Historisches Ensemble am oberen Seeufer

Historisches Ensemble am oberen Seeufer

Historisches Ensemble am oberen Seeufer

Das Hotel Restaurant Neuhaus zum See und die daneben liegende Sust haben eine lange, bewegte Geschichte. Immer wieder spielte das nahe Wasser des Thunersees eine wichtige Rolle – im Guten wie im Schlechten. 

Text: Michael Borter

Auf dem Tisch liegen dramatische Hochwasserbilder aus dem Jahre 2005, draussen peitscht der Westwind die Gischt an die Mole. Irmgard Zenger-Ritschard ist mit dem Aufdecken von Tischen beschäftigt. Eben hat sie ihre dreissigste Saison im Restaurant Neuhaus zum See gestartet. Sie ist Verwaltungsratspräsidentin der Neuhaus Manor Farm AG, der ebenfalls ihre Brüder Jürgen, Geschäftsführer der Unternehmung, und Urs Ritschard angehören. Die Aktien des Betriebs sind ausnahmslos in Familienbesitz. 

Die Nähe zum Wasser

Das Hotel Neuhaus und seine nähere Umgebung gehören zu den attraktivsten Lagen im Raum Interlaken. Die Liegenschaft liegt ruhig am Rand des Natur- und Vogelschutzgebietes Weissenau, mit wunderbaren Spazierwegen, direkt am See. Viele der Hotelgäste sind Stammkunden, welche den Blick übers Wasser zum markanten Niesen sowie die stimmungsvollen Sonnenuntergänge über alles lieben. Das flache Gebiet ist aber bei Überschwemmungen durch den Lombach und den Thunersee betroffen. «Die Schwelle zum Restaurant liegt lediglich 20 Zentimeter über der Schadensgrenze des Sees», erklärt Irmgard Zenger. Ihr sind die beiden Hochwasser von 1999 und 2005 sehr präsent, aber auch die bewegte Geschichte des Hotel Neuhaus und seiner früheren Besitzer oder Pächter. Nicht allen war das Glück hold.

Seeweg als sicherste Verbindung

erstmals im Jahre 1539 erwähnt, doch gehen Spuren dieser wichtigen Stelle ins frühere Mittelalter zurück. Die Anlegestelle «Sust zu Platten» war jahrhundertelang ein wichtiger Anlege-, Sammel- und Lageplatz für den gesamten Personen- und Warenverkehr ins östliche Oberland. Die wenigen Wege entlang des Sees galten damals als sehr gefährlich. Um 1500 war es das Kloster Interlaken, das im Neuhaus eine Umlade-Einrichtung unterhielt. 1528 löste der Staat Bern das Kloster auf und der Besitz, inklusive Landungsplatz, ging in seinen Besitz über. Die Gemeinden Aarmühle (heute Interlaken), Unterseen, Ringgenberg und die Herrschaft Unspunnen realisierten 1543 unter grossen Kosten einen Neubau der Anlagen. Diese mussten im Jahre 1678 erneut einem neuen Gebäude weichen, auf dessen Grundmauern das heutige Neuhaus ruht. Die Form des Gebäudes stammt aus der Zeit nach 1747, als wieder einmal der Lombach die gesamte Anlage verwüstete und einen Neubau nötig machte. 

Tourismus profitierte
So zerstörerisch, wie sich das Wasser gegenüber den Liegenschaften auch verhielt, so positiv wirkte es sich auf die Entwicklung des Ortes und die touristische Entwicklung aus. Zuerst waren es ausschliesslich Ruderboote mit Segelhilfen, welche in fünf Stunden die Touristen von Thun nach Interlaken brachten. 130 Schiffer verdienten sich damit ihren Lebensunterhalt. Mit dem ersten Dampfschiff der drei Brüder Knechtenhofer, der «Bellevue», stieg die Besucherfrequenz schlagartig. Zeitweise warteten bis zu hundert Pferdekutschen beim Neuhaus, um die Reisenden weiter an ihr Ziel zu bringen. Mit der Eröffnung der Bödelibahn und der Erweiterung der Eisenbahnlinie von Thun nach Spiez und Därligen im Jahre 1893 verlor die Schifffahrt an Bedeutung und das Gasthaus Neuhaus mit der Hafenanlage verfiel. Geschäftsleute aus Interlaken hauchten dem historischen Gebäude 1936 erneut Leben ein und vier Jahre später wurde das Neuhaus wieder Anlegestelle der Thunersee-Schifffahrt.

