Ätschebui
Ätschebui
Text: Stefanie Christ | Fotos: zvg
Chumm sofort is Chinderzimmer! Üse Sohnemann het sis erschte Wort gseit», rüeft d Mueter dür di ganzi Wohnig. Dr Vater chunnt grad aagrennt. «Was isch es, was isch es?», fragt är ganz ufgregt. «Ätschebui», seit dr Sohnemann u strahlet wie d Sunne. «Was isch Ätschebui?», fragt dr Vater. «Eh, das weis ig ou nid. Das mues es ganz gschyds Wort sy, we nid mau mir Erwachsnige das verschtöh.» Dr Vater pflichtet ar Mueter bi. «Stimmt. Mir hei ja scho vo Aafang aa gmerkt, dass üse Sohnemann öppis uf em Chaschte het.» «Ätschebui!», gluckst dr Sohn.
«Ig luege grad mau im Duden nache, was das heisst», seit d Mueter. Ratlos chunnt si es paar Minute später zrügg is Chinderzimmer. «Auso dr Duden weis o nid meh.» «Hesch im Franz- u Änglischwörterbuech ou nachegluegt? Es würd mi nid erstuune, we üse Sohn d Muetersprach grad überspringt u ire Frömdsprach aafat rede», meint dr Vater. D Mueter nickt u suecht nach de Wörterbüecher. Doch ou i dene wird si nid fündig. «I gloube, mir bruuche e Spezialischt!»
Am nächschte Morge fahre si zur Uni u erkundige sech am Empfang, ob öpper im Huus sygi, wo sech mit Sprache uskenni. Gly drufabe ruuscht e Linguischtin dür ne Glastür u fragt nache, um was es de giengti. «Mir möchte gärn wüsse, us welere Sprach dr Begriff ‹Ätschebui› chunnt», erklärt d Mueter ihres Aalige.
Das chönn si sech itz ou nid erkläre, meint d Linguischtin. Sie git de Eltere d Adrässe vomene Slawistik-Fachmaa. Dä zuckt ou nume mit de Schultere u schickt d Eltere zumene finnische Übersetzigsbüro. Dert gäbe si de Eltere e guete Tipp: «Vilech isch es e chinesische oder japanische Usdruck. