Ovales Kirchenjuwel in Allmendingen bei Thun
Ovales Kirchenjuwel in Allmendingen bei Thun
Die 1995 eröffnete Kirche Allmendingen entwickelte sich schnell zu einem öffentlichen Bauwerk im Zentrum des Lebens dieses Thuner Stadtteils. Mit ihrer Bauweise fügt sie sich nahtlos in ihre Umgebung ein, setzt aber zugleich markante architektonische Akzente und ist heute fest im Ortsbild von Allmendingen verankert.
Text: Carmen Frei | Fotos: Roger Baumer/SQWER AG, Christian Helmle
Die Kirche Allmendingen gehört zur Kirchgemeinde Thun-Strättligen und ist Teil der seit 1967 bestehenden Reformierten Gesamtkirchgemeinde Thun, die insgesamt fünf Kirchgemeinden umfasst. Mit dem anhaltenden Bevölkerungswachstum seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nahmen in diesen Kirchgemeinden die kirchlichen Angebote zu: In den frühen 1950er-Jahren erhielten etwa Goldiwil-Schwendibach und das Lerchenfeld eigene Kirchen, damit die Gottesdienste nicht mehr in Schulhäusern oder Restaurantsälen stattfinden mussten. 1995 wurde Allmendingen schliesslich eine eigene Kirche zuteil.
Mit deren Bau wurde das Architekturbüro Sylvia & Kurt Schenk-Architekten in Bern betraut, das sich zuvor mit Arbeiten wie dem Umbau und der Renovation des Schlosses in Belp einen Namen gemacht hatte. Nach 1995 hinterliessen diese Architekten weiterhin eindrückliche Spuren in der Region Thunersee: Sie gewannen namhafte Architekturwettbewerbe und planten unter anderem den Bahnhofplatz Interlaken Ost und das Burgergut Thun.
Für die Kirche Allmendingen legten Sylvia und Kurt Schenk von Beginn an grossen Wert auf den Rückbezug auf ältere Kirchenbauten in der Region Thunersee. Viele kleinere
Kirchen in der Gegend sind mit steinernen
Böden ausgestattet und haben dicke, weiss verputzte Wände sowie ein Dach aus typischem Holz der Region. All diese Elemente finden sich in der Kirche Allmendingen. Sie führt so die traditionelle Bauweise von Gotteshäusern weiter und stellt sich in eine lange Reihe von Bauten in der Region, die teilweise Jahrhunderte überdauert haben.
Der ovale Grundriss des Kirchengebäudes dagegen war eine Neuheit in der Region und ist für viele Besucher die erste Besonderheit, die man direkt wahrnimmt. Hinter diesem Merkmal stand unter anderem eine kirchliche Überlegung: Im Zentrum der Kirche sollten der Mensch und das Wort Gottes stehen – nicht nur auf die Verkündigung bezogen, sondern auch im ganz konkreten räumlichen Sinne. In der ovalen Form verwirklicht sich dieser Anspruch: Sie umschmiegt die Gottesdienstbesucher in gewisser Weise, stellt aber zugleich sicher, dass die räumliche Ausrichtung auf die Pfarrperson bestehen bleibt.
Ein bedeutendes Element, das in jedem Kirchenbau berücksichtigt werden muss, ist die Akustik. In Allmendingen gilt das – wie in vielen anderen Kirchen – in zweierlei Hinsicht: Einerseits soll natürlich die Predigt gut verständlich sein, andererseits sollte für die Orgel auf der Empore eine ideale Akustik bestehen. Dies gilt umso mehr, als die Orgel, die in der Kirche Allmendingen eingebaut wurde, eine der grössten in der Reformierten Gesamtkirchgemeinde Thun ist. Entsprechend hat die Kirche Allmendingen eine Bedeutung, die über Allmendingen hinausgeht.
Aufgrund der räumlichen Anordnung ist es immer schwierig, die Akustik so zu gestalten, dass sie sowohl für das gesprochene Wort als auch für die Töne der Orgel ideal ist. Daher wurden einige Jahre nach der Eröffnung der Kirche einige Dämmelemente an der Decke eingebaut, um die Balance zwischen Orgel und Predigt zu optimieren.
Die Architekten legten grossen Wert auf den Rückbezug auf ältere Kirchenbauten.
Der Chorbereich veranschaulicht einen zweiten Aspekt, der beim Bau der Kirche von zentraler Bedeutung war: Licht. Das grosse Kreuz ist durch ein Fenster, das für die Gottesdienstbesucher unsichtbar bleibt, indirekt erleuchtet. Das Viereck ist deshalb von einem erkennbaren Schein umgeben. Dieses Beleuchtungsdetail lenkt den Blick unwillkürlich auf den Chor als Bezugspunkt der Liturgie. In andere Aspekte der Beleuchtung wurde ebenfalls viel Zeit investiert. So erlaubt das Fensterband, welches das Kirchenoval in luftiger Höhe umkreist, dank der eingebauten Lamellen eine detailgenaue Anpassung der Lichtsituation.
Ein bei vielen Kirchen vorhandenes Bauprinzip ist die Ostung: die Ausrichtung des Chors nach Osten. Dahinter steckt das bekannte Schlagwort «ex oriente lux» – aus dem Osten kommt das Licht. Das gilt nicht nur für den Sonnenaufgang, sondern auch dafür, dass das Christentum als religiöse
Erleuchtung aus europäischer Sicht ebenfalls aus dem Osten kam. Bei der Kirche
Allmendingen war es aus Platzgründen nicht möglich, das Kirchengebäude nach Osten auszurichten. Stattdessen haben die Architekten in die östliche Wand deutlich mehr Fenster eingebaut als in die westliche. Darum kommt nun auch in Allmendingen das Licht in der Kirche wortwörtlich aus dem Osten, was man vor allem in der Morgenpredigt sehr gut merkt.
Mit ihrer zentralen Lage im Stadtteil war von Beginn weg klar, dass sich die Kirche in das vorhandene Gefüge des Allmendinger Zentrums integrieren musste. Unter den damals vorhandenen Gebäuden identifizierten Sylvia und Kurt Schenk mehrere Häuser, an die sie die Kirche besonders ausrichteten. Dazu gehörte die alte Post schräg vis-à-vis dem Bauplatz, die heute jedoch nicht mehr steht. Ein zweiter Altbau mit grosser Bedeutung war das ehemalige Schulhaus, das in ein Pfarrhaus umgebaut wurde. Mit diesen und einigen anderen Gebäuden sollte die Kirche in eine räumliche und architektonische Beziehung treten.
Beim Umbau des früheren Schulhauses legten die Architekten Wert darauf, die Räume insbesondere im ersten Stock so zu verändern, dass man sie später wieder in den vorherigen Zustand zurückversetzen könnte. Dahinter stand die Überzeugung, dass die Nutzung von Gebäuden sich stets schneller ändert als die Architektur und es darum keinen Sinn macht, sozusagen gegen die Häuser zu bauen. Tatsächlich wurde ein Teil der Änderungen im umgebauten Pfarrhaus inzwischen wieder rückgängig gemacht.
Neben der Orientierung an bestehenden Gebäuden war die Einbettung ins Gesamtbild des Dorfzentrums wichtig. Dazu gehörte etwa, dass ein Bach in der Nähe wieder an die Oberfläche geholt wurde. Da dieses Gewässer nach Thun fliesst, kam ein weiterer Bezug an die Stadt zustande, zu der Allmendingen ebenso gehört wie die Kirchgemeinde.
Bewusst legten die Architekten Wert darauf, die Kirche nicht zu prominent an die Kreuzung zu platzieren. Darum steht lediglich der Kirchturm an hervorgehobener Position – der Rest der Kirche zieht sich quasi in den umgebenden Garten zurück. Dadurch nimmt die Kirche die ihr zustehende Rolle im Dorfzentrum ein, dominiert die direkte Umgebung aber in keiner Weise. Vielmehr fügt sie sich ins Gesamtensemble ein, als wäre sie schon immer dort gewesen. Sie ergänzt markante Akzente zum Dorfbild, ohne es im Alleingang neu zu definieren.
Bis heute wird die Kirche Allmendingen intensiv genutzt, was so bleiben wird. Die Bauweise hat sich als ebenso funktional wie ästhetisch erwiesen, sodass die Gemeinde nicht nur ein architektonisches Wahrzeichen, sondern auch eine nützliche Erweiterung des Dorfzentrums erhalten hat.