Das Schloss und der Kubus

Das Schloss und der Kubus

Das Schloss und der Kubus

Das Schloss Oberhofen schmückt seit Jahrhunderten das Ufer des Thunersees. Der eindrückliche Zeitzeuge war schon immer ein Blickfang, doch seit gut drei Jahren dürften einige zweimal hinschauen: Was macht ein Beton-Glas-Kubus in einer historischen Schlossanlage? Die Antwort ist simpel: Zeitzeugen erhalten!

Text: Michael Borter

Wir schreiben das Jahr 2009. Märchenhaft sieht es aus, das Schloss Oberhofen, ein Zeuge alter Zeiten, wie man so schön sagt. Ein altehrwürdiger Steinbau mit Türmen und Türmchen, allesamt mit spitzigen Dächern, dazu eine kleine Warte, besonders wagemutig ins Gewässer gebaut und mit dem Schloss nur durch einen Quader verbunden. Dann ein verwunschenes Rosengärtchen, flankiert von vier sauber geschnittenen Pappeln, daneben, wie Eisenbahnwagons aneinandergereiht, kleinere Bauten, unterbrochen vom mächtigen Turm mit dem Eingangstor, und an der Uferfront, gleichsam die Schlossmauern abschliessend, ein kleinerer Eckturm, dessen Fassade bis auf eine bescheidene Fensterauslassung durch und durch mit Efeu bewachsen ist. Ein Postkartensujet par excellence, dieses Schloss Oberhofen, das sich seinen Betrachtern besonders dann schön präsentiert, wenn man es von der Seeseite zu Gesicht bekommt. Ein Bau, so denkt man, wie er schon seit Jahrhunderten Bestand hat und noch Jahrhunderte überdauern wird. Doch die äussere Erscheinung täuscht. Im Schloss Oberhofen, im Schlosspark und in den dem Schloss zugehörigen Gebäuden, den sogenannten Dependenzgebäuden, gehen seit einiger Zeit gewichtige Veränderungen vor. Das Jahr 2009 ist für das Schloss Oberhofen diesbezüglich in vieler Hinsicht ein Schicksalsjahr. 

Das «Gebäude 1»

Wir befinden uns vor den Dependenzgebäuden des Schlosses, es ist Frühjahr 2016. Wo einst das «Gebäude 1» seinen Platz hatte, jenes Gebäude, das zwischen dem Eckturm und dem damaligen Rosengarten stand und das malerische Bild des Schlosses Oberhofen zur Seeseite hin komplettierte, steht jetzt ein kubusförmiges Gebilde aus Beton und Glas: das Restaurant Schloss Oberhofen. Es ist ein sonniger Tag, einige Gäste sitzen draussen auf der Restaurantterrasse, andere haben es sich im Inneren des Kubus bequem gemacht. Gemeinsam ist beiden Gästegruppen, dass sie die wunderbare Sicht auf den See geniessen können – das Restaurant zeichnet sich nämlich durch riesige Panoramafenster aus. «Mit dem Bau des Restaurants Schloss Oberhofen haben wir eine Brücke ins 21. Jahrhundert geschlagen», erklärt Christina Fankhauser, Kuratorin und Geschäftsleiterin der Stiftung Schloss Oberhofen, den Bauentscheid. Man habe keine architektonische Maskerade betreiben und einen künstlich-historisierenden Bau hinstellen wollen. Vielmehr spreche ja gerade die Baugeschichte des Schlossanwesens selbst dafür, die Erweiterung des 21. Jahrhunderts als solche sichtbar zu machen, denn auch alle früheren Generationen, die am Schloss um- und angebaut haben, vollführten dies jeweils im ihrer Zeit entsprechenden architektonischen Stil. 

Ein Ensemble aus verschiedenen Zeiten

Gebaut wurde am und rund ums Schloss Oberhofen seit seiner Errichtung im 13. Jahrhundert eigentlich schon immer. Die Dependenzgebäude beziehungsweise ihre Vorgängerbauten sind beispielsweise erst Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden. Gut hundert Jahre später – das Schloss ist mittlerweile in Privatbesitz übergegangen – wurden unter dem Grafen de Pourtalès weitere grundlegende Umgestaltungen und Erweiterungen vorgenommen. Der vorher landwirtschaftlich genutzte Garten wird zum Landschaftspark umgestaltet und die Dependenzgebäude 2–6 werden errichtet. Alles bauliche Eingriffe, die massgeblich für die heutige Erscheinung des Schlosses verantwortlich sind. Erst 1910 erfolgte die Erweiterung der Dependenzen um das Gebäude 1 – jenes Gebäude, an dessen Stelle heute der Kubus steht. 1952 dann die nächste gewichtige Veränderung, wenn auch nicht unbedingt architektonischer Natur: Das Schloss Oberhofen geht vom Privatbesitz über in Besitz der öffentlichen Hand, genauer gesagt in die Verwaltung des Bernischen Historischen Museums. Die Schlossanlage wird in Folge zum Museum umfunktioniert und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht, die Dependenzgebäude einmal mehr umgebaut und für die Verwaltung des Schloss- und Museumbetriebs hergerichtet. 

Die Stiftung Schloss Oberhofen
Zurück ins Jahr 2009 und zur nächsten Zäsur in der bewegten Geschichte des ehemaligen Herrschaftshauses. Es ist jenes Jahr, in dem die Stiftung Schloss Oberhofen ins Leben gerufen wurde. Mit dieser souveränen Einrichtung wurde der bis anhin an das Bernische Historische Museum gekoppelte Schlossbetrieb unabhängig – und die ersten Schritte in Richtung einer neuen Ära gewagt. Denn schon länger hatte man laut darüber nachgedacht, den Schlossbetrieb durch eine nachhaltige Aufwertung ins neue Jahrtausend überzuführen. Doch erst jetzt konnten durch die Gründung der Stiftung die Handlungsmassstäbe neu definiert und ein entsprechendes Nutzungskonzept entworfen werden. Die bereits 2007 angedachte Idee eines Kiosks inklusive überdachter Terrasse wurde aus ökonomischen Bedenken verworfen und stattdessen der Bau eines kompletten Restaurants angestrebt. Mit den baulichen Massnahmen wurden die Münsterarchitekten Hermann Häberli und Annette Loeffel der Häberli Architekten AG betraut. Das auf Sanierung, Instandhaltung und Denkmalpflege spezialisierte Unternehmen war bereits seit 2001 regelmässig mit kleineren Renovations- und Reparaturarbeiten an der Schlossanlage betraut und leitete ebenfalls die von 2007 bis 2010 dauernde Gesamtsanierung der Gebäude 3–6.

Neue Wände auf historischen Befunden 

«Es war ein ambitioniertes Projekt», erinnert sich die Architektin Annette Loeffel, «und wartete ständig mit neuen Herausforderungen auf.» Man habe nicht einfach einen Neubau hinstellen wollen, sondern versucht, auf die vor Ort angetroffenen historischen Befunde zu reagieren – innen wie aussen. So achtete man beispielsweise darauf, dass die Traufhöhe auf der gleichen Linie ist wie die der anderen Gebäude, dass die Proportionen, genauso wie bestimmte bauliche Elemente, wie Eingang beziehungsweise Tore, im Verhältnis zum Bestehenden funktionieren. Gleichzeitig musste man das architektonische Kunststück vollbringen, das aufgrund des historischen Gebäudeumrisses doch eher kleine neue Gebäude 1 gastronomisch sinnvoll zu konstruieren: Wo bringt man die notwendige Technik unter? Die Heizung? Wo das Lager für den Gastronomiebetrieb? «Hier ging es raumplanerisch um Millimeter», bestätigt Annette Loeffel. Dazu kamen zahlreiche weitere Prüfsteine wie statische und witterungsschutztechnische Herausforderungen sowie verschiedenste Einschränkungen, angefangen beim Kostenrahmen und dem knappen Zeitfaktor bis hin zu zahlreichen baulichen Vorgaben (Denkmalpflege, Uferschutz, Heimatschutz, selbst die Schifffahrt war ein Thema), die alle diskutiert und beurteilt werden mussten. 

Durch Erneuerung Historisches Bewahren

Herausgekommen ist ein mutiges Gebilde, dem auf bemerkenswerte Weise die Synthese von Alt und Neu gelingt. Gemeint sind nicht einfach die modernen Formen, die den historischen Befunden Rechnung tragen. «Der Bau des Restaurants Schloss Oberhofen ist ein Meilenstein in der Entwicklung des Schlosses», schwärmt Christina Fankhauser und verweist dabei auf mehr als die baulichen Aspekte. Der Kubus-Meilenstein ist in einem grösseren Zusammenhang zu verstehen: Historisches wird auf neue Art und Weise zugänglich gemacht, indem es mit einer modernen Infrastruktur unterlegt wird. Das Restaurant Schloss Oberhofen zieht neue Gäste an, indem es zeitgerecht auf die bestehenden Bedürfnisse eingeht. Davon profitiert auch das Schloss. Der museale Aspekt der Schlossanlage kann erhalten und gefördert werden, indem das (gastronomische) Angebot optimiert wird. Zudem sei Weiteres in Planung, verrät Christina Fankhauser, Schritt für Schritt gehe es nun vorwärts. Die Erneuerungen, die nun durch den Kubus auch visuell sichtbar geworden sind, werden nach und nach ins Innere des Schlosses getragen. Und wie beim Restaurant Schloss Oberhofen gehe es nicht darum, das Alte zu verdrängen, ganz im Gegenteil: Historisches soll einem noch grösseren Publikum zugänglich gemacht werden, indem es aufbereitet, erfahrbar und erlebbar gemacht wird.

Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch aussieht, hat Konzept: Erneuerung – auf dass die Zeitzeugen erhalten bleiben.

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