Baugeschichte - 100 Jahre Hotel Bellevue au Lac in Hilterfingen
Baugeschichte - 100 Jahre Hotel Bellevue au Lac in Hilterfingen
Eine Hotelgründung in bewegter Zeit. Baubeginn 1915, beendet 1919, eröffnet als Hotel 1924. Wir blicken zurück auf eine 100-jährige Geschichte.
Text: Ulrich Schneider | Fotos: Sammlung Alt Hilterfingen
Die ersten bedeutenden Hotelbauten in Hilterfingen entstanden erst im frühen 20. Jahrhundert. Von 1903 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges 1918 wurden 5 Hotels errichtet. Das letzte grosse Hotel war das Bellevue au Lac, gelegen an exklusivster Lage zwischen Thunersee und Staatsstrasse. Es ist das einzige Gebäude, welches auch heute noch als Hotel betrieben wird.
Im Sommer 1915 reicht die Mitbesitzerin der Pension Bellevue (heute altes Bellevue) und Hotelière, Fräulein Louise Bolliger, ein Baugesuch zwecks Erbauung eines neuen Hotelgebäudes in Beton, mit Backsteinmauer und mit Ziegeldach auf der am See gelegenen Parzelle gegenüber der Pension Bellevue, zur Ergänzung des bestehenden Geschäftes zuhanden einer AG, ein. Die Baubewilligung wird am 11. August 1915 erteilt.
Unter der Firma Aktiengesellschaft Hotel Bellevue au Lac (Kurhaus) in Hilterfingen am Thunersee gründet sich am 25. September 1915 eine Gesellschaft mit Sitz in Hilterfingen welche folgenden Zweck hat: Erwerbung von Hotel Bellevue au Lac in Hilterfingen mit allem zudienenden Betriebsmobiliar, sowie Erstellung eines modernen Hotels auf dem am See gelegenen Terrain; ferner Betrieb, eventuell Verpachtung des Hotels. Die Gesellschaftsstatuten werden am 2. September 1915 festgestellt. Die Gesellschaft ist auf unbestimmte Zeit geschlossen. Das Kapital beträgt 285000 Franken, eingeteilt in 570 Aktien von je 500 Franken. Präsident des Verwaltungsrates ist Leopold Wyler von Oberendingen, Fürsprech in Bern. Die Mitglieder des Verwaltungsrates sind Hoteliers, Privatiers und Bankiers aus Bern, Rheinfelden, St. Blaise, Luthern und Lütschental.
Als Architekt wird Gottfried Schneider (1879–1.3.1929) von Bern beauftragt. Schneider war zu seiner Zeit ein bekannter Architekt, so baute er zahlreiche Villen in Bern und Muri. 1907 entwarf er das neue Hauptgebäude der Schokolade Tobler AG an der Länggassstrasse in Bern, die heutige Uni Tobler.
Mit dem Bellevue au Lac gelingt Gottfried Schneider ein besonders gediegenes Gebäude in reformerischem Neobarock. Ein mächtiger, vielgestaltiger Massivbau mit grobkörnigem Putz und Mansart-Walmdach. Die Hauptfront bildet die südöstliche Längsseite mit zwei Polygonalerkern, welche die Balkonfassade mit Kolossalordnung und ausbauchenden Massivbrüstungen rahmen. Über der Dachtraufe findet sich eine Systemfortsetzung durch eine hübsche Haubenbekrönung der Erker und der Attika. Die Konstruktion verfügt über Knorpelförmige Kar- tuschen und Brüstungsdekor. Eine reiche Dachflächengestaltung mit Quergiebeln und Gauben ziert das Bauwerk. Das Gebäude besitzt eine seeseitig mehrschichtige Front mit Balkonen und schmiedeiserne Brüstungen, die restlichen Fronten sind straffer und flächiger, durchwegs mit wirkungsvoller, zeittypischer Fenstersprossung. Das strassenseitige Hauptportal tritt in monumental ge- stalteter Kunsteinrahmung daher. Der Bau führte die in Thun bestens renommierte Firma Architekten Grütter & Schneider Baugeschäft Thun aus. Grütter & Schneider planten und bauten unter anderem in Thun das Hotel Beau Rivage und das Pestalozzi-Schulhaus, in Spiez das Hotel Belvédère und in Oberhofen das Parkhotel, entworfen von Architekt Immer. Das Hotelprojekt wird in Fachkreisen, insbesondere aus der Thunersee Gegend, auf das Äusserste kritisiert und die Notwendigkeit eines solch erstklassigen Hauses mit Appartements und Bädern in dieser äusserst schwierigen Zeit in Frage gestellt.
