Wo früher Funken flogen…
Wo früher Funken flogen…
…fliegen nun Stühle sowie kreative Ideen durch die Halle. Gemeint ist die renovierte Konzepthalle 6 im Selve-Areal, die heute als Kompetenzzentrum für Design, Kultur, Gastronomie, Business und Architektur genutzt wird.
Text: Monica Schulthess Zettel | Fotos: Sandra Amport, Tabea Reusser, Marc Riesen, Monica Schulthess Zettel
Der Industrielle Gustav Selve gründete im Jahr 1895 in Thun die Schweizerischen Metallwerke Selve & Co. Produziert wurden Buntmetallfabrikate, wozu unter anderem Walz-, Press- und Ziehwerke benötigt wurden wie auch Öfen für Giessereiarbeiten. Bis zu 1400 Arbeiter fanden hier Arbeit, wovon die ganze Region profitierte.
Die Halle 6
Auf dem rund 33 000 m2 grossen Gelände entstanden viele Gebäude, unter anderem im Jahre 1917 an der Scheibenstrasse 6 – direkt an der Aare gelegen – die Halle 6, wofür der Architekt Alfred Lanzrein die Pläne entworfen hatte. Die langgezogene zweischiffige Fabrikhalle wurde als Eisenbetontragwerk erbaut, mit verputzten Backsteinmauern und Fenstern, deren untere Hälfte mittels Kurbeln zur Belüftung nach oben gezogen werden konnte. Darüber kam ein Doppel-Satteldach mit ebenfalls zu öffnenden Dachoblichtern sowie ein hoher, markanter Kamin. Nord- und westseitig wurden in den Jahren 1928 und 1930 Ergänzungen angebracht. Zur Strasse hin präsentiert sich der Bau mit einer repräsentativen, antikisierenden Fassade. Im Innern wurde unter anderem ein Presswerk betrieben, wo Metalle mit bis zu 800 Tonnen Druck durch die Maschine gepresst wurden und hinten als Drähte zur Weiterverarbeitung herauskamen.
Der Niedergang
Eigentlich hätte diese Erfolgsgeschichte der Selve-Werke noch so schön weitergehen können, doch es kam anders. Der Wettbewerbsdruck wurde grösser, und auch Zusammenschlüsse mit Mitkonkurrenten konnten den Niedergang nicht aufhalten. Und mit Werner K. Rey gelang kein Aufschwung, sondern der Anfang vom Ende wurde eingeläutet. Es folgten erste Werkschliessungen und im Jahr 1993 verloren die letzten etwas über 400 Arbeiter ihren Job, womit mit einer bedeutenden Ära der Selve-Metallindustrie-Geschichte abgeschlossen werden musste.
In den kommenden Jahren entstand eine regelrechte Industriebrache, welche jedoch nicht leer stand, sondern vielseitig und nicht immer legal genutzt wurde. Unter anderem Dancing- und Barbetriebe mit Konzertbühnen verwandelten das ehemalige Industriegelände in eine schweizweit bekannte Partymeile. Aber auch Ateliers, Clublokale und Lagerräume wurden betrieben, und für Spass und Action sorgten eine Go-Kart-Bahn sowie eine Halfpipe. Auch das eine oder andere grüne Pflänzchen wuchs, was unter anderem wegen starker Rauchentwicklung zu einem Einsatz der Feuerwehr führte.
Doch die nicht mehr unterhaltenen Gebäude verwitterten, und die Sanierung der Altlasten sollte zeitnah an die Hand genommen werden. Die Stadt Thun alleine verfügte jedoch nicht über die finanziellen Mittel. Zusammen mit dem Kanton Bern gründete sie deshalb kurz vor der öffentlichen Versteigerung des gesamten Geländes die Selve-Park AG und der Coup gelang – die Aktiengesellschaft erhielt den Zuschlag.
Die Strategie sah wie folgt aus: Erschaffung einer baurechtlichen Grundlage, wobei eine kostendeckende Übergangsnutzung angestrebt wird, Sanierung der Altlasten auf dem ganzen Areal und die Bebauung der Parzellen inklusive einem Stadtpark am Wasser. Sobald dies erreicht ist, würde sich die Unternehmung wieder auflösen. Viel Arbeit stand also an.
Kooperation mit Coop
Anfang des Jahres 2002 war Coop auf der Suche nach Räumlichkeiten als Zwischennutzung für einen Bau- und Hobbymarkt mit entsprechender Grösse sowie Parkiermöglichkeiten für Autos und Fahrräder. So entstand die Idee, dass sich hierfür die Halle 6 eignen würde. Jedoch musste die Altlastenentfernung sowie die Sanierung der Halle innert kürzester Zeit erfolgen, ansonsten sich das Detail- und Grosshandelsunternehmen nach anderen Räumlichkeiten umgesehen hätte. Die Selve-Park AG packte die Chance, denn man kam zur Übereinkunft, dass Coop nicht wie gewöhnlich Miete zahlen, sondern die Kosten für die Gebäudesanierung übernehmen würde. Innert kürzester Zeit wurde das Baugesuch eingereicht und das Projekt Sanierung der Halle 6 konnte in Angriff genommen werden.
Die Altlastensanierung
Am Anfang stand die Altlastensanierung, wo man sich nicht sicher war, was alles auf die Fachleute zukommen würde. Die spezialisierten Büros Geotest AG aus Zollikofen sowie Schenker Korner und Partner GmbH aus Luzern wurden hierfür beauftragt. Über 80 Bohrungen wurden mit einem Röntgenfluoreszenzspektrometer vorgenommen, um vorgängig abzuklären, wo und mit welchen Schwermetallen zu rechnen sei. Es kam auch zu Entdeckungen nicht bekannter Einrichtungen wie Leitungskanäle oder noch gefüllte Teerbecken. Schlussendlich wurde die Sanierung der Altlasten günstiger als vorgängig vermutet.
Sie Sanierung der Halle 6
Die Halle war in sehr schlechtem Zustand. Zum Beispiel waren Fenstergläser zerschlagen, das Dach an einer Stelle so undicht, dass bereits eine ca. 5 Meter hohe Birke im Innern gewachsen war. Der für die Thuner Architektur- und Wirtschaftsgeschichte einzigartige Industriebau war seit längerem denkmalgeschützt, sodass eng mit dem Denkmalschutz zusammengearbeitet wurde. Geführt wurde die Sanierung von Daniel Hadorn vom Thuner Architekturbüro SHS Architekten AG. Nachdem die Altlasten wo nötig entfernt waren, wurde der Boden der Halle mit neuen Betonplatten versehen und ringsherum isoliert. Auch die Fenster erhielten Isolierverglasung. Die Mauern hingegen durften nicht isoliert sondern nur weiss gestrichen werden. Dafür wurde eine Heizung eingebaut, damit die Halle auch bei kühlen Temperaturen genutzt werden kann. Installiert wurde auch eine Sprinkleranlage, welche dem Besucher auf den ersten Blick gar nicht auffällt. Das imposante Stahlwerk wurde gesandtstrahlt und schwarz bemalt, um farblich den Ursprungszustand wieder herzustellen – der Architekt hatte sich seinerzeit für die Farben Weiss und Schwarz entschieden. Zeitweise arbeiteten bis zu 60 Personen während der Sanierung am Bau, und das vorgegebene enge Zeitfenster war für alle eine grosse Herausforderung. Der hohe Kamin wurde nun nicht mehr benötigt, doch ebenfalls unter Denkmalschutz stehend, wurde auch dieser saniert sowie zusätzlich stabilisiert.
Das neue Konzept
Nach dem Auszug von Coop wurde ein Wettbewerb zur Nutzung der Halle ausgeschrieben. Den Zuschlag erhielt die vom Designer Ueli Biesenkamp inhabergeführte daskonzept ag. Schon länger war er auf der Suche nach einer grösseren Räumlichkeit gewesen, wo er Kultur, Design und Gastronomie unter einem Dach vereinen könnte. Dies ist ihm nun gelungen. Da der Bau- und Hobbymarkt vorgängig keine Wände eingebaut, sondern einzig mit Verkaufsregalen gearbeitet hatte, präsentierte sich die Halle sozusagen in einem «bebaubaren» Zustand. Bewusst wurden jedoch auch jetzt keine Wände eingebaut, sondern einzig Schienen angebracht, sodass mit blickdichten und transparenten Vorhängen akustische und räumliche Abtrennungen vorgenommen werden können.Im vorderen Teil der Halle befindet sich der Business-Teil. Hier arbeitet Ueli Biesenkamp mit seinem Sohn Marc und dem Team an der Vernetzung von Architektur, Innenarchitektur, Möbelentwurf, Konstruktion und Marketing. Denn die Halle ist nicht nur Büro und Sitzungszimmer, sondern gleichzeitig auch Showroom für Büromöbel und andere Objekte, die vor Ort gesichtet und getestet werden können. Weitere Firmen sind eingemietet, und Arbeitsplätze sowie Konferenzräume stehen stunden-, tage- und monatsweise zur Vermietung zur Verfügung. Dabei schaffen Podeste, auf denen die Pulte, Tische und Stühle der Mitarbeitenden stehen, virtuelle Räume, obwohl eigentlich alles ein einziger, grosser Raum ist. Zugute kommt der Halle auch, dass sie sich in unmittelbarer Nähe des Stadtzentrums befindet, mit Bushaltestellen in Gehnähe und nicht weit vom Bahnhof entfernt. Zudem finden sich Parkplätze direkt vom dem Haus.
Im mittleren Teil der Halle befindet sich eine Konzertbühne inklusive Beleuchtung und Präsentationstechnik. Halbjährlich erscheint ein Kulturprogramm mit rund 20 Veranstaltungen, wo nebst Musikerinnen und Musikern auch Autoren und Satiriker auftreten. Das Architekturforum Thun führt zudem regelmässig Anlässe und Ausstellungen zu Auseinandersetzung, Austausch und Meinungsbildung im Bezug auf die Themen Architektur, Städtebau und Planung durch. Nebst musikalischen Leckerbissen werden hier auch Geschäftsanlässe durchgeführt, wobei bis zu 400 Gäste Platz finden.
Im hinteren Teil der Halle ist das Restaurant mit Bar untergebracht, das je nach Anlass vergrössert werden kann. Beliebt sind auch die sonntäglichen Brunches, die mit Livemusik begleitet werden. Zusätzlich wird im Sommer auch auf der Terrasse aufgetischt, und bei Regen steht auf der Seite zur Aare hingrenzend ein Wintergarten zur Verfügung.