Vor dem Vergessen bewahrt

Vor dem Vergessen bewahrt

Vor dem Vergessen bewahrt

In Zusammenarbeit mit der Kantonalen Denkmalpflege und dem Besitzer haben zwei Restauratoren in Steffisburg eine über 250 Jahre alte Inschrift an einem ehemaligen Bauernhaus zu neuem Leben erweckt. 

Text & Fotos: Beat Straubhaar

An der Hartlisbergstrasse in Steffisburg, mit wunderbarem Blick auf Thun, See und Berge steht das ehemalige Bauernhaus von Hans Büchler und Barbara Roth, erbaut im Jahre 1752. Ein für die damalige Zeit sehr stattlicher Bau, was darauf zurückschliessen lässt, dass der Bauherr mit Pferdehandel zu Wohlstand kam. Der Ständerbau unter einem Gerschilddach mit gedrungener Ründi, mit Bühnislaube und geseilten Pfosten weist eine ausserordentlich reiche Inschrift und viele Malereien auf. Unter der Federführung der Denkmalpflege des Kantons Bern wurden diese restauriert. Einige Fensterbänke mussten saniert und nach originalem Vorbild ergänzt werden.


«Nüssler» als Ersatzeinkommen

Der ursprüngliche Ökonomieteil wurde nach den Pferden auch von Kühen genutzt. Im dazugehörenden Stöckli muss zeitweise gekäst oder gelegentlich hinter verschlossener Tür auch Obst «veredelt» worden sein. Vermutlich im 19. Jahrhundert kam das Haus in Besitz der Familie Reusser. Älteren Steffisburgern mag das Ehepaar Gottfried und Rosa Reusser-Guggisberg mit fünf Kindern und dem Knecht «Hölzli-Chrigu» noch ein Begriff sein. Sohn Ernst, heute 84-jährig, erinnert sich an seine Jugendjahre: «Dreimal in der Woche fuhr die Mutter mit Ross und Wagen, beladen mit Eiern und Nüsslersalat, auf den Markt nach Thun.» Drei grosse Körbe mit «Nüssler» seien auf der Mauer vor dem Waisenhaus schnell verkauft gewesen, das Kilo für fünf Franken – ein willkommener Zustupf an den schwierigen Lebensunterhalt der Kleinbauern. Geld für dringende Sanierungen am Gebäude war wenig vorhanden. In den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts konnten wenigstens die Ründi und die Brüstungen erneuert werden. Im Jahr 1963 übernahm Sohn Ernst die Liegenschaft, zu der auch landwirtschaftliche Nutzflächen, Obstbäume und Wald gehören. Eine Sanierung war dringend nötig geworden. In den Jahren 1976/77 baute er mit Sohn Ueli das Haus zum reinen Wohnhaus um. 

Text von 27,4 Meter Länge

Mit der Unterstützung der Denkmalpflege konnte im vergangenen Jahr der stark verwitterten Schrift neue Kraft verliehen werden. In abgedunkeltem Zustand und mit Streiflicht fanden die Restauratoren Roger Tinguely aus Steffisburg und Hans Salzmann von der Schwarzenegg den genauen Wortlaut. In ihrem Arbeitsbeschrieb ist zu lesen: «Die Befunde zeigen, dass die Inschrift im Wortwechsel in grüner und blauer Ölfarbe mit schwarzer Kontur gestaltet war.» Die beiden Spezialisten fanden das Farbprogramm auf den Konsolen mit den Farbtönen in Oxidrot, Ockergelb, Kupfergrün, Berlinerblau und Schwarz. «Eine eher seltene Kombination, der Wechsel von blau und grün, da blau eine teure Farbe war», meint Roger Tinguely. Die Restaurierung der Frakturinschrift, welche über drei Hausseiten und total 27,4 Meter läuft, dauerte rund zwei Monate. Verwendet wurden natürliche Farbpigmente und Leinöl. Bevor jedoch der Pinsel zum Einsatz kam, musste Dispersionsfarbe aus dem 20. Jahrhundert entfernt werden und die verwitterten Karnies-Friese wurden nachgeschnitzt. Die Inschrift wurde nach den Farbbefunden mit Künstlerölfarbe in Handmischung nachgezeichnet, die Konsolenmalereien nach den Befunden lasierend retuschiert und die schwarze Kontur nachgezogen. «Die Farbigkeit zeugt vom Denken des Erbauers, der kulturelle Einfluss des Spätbarocks ist unverkennbar», erklärt Hans Salzmann. Ihre Recherchen hätten ergeben, dass der gleiche Maler auch auf dem Belpberg und in Gerzensee tätig war.

Neues Leben in altem Haus

Heute wird das Haus von Ernst Reussers Enkelin Christa Schwarz-Reusser und deren Gatte Benjamin bewohnt. Zwei ihrer drei Kinder kamen hier per Hausgeburt zur Welt. «Wir haben damit dem Haus neues Leben eingehaucht», sagt Christa Schwarz. Im Garten pflegt die junge Familie das ökologische Gleichgewicht. «Die Pflanzen- und Tierwelt sind uns sehr wichtig», meint Benjamin Schwarz, auf einen neu angelegten Kräutergarten hinweisend. Dass der Ort speziell ist, beweist auch eine seit Jahren ansässige mittlere Population von Geburtshelferkröten direkt neben dem Haus. Dem «Glögglifrösch» scheint es hier, auch mit neu angelegten Steinmauern und einem Biotop, bestens zu gefallen. Etwas daneben steht immer noch das Hühnerhaus der Urgrossmutter – jetzt benutzt als Therapie- und Massageraum. «Das ist über Jahrzehnte bis heute in Frauenhand geblieben …», lacht die Urgrossenkelin. Nur der «Nüssler» für den Markt ist Geschichte.

Dass der Ort speziell ist, beweist auch eine seit Jahren ansässige mittlere Population von Geburtshelferkröten.

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