Am 2. November 1915 erlässt der Bundesrat eine Verordnung zum Schutz der Hotelindustrie gegen die Folgen des Ersten Weltkrieges. Unter Artikel 27 kann nur der Bundesrat, mit Absprache des jeweiligen Regierungsrates, einen Hotelneubau bewilligen. Die Verordnung tritt am 10. November 1915 in Kraft.
Am 17. Januar 1916 richtet die Bellevue au Lac AG ein Gesuch an den Regierungsrat des Kantons Bern zuhanden des Bundesrates; dieser möge ihr die Bewilligung erteilen, den projektierten und bereits im Bau begriffenen Hotelneubau planmässig fertigzustellen. Der Gemeinderat wird zur Begutachtung aller Bewilligungen eingeladen. Er unterstützt das Begehren der AG und erwähnt, dass der Bau bereits vor dem Erlass der Verordnung begonnen wurde, auch erhielten viele Arbeiter durch den Bau Verdienst. Der Gemeinderat ist überzeugt von diesem neuen Haus und erwartet einen Aufschwung in der Fremdenindustrie. Doch bereits am 29. Januar 1916 erhält der Gemeinderat Bericht, den Bau im Auftrag des Bundesrates zu stoppen. Per Chargébrief wird dem Verwaltungsratspräsidenten und der Baufirma Grütter & Schneider mitgeteilt, dass die Arbeiten nun eingestellt werden müssen.
Der Sekretär der Gesellschaft Bellevue au Lac AG, Notar Boss, richtet am 13. März 1916 ein neues Gesuch an den Bundesrat, mit dem Ziel, die Bewilligung zum Weiterbau am Hotel zu erhalten. Ebenfalls stellt der Gemeinderat ein Gesuch im gleichen Sinne. Am 1. Mai 1916 teilt der Regierungsrat des Kantons Bern dem Regierungsstatthalteramt Thun mit, dass das erneut eingereichte Gesuch durch den Bundesrat positiv beurteilt wurde. Er erklärt: Der Hotel Bellevue au Lac AG in Hilterfingen wird die Bewilligung zur Fertigstellung ihres Neubaus erteilt; die Verwendung des Gebäudes als Hotel bleibt verboten (Bern, den 25. April 1916). Der vordere Teil des Hauses wird auf Holzpfählen in den Thunersee gebaut. Somit muss die Bellevue AG vom Kanton ein Stück Seegrund erwerben, dies gilt ebenfalls für den Garten vor dem Hause; der Preis beträgt 6000 Franken. Der Bau kommt nur schleppend voran, oft fehlt es an passendem Baumaterial wegen den Kriegswirren. Ebenfalls wird das Baumaterial um zwei Drittel teurer gehandelt. Die enorme Teuerung geht auch an der Bellevue au Lac AG nicht spurlos vorbei.
Am 21. September 1918, nachmittags um 14 Uhr, findet im Hotel Viktoria-Baumgarten in Thun eine Generalversammlung der Hotel Bellevue au Lac AG Hilterfingen statt. Präsidiert durch den Advokaten Leopold Wyler. Die Versammlung wird von neun Aktionären besucht, welche 316 Aktien vertreten. Die Rechnung für 1917 wird unter Entlastung des Verwaltungsrates genehmigt. Das Aktienkapital wird von 285 000 Franken auf 142 000 Franken reduziert, dies durch Abstempelung der Aktientitel von 500 Franken auf 250 Franken. Gleichzeitig wird das Aktienkapital auf 450000 Franken erhöht, dies durch Ausgabe neuer Aktien zu 250 Franken im Betrag von 307000 Franken. Von dem neuen Aktienkapital von 307000 Franken sind 50000 Franken gezeichnet und davon 20 Prozent einbezahlt. Die Bellevue au Lac AG ist zu diesem Zeitpunkt bereits mit 1200000 Franken belastet. Die Eröffnung des Hauses ist auf den Frühling 1919 vorgesehen. Neu in den Verwaltungsrat und zugleich auch als Sekretär wird Architekt Ernst Schneider von der Ersteller-Firma Grütter & Schneider aus Thun gewählt und ebenso Architekt Gottfried Schneider aus Bern, welcher das Haus entworfen hat.
Leider wird zur Eröffnung auf den Frühling 1919 keine Bewilligung erteilt. Auch das Wirtepatent des alten Hauses kann nicht auf das Neue übertragen werden. Ohne Einnahmen kann die Bellevue au Lac AG auch keine Steuern zahlen. Im August 1920 beschliesst aus diesem Grund der Gemeinderat, die AG zu betreiben. Im Schweizerischen Handelsblatt von 30. April 1921 wird die Konkurseröffnung auf den 13. April 1921 publiziert. Eine erste Gläubigerversammlung ist auf den Montag, 9. Mai 1921, nachmittags um 14 Uhr im Gasthof Bären in Thun angesetzt.