Der historische Wert 

Sowohl das Hotel-Restaurant als auch das heute Sust genannte Ökonomiegebäude stehen unter Denkmalschutz und sind im Bauinventar der Gemeinde Unterseen als schützenswert eingestuft. Das mächtige, von weitem sichtbare Restaurant ist ein voluminöser Putzbau mit grossem Halbwalmdach. Im Bereich der Lauben, der Fassadenöffnungen und Dachaufbauten wurden verschiedentlich Veränderungen vorgenommen. Die offensichtlichste, in den Jahren 1936/37 angebrachte, ist ein eingeschossiger Flachdachanbau auf der siebenachsigen Westfassade. Die heutige Besitzerin hat die Verbindung dieser Veranda zum Hauptgebäude hin mit Bullaugen versehen. Das daneben stehende Ökonomiegebäude mit Wohnraum diente über Jahre als Angestellten-Zimmer. Da die Liegenschaft jedoch vollständig in der Gefahrenzone «rot» liegt und mit einem Bau- und Umnutzungsverbot belegt ist, besteht im Moment kein Anreiz für Neuinvestitionen. Das Gebäude dient heute als Lager- und Werkstattraum. «Vielleicht ändert sich mit dem Hochwasserstollen in Thun auch die Gefahreneinstufung einmal», sinniert Irmgard Zenger.

Kunst im Hotel 

Neben der Renovation des Anbaus und der jährlichen Sanierung von drei bis vier Hotelzimmern sorgen die Besitzer für den Erhalt des attraktiven Hauses und des ebenso attraktiven Angebots. Für die nächsten Jahre ist zusätzlich der Ersatz der in die Jahre gekommenen Badekabinen vorgesehen, welche den Geländebereich im Osten abtrennen. Zum Neuhaus Golf- und Strandhotel gehört eine Résidence, das 1959 eröffnete Motel. «Obschon die Motels immer mehr verschwinden, unsere Familienzimmer sind weiterhin sehr beliebt», erklärt die Hotelière. In ihrer täglichen Arbeit wird sie von ihrer Tochter Evelyne und den beiden Söhnen Andreas und Nicolas unterstützt. In den zwei Gebäuden stehen 44 Zimmer bereit, in der Veranda und dem Saal lassen sich herrlich Feste feiern. Sehr speziell ist, dass in fast allen Räumen des Hotels Originalbilder hängen. Der Vorfahre der heutigen Besitzer war der berühmte Bergmaler Gustav Ritschard (1911–1997), seines Zeichens Gründer des Campings Manor-Farm, auf der andern Seite des Lombachs. Berggänger, -wanderer und Kunstfreunde verbinden ihren Restaurant- oder Hotelbesuch somit mit einem kulturellen Ausflug in die Welt der Gipfel und Grate des Berner Oberlandes. Draussen vor dem Fenster wirbelt der Westwind die Schneeflocken immer noch umher. Gelegentlich blickt die Sonne durch die Schneewolken, doch die wunderbare Pyramide des Niesens bleibt verhangen. Bedrohlich ziehen die grauen Wolken dem «Bödeli» entgegen – zum Glück haben die Ruderboote mit Segelunterstützung ausgedient. Heute wäre es ein happiges Stück Arbeit, Thun gegen den Wind anzusteuern. Und die fünfstündige Fahrt auf dem Nauen würde recht kühl.

«Speziell ist, dass in fast allen Räumen des Hotels Originalbilder hängen.»

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