Neues Leben im ehemaligen Hotel

Neues Leben im ehemaligen Hotel

Neues Leben im ehemaligen Hotel

Das einstige Hotel Erica beherbergte über Jahrzehnte Gäste aus aller Welt und diente später als Schulhaus. Heute erfreuen sich vier Familien an den grosszügigen Räumen dieses alten Schmuckstücks. Das zeitgemässe Wohnen ist in der Spiezer Bucht eingezogen.

Text & Fotos: Beat Straubhaar

Seine gediegene Atmosphäre bietet dem Gast schönsten Aufenthalt. Salons, Terrassen und Balkone. Zentralheizung, 40 Betten. Fliessend Heiss- und Kaltwasser. Bäder. Eigener Parkplatz.» Mit diesen Vorzügen warb ein Prospekt aus der Mitte des letzten Jahrhunderts für den Aufenthalt im Garni Hotel Erica. Auf älteren Aufnahmen der Spiezer Bucht sieht man die bescheiden wirkende Sommer-Pension, die sich durch einen Saalanbau zum Hotel Erica entwickelte, zwischen dem damaligen Kurhaus Blümlisalp, dem Schlosshotel Schonegg und dem Parkhotel. In dieser Zeit, vor dem Zweiten Weltkrieg, bildeten Waschkrug und Schüssel in den Zimmern die einzigen sanitären Einrichtungen, neben den Wasserklosetts auf den Etagen. Im Garten luden bedruckte Blechschilder zu «Restauration» und «Afternoon Tea» ein.


Bewegte Geschichte

Aus alten Grundbüchern und Aufzeichnungen im Staatsarchiv Bern geht hervor, dass an diesem Ort von 1570 bis 1887 eine Mühle stand. Betrieben wurde das Mühlenrad mit Wasser des Ursprungbrunnens und dem eigens dafür gebauten Mühlebächli vom Faulenseewald her. Auf kleinen Fusspfaden wurden Dinkel, Weizen, Gerste, Roggen, Hafer und Hirse zur Mühle getragen und zu Mehl verarbeitet – über dreihundert Jahre. Nach schwierigen Zeiten und vielen personellen Wechseln ersteigerte ein Gerbermeister aus dem Kandertal das Gebäude und betrieb fortan eine Gerberei. 1898 kaufte der Hotelier Friedrich Bassler das Gebäude und baute es zur Pension Erica um. 1927 erstand Rosa Schneider-Lörtscher die Pension und führte diese während Jahrzehnten mit ihrer Tochter als Hotel.

Übers Schul- zum Wohnhaus 

1984 erwarb die Vereinigung Rudolf-Steiner-Schule Berner Oberland die Liegenschaft und nutzte sie für den Schulbetrieb, bis die Schule dreizehn Jahre später in Steffisburg ins umgebaute Astra-Verwaltungsgebäude einziehen konnte. Nach dem Auszug der Schule war es schwierig, das Gebäude und das dazugehörende Land einer neuen Nutzung zuzuführen. Das ehemalige Hotel war stark renovationsbedürftig und stand unter Denkmalschutz. Dem von der Rudolf-Steiner-Schule beauftragten Thuner Architekten Hans Beutler gelang es, in einer langwierigen Prozessbegleitung eine Überbauungsordnung übers gesamte Grundstück zu erwirken, darauf fünf Einfamilienhäuser zu realisieren und fürs ehemalige «Erica» vier Familien als Stockwerkeigentümer zu finden. Damit war der mittlerweile hundertjährige, leerstehende Riegbau gerettet und die Sanierung konnte beginnen. Aus dem Architekten Beutler wurde ein kreativer Baubegleiter.

Wer blickt schon beim Aufstehen in Reben, auf ein Schloss und über den See zu den Bergen?

Gemeinsamer Planungsprozess

Um dem alten Hotel neues Familienleben einzuhauchen, brauchte es auch das Engagement der neuen Besitzer. «Wir tauchten im Jahr 2000 alle gemeinsam in den Planungsprozess ein», erinnert sich Hans Beutler heute. «Wir wollten die neue Nutzung subtil in die alte legen.» Zuerst wurde in der Planung die Grundstruktur angepasst. Von Anfang an war klar, welches der drei Vollgeschosse und der Dachstock welcher Familie gehören würde. Dann galt es, in einem gemeinsamen Prozess Wünsche zu klären und zu definieren, welche Arbeiten von den neuen Besitzern selber gemacht werden könnten. «Am Abbruch konnten die vier Parteien am besten Hand anlegen», erklärt der Architekt. Die Bewohnerin Andrea Neuhaus erinnert sich: «Eine Woche nach der Geburt unserer ersten Tochter fand die erste Bausitzung statt, was sich dann wöchentlich wiederholte, natürlich immer mit dem Baby. Zwei Monate nach der Geburt war ich dann bereits mit der Motorsäge unterwegs», sagt sie lachend. Der nachträglich angebaute Saal wurde abgebrochen, die Aussenhülle repariert und das Gebäude thermisch isoliert. Die 145 Quadratmeter grossen Wohnungen erhielten neue Türen und Böden. Auf der Südwestseite gegen den Hang wurden moderne Balkone angebaut. Dort geniessen die Familien heute milde Abende in der Sonne. Nachdem die Handwerker die baulichen Anpassungen erledigt hatten, erhielt das Gebäude im Innern Farbe, einheitlich designte Küchen und Bäder. Unter Anleitung der Farbspezialisten lasierten die neuen Bewohner gemeinsam mit Freunden ihre eigenen vier Wände nach einem ökologischen Farbkonzept. 

Das gemeinsame Anpacken und die wöchentlichen Bausitzungen bildeten ein ideales Fundament für die entstandene Hausgemeinschaft sowie für das künftige Zusammenleben. Die vier Besitzerfamilien wissen auch die im Prospekt des ehemaligen Hotels Erica angepriesene Lage für Ferienaufenthalte zu schätzen. Wer blickt schon beim Aufstehen in Reben, auf ein Schloss und über den See zu den Bergen? «Wir haben den damals mutigen Entscheid nie bereut, wir sind hier glücklich», betont Andrea Neuhaus. Diese Art des zeitgemässen Wohnens hat Nachahmer gefunden. Hans Beutler der Beutler Breitenstein Röthlisberger Architekten AG Thun hat neben dem geschichtsträchtigen «Erica» das Objekt «Dreifamilienhaus Mühlegässli 21» gemeinsam mit drei Familien umgebaut. Die beiden Zeitzeugen stehen nun in einem Kontext und bilden in Stil und Farbe eine harmonische Einheit mit der grünen Bucht.

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