Das Schweizerische Handelsblatt teilt in der Ausgabe von 31. August 1921 mit, dass die Bellevue au Lac AG am 27. August 1921, infolge Konkurs, aufgelöst wurde und im Handelsregister von Amtes wegen gelöscht wird. Am 14. Februar 1922, nachmittags um 15 Uhr, findet in der Wirtschaft Rebleuten in Oberhofen die Versteigerung der Hotelbesitzungen der Belleve au Lac AG statt. Im Geschäftsblatt der Stadt Thun finden wir am 17. Februar 1922 folgenden Artikel: «An der einzigen Steigerung im Konkurse der AG Bellevue au Lac in Hilterfingen wurde das alte und neue Hotel samt Zubehör von den Inhabern der ersten Hypothek, nämlich Leopold Wyler, Fürsprecher, und Jules Schieb, Privatier, beide in Bern, sowie der Kommanditgesellschaft Grütter & Schneider Cie. Bau- geschäft in Thun, um den Preis von 340000 Franken ersteigert; die zweite Hypothek ging leer aus». 1923 wird Herr Alfred Gartenmann, Confiseur in der Hauptgasse in Thun, Mitaktionär. Da das Haus immer noch nicht als Hotel geführt werden kann, wird ihm aber vom Regierungsstatthalter ein sogenanntes Kleinpatent bewilligt. Der gute Geschäftsmann richtet im grossen Saal eine gediegene Confiserie und im Garten ein Seebad ein. Weiter werden sechs Appartements mit Bad vermietet. Das Geschäftsblatt vom 13. Juli 1923 berichtet wie folgt: „Ein Strandbad in Hilterfingen. Kürzlich ist im neuen Hotel Bellevue au Lac in Hilterfingen, das bekanntlich bisher wegen des während des Baus erlassenen Hotelbauverbotes nicht als Hotel betrieben werden konnte und gegenwärtig teilweise als Wohnhaus dient, eine durch Confiseur Alfred Gartenmann in Thun betriebene Konditorei eröffnet worden. Ferner ist in der Verbindung damit am See ein Strandbad errichtet worden, das nun geöffnet ist. Bei der prächtigen Lage und der fast unbeschränkten Aussicht auf See und Berge, dürfte die sehr komfortabel eingerichtete Confiserie, wie auch das Strandbad, bald ein beliebter Treffpunkt der Fremden und Einheimischen werden.» 1924 wird Herr Ernst Tschopp-Schaad, Hotelier, weiterer Mitaktionär. Er kann endlich eine Bewilligung zur Eröffnung erwirken. Am Samstag, dem 12. April 1924, kann das gediegene Haus endlich als Hotel eröffnet werden. Als erster Hoteldirektor wirkt Herr A. Steffani aus St. Moritz. Das noble Haus wird sofort bestens frequentiert. Ab dem 15. Mai 1924 finden bereits Saisonkonzerte des damals am Thunersee bekannten Ensembles «Pifferi» aus Italien statt. Unser Hotel Bellevue au Lac hat eine äusserst bewegte Baugeschichte mit vielen Höhen und Tiefen hinter sich. Durch den Konkurs haben Leute viel Geld verloren. Die Kriegsjahre haben nicht nur eine grosse gesellschaftliche Veränderung gebracht, sondern auch eine enorme Teuerung ausgelöst. Ereignisse wie der Generalstreik und die furchtbare Grippe-Pandemie haben sicher das ihrige dazu beigetragen. Trotz den widrigen Umständen haben die Verantwortlichen den Bau zu Ende geführt und uns damit ein wunderschönes und stilvolles Haus hinterlassen.
