Laubsägelibau – modern angehaucht
Laubsägelibau – modern angehaucht
Wer die Dorfstrasse in Hilterfingen entlangspaziert, entdeckt oberhalb des Schlosses Hünegg einen sogenannten «Laubsägelibau», der sich bei genauerer Betrachtung als spannende Kombination aus Alt und Neu entpuppt. Im Hotel Schönbühl schaffen moderne Elemente und solche aus der Zeit der Jahrhundertwende einen faszinierenden Gegensatz.
Text: Lisa Inauen | Fotos: zvg
Spektakulär bei dieser Renovation ist besonders die Zeitspanne – in nur sieben Monaten wurde das Hotel Schönbühl von Grund auf renoviert», erzählt Martin Seger. Sein Architekturbüro Seger Architekten AG aus Hünibach hat das Projekt zur Baureife gebracht und war für dessen Ausführung zuständig.
Das Hotel aus der Zeit der Jahrhundertwende musste aufgrund des schlechten Zustandes bis zum Erdgeschoss ausgehöhlt werden, damit neue Betondecken eingezogen werden konnten. Im Winter 1998/99 erfolgte die dritte grosse Renovation in der Geschichte des Gebäudes. «Aufgrund der Witterung wurden diese Arbeiten unter einem grossen Zelt ausgeführt», erklärt Seger. Kostenpunkt des Umbaus: 5,5 Millionen Franken. «Ein Neubau wäre günstiger gewesen, allerdings hätte man diesen auf der Parzelle weiter vorne platzieren müssen», so Seger.
Das Sanierungskonzept sah vor, weniger und dafür grosszügigere Hotelzimmer einzurichten – so wurden aus ursprünglich 17 Zimmern 11. Zudem wurden drei moderne Zimmererker als äusseres Zeichen der dritten Anbauetappe hinzugefügt. Diese ermöglichen einen beeindruckenden Panoramablick über den See und die Berge des Berner Oberlands. Die gesamte Haustechnik sowie die Küche wurden ersetzt. Bei der Renovation wurde stark auf die Laubsägeli-Elemente des als «schützenswert» eingestuften Gebäudes eingegangen. Heute zeigt das Hotel deshalb zwei Seiten: die nordöstliche steht für Restaurierung, die südwestliche für moderne Umstrukturierung.
Die Laubsägeli-Elemente lassen das Hotel heute wieder im Jugendstil-Chic erstrahlen.
Schützenswerter Laubsägelibau
Beim Schönbühl handelt es sich um ein Gebäude im sogenannten Schweizer Holzstil, der auch als Laubsäge-Architektur, Schweizerstil, Schweizerhäuschenstil oder Chaletstil bekannt ist. Dieser internationale Stil kam im 19. Jahrhundert in Mode, war nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Skandinavien und Osteuropa weit verbreitet. Seine Wurzeln liegen in der Mythologisierung des Lebens der Schweizer Bergbauern in der Romantik des 18. Jahrhunderts durch Denker wie Jean-Jacques Rousseau oder Architekten wie Eugène Viollet-le-Duc. Akademische Architekten in Deutschland, Frankreich und England bauten im 19. Jahrhundert erste «Chalets Suisses». Sie wandelten Berner Oberländer und Waadtländer Holzhäuser ab und kombinierten sie mit klassizistischen Elementen. Von den europäischen Akademien und Fürstenhöfen gelangte der Stil seit den 1830ern in die Schweiz, wo er für Villen verwendet wurde. Ab 1860 wurde der Stil dann in allen Landesgegenden für Hotelbauten populär. Zuvor zugesägte Bretter – daher der Name «Laubsägelibau» – werden an der eigentlichen Konstruktion befestigt. Nach einer Blütezeit wurden die Elemente dieses Schweizer Holzstils aber ab 1900 unter anderem vom Heimatschutz als unschweizerisch propagiert. So galt der Stil ab den 1920ern als dekorativ überladen, unecht und verlogen, viele Laubsägeli-Bauten wurden bis 1970 abgebrochen oder purifiziert. Auch die Laubsägeli-Elemente am Schönbühl waren bei der Renovation im Jahr 1998 nicht mehr vorhanden – sie wurden aber in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege anhand alter Fotos rekonstruiert und lassen die Fassade heute wieder im Jugendstil-Chic erstrahlen.
Typische Lage für ein Hotel
Die Lage südöstlich des Hüneggparks wurde Ende des 19. Jahrhunderts für repräsentative und frühe Gastgewerbebauten bevorzugt. Am heutigen Standort wurde 1879 von Aerni Gottlieb ein Wohn- und Handwerkerhaus erstellt, dessen Wirtschaft «Pinte» 1898 eine Bewilligung zum Weinausschank erhielt. Dieses «Büelhaus» war nach der Wirtschaft Ibach (später Des Alpes) das zweite Wirtshaus in Hilterfingen. Jakob Berger, der damalige Inhaber, baute das Büelhaus zu einer Pension aus, die 1901 eröffnet wurde. In den folgenden Jahrzehnten wurde das Schönbühl stetig erweitert und renoviert – und wuchs so zu einem stattlichen Hotel heran.
1998 wurde das Schönbühl nach mehreren Besitzerwechseln an Dr.-Ing. Hans-Jochem und Iris Steim aus Deutschland verkauft, die Hotel Schönbühl AG Hilterfingen wurde gegründet. Der Industrielle ist bis heute Besitzer des Hotels und ermöglichte den kostenintensiven Umbau. Das Gebäude, das ein Konglomerat aus Holzriegelbau, Betonskelett und Massivbau ist, war in sehr schlechtem Zustand. So wurden alle Zwischenwände und Böden herausgerissen, Fassaden bis auf die Grundkonstruktion abgebrochen. Im Untergeschoss wurden die Räume für die Betriebsinfrastruktur wie Küche, Weinkeller, Lingerie oder Toiletten neu konzipiert, auch der Eingang sowie das Treppenhaus wurden neugestaltet. Durch die offene Stahl- und Glaskonstruktion bleibt viel Raum und Licht im Eingangsbereich. Auch die zwei Hoteletagen veränderten sich während der Bauphase stark. Die sechs geräumigen Südzimmer wurden architektonisch neu interpretiert und heben sich besonders von aussen klar vom restlichen Gebäude ab, da sie im Holzlattenstil gehalten sind. Grosszügige Fensterfronten ermöglichen eine uneingeschränkte Sicht auf das beeindruckende Thunerseepanorama. Die lichtdurchfluteten, grosszügigen Doppelzimmer in warmen Farben laden zum Verweilen ein. Auch das Sockelgeschoss, vor dem im Sommer auf der Terrasse Platz genommen werden kann, ist mit Holzlatten aus Lärche verkleidet. So fügen sich in der Aussenhülle alte und neue Architektur in attraktiver Form zusammen.
Denkmalpflegerische Eingriffe entdecken
Als Gast sieht man im Restaurant beinahe von jedem Platz aus auf die schöne Berner Oberländer Landschaft. Beim Betreten des grossen Saals knarrt das dunkle Parkett ein wenig – es stammt noch aus der Zeit vor der Renovation. Die Wände des grossen Saals sind mit weissem Brusttäfer ausgekleidet, warme Farben dominieren. Antik anmutende Möbel werden durch moderne Materialien schön in Szene gesetzt.
Auswirkungen der denkmalpflegerischen Eingriffe erkennt man oft erst auf den zweiten Blick: So ist beispielsweise die Eingangstür – besonders, wenn jemand mit Koffer anreist – relativ eng, da sie nicht breiter gebaut werden durfte. Durch den grosszügigen Eingangsbereich wird dies aber mehr als wettgemacht. Oder man erkennt bei den Fenstern, dass die Sprossen nicht im Glas verbaut sind, sondern dass es sich tatsächlich um einzelne, voneinander abgetrennte Glasscheiben handelt, deren Reinigung dementsprechend aufwendiger ist.
Immer wieder wird das Hotel den aktuellsten Bedürfnissen angepasst. 1999 wurden beispielsweise die Wände des ehemaligen Raucherraums entfernt. 2018 wurden dann Glasscheiben mit Sichtschutz eingefügt, sodass der Raum heute für Sitzungen oder Seminare verwendet werden kann.
Seit Januar 2019 leiten Fanny und Mario Köppe den Hotel- und Restaurationsbetrieb. Die beiden richten sich mit einer kreativen Küche sowie einheimischen Produkten und Weinen an ein breites Publikum. In den verschiedenen Räumlichkeiten des Hotels Schönbühl bieten sich viele Möglichkeiten: «Unsere Bankett- und Sitzungsräume eignen sich sehr gut für Seminare, im Saal finden grössere Bankette statt. Aber auch für Einzelreisende – seien es Feriengäste oder Geschäftsreisende – ist die Lage am Thunersee sehr attraktiv», sagt Fanny Köppe.
Schönster Ausblick bei jedem Wetter
2005 wurde auf der anderen Seite der Dorfstrasse ein weiterer Hotelbau mit acht Doppelzimmern – die sogenannte Dependance – erbaut. Zusammen mit den elf Zimmern des Hauptgebäudes verfügt das Hotel so über 19 Hotelzimmer sowie eine Ferienwohnung.
Eine Besonderheit des Schönbühls ist der Garten. Dort steht der «Spycher» mit weit ausladendem Giebeldach und dreiseitiger Laube aus dem 16. Jahrhundert. Er wurde 2000 zu einem urchig-gemütlichen Carnotzet ausgebaut und eignet sich bestens für Events und Bankette mit bis zu 32 Personen auf zwei Stöcken. Weiter findet sich im Garten auch ein Kräutergarten, von dem in der Küche rege Gebrauch gemacht wird. Rund 260 Rosenstöcke machen den Garten zu einem Blumenparadies, unter schattigen Linden finden im Sommer bei einem erfrischenden Getränk bis zu 80 Personen Abkühlung. Durch neu montierte Storen ist ein Aufenthalt auf der Terrasse bei entsprechender Temperatur auch trotz leichtem Regen möglich. In den wärmeren Monaten wird entschieden, ob draussen oder drinnen bedient wird – im Parterre, aber auch im ersten Stock ist die Infrastruktur vorhanden.
Vor kurzem wurde zudem in eine E-Tankstelle sowie in ein Solarboot investiert. So kann das Thunersee-Panorama nicht nur von der Terrasse oder vom Hotelzimmer, sondern auch vom Wasser aus bewundert werden.
Rund 260 Rosenstöcke machen den Garten zu einem Paradies, unter schattigen Linden findet man bei einem erfrischenden Getränk Abkühlung.