metalldrahtnetze verankert, auf die Spritzbeton aufgetragen wird. Sobald dieser hart ist, werden Dach und Seiten mit einer Isolation gegen Kälte und Feuchtigkeit geschützt, danach wird das Gebäude mit einer Bodenschicht bedeckt. 

So entstehen Gebäudehüllen, die bei minimaler Fläche maximale Volumen umschliessen und somit eine ideale Form für den Energiehaushalt sind. Die runden, gewölbeartigen Strukturen gewähren zudem eine hohe Tragfähigkeit. Eine automatische Belüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung hilft, den Heizenergiebedarf niedrig zu halten. 

Peter Vetsch hat in den letzten Jahren über 100 Erdhäuser in der Schweiz, aber auch in den USA, in Spanien oder auf der Krim realisiert. Seine Architektur sieht er vor allem als Beitrag gegen Zersiedelung, zudem altere das Erdhaus kaum und sei zeitlos. Von der Architektur der Erdhäuser sind auch die Bewohner der beiden Häuser in Heimberg überzeugt, die vom Leben und der Atmosphäre im Erdhaus schwärmen.

Eine automatische Belüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung hilft, den Heizenergiebedarf niedrig zu halten.

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