Am 18. Juli 1928 wird das Hotel von der Treuhand Blümlimatt AG in Thun käuflich erworben. Bereits am 27. Dezember 1932 wechselt das Haus wiederum den Besitzer und geht an den Hotelier und zugleich leitenden Direktor, Herrn Wilhelm Dietsch-Hick über. Nach dem 2. Weltkrieg wird das Hotel von der Rivalpa Hotel AG mit Sitz in Hilterfingen am 26. März 1946 übernommen. Am 13. Januar 1960 wird die AG unter gleichem Namen weiterverkauft. Am 22. Dezember 1995 geht die AG in den Besitz von Thuner Unternehmer über und erhält am 8. Dezember 1995 den Namen Hotel Bellevue au Lac Hilterfingen. 2006 wechselt das Hotel Bellevue ein letztes Mal den Besitzer und gehört nun Herrn Peter Amann, Inhaber der Firma Global Bau in Hilterfingen. Von der Eröffnung als Hotel im Jahre 1924 bis heute haben 25 Hoteldirektoren und -innen das Haus kurz oder länger mit weniger oder grossem Erfolg geführt. Hunderte Hochzeiten, Familienfeste, Vereinsanlässe, Konzerte, Taufen, Konfirmationen und gehobene Bankette wurden in den gediegenen Räumlichkeiten abgehalten. Tausende Hotelgäste aus der ganzen Welt haben im Hotel Bellevue au Lac ihre Ferien verbracht, sich verwöhnen lassen und das einmalige Ambiente dieses stilvollen Hauses mit seiner wunderschönen Lage und mit der Aussicht auf den Thunersee und die Berner Alpen genossen.
«Schneider war zu seiner Zeit ein bekannter Architekt, so baute er zahlreiche Villen in Bern und Muri.»
«Das Hotel- projekt wird in Fach- kreisen aufs Äusserste kritisiert und die Notwendigkeit eines erstklassigen Hauses mit Appartements und Bädern in dieser schwierigen Zeit in Frage gestellt. »
«Bei der prächtigen Lage und der fast unbeschränkten Aussicht auf See und Berge dürfte die Confiserie wie auch das Strandbad bald ein beliebter Treffpunkt werden.»
Zwei wichtige Ereignisse
«Der Bund» berichtet wie folgt: Am Samstag, den 19. Mai 1939 trafen sich gegen 40 Segler aus 17 Jachtklubs der ganzen Schweiz im Hotel Bellevue in Hilterfingen zur Gründung einer Union schweizerischer Jachtklubs (U.S.J.). Die Versammlung wurde vom Präsidenten des Circle de voile, der Societés nautiques de Genève, Herr Marcel Pahud, geleitet. Anschliessend an die Gründungsversammlung fand der erste Seglertag statt. Der Schweizerische Jachtklub, heute Swiss Sailing Club, ist ein Fachverband für Segelsport in der Schweiz. Zurzeit sind 143 Clubs dem Verband für den Segelsport Schweiz angeschlossen.
Am sogenannten Wunder von Bern, der Fussballweltmeisterschaft von 1954, sollte auch das Hotel Bellevue au Lac teilhaben. Das „Oberländer Tagblatt“ meldet am 11. Mai 1954 wie folgt: «Hilterfingen. Um sich für die kommende Fussballweltmeisterschaft in der Schweiz rechtzeitig akklimatisieren zu können, wird auf Ende Mai die Nationalmannschaft von Uruguay hier eintreffen und für zirka 6 Wochen im Hotel Bellevue au Lac ihr Standquartier beziehen. Die Uruguayer, die schon wiederholt den ersten Platz in der Weltrangliste des Fussballs einnahmen, rechnen damit, dass ihnen auch in diesem Jahre wiederum der Weltmeistertitel zufallen werde. Mit den Fussballern werden auch etliche Zeitungs-, Radio- und Fernsehreporter aus Südamerika hier absteigen.»
«Wer im Heimmarkt nicht erfolgreich ist, dem gelingt es auch im Rest der Welt nicht.»
Der Empfang der Fussballmannschaft von Uruguay in Hilterfingen
«Böllerschüsse ertönten, als die Fussballmannschaft samt Begleitross am frühen Nachmittag des 17. Mai 1954 in zwei Postautos in Hilterfingen eintraf. Die Schüsse der Gärtnerei Roggli galten allerdings der Hagelabwehr, da ein Gewitter mit Hagel im Anzug war. Von den Ankommenden wurde dies aber als Willkommensgruss gedeutet und auch verdankt. Am Abend fand in den Räumen des Hotels Bellevue eine schlichte, aber sehr eindrückliche Empfangszeremonie statt.
Umrahmt von der Musikgesellschaft Hilterfingen, wurden einige Reden gehalten, die sofort übersetzt wurden. Namens der Behörde und der Bevölkerung Hilterfingens hiess Gemeindepräsident Walter Stalder die Gäste herzlich willkommen. Der Vertreter der Uruguayischen Regierung, der Deputierte Luigi Troccoli, fand äusserte freundliche Worte für unser Land. Weiter wurde der Empfang mit dem damals bekannten Thuner Alphornbläser Valentini umrahmt. Im Saal hingen sowohl die Schweizerfahne als auch die Nationalflagge von Uruguay. Am Schluss des Anlasses bedankte sich die Mannschaft mit einem dreifachen Hipp- Hipp-Hurra für den flotten Empfang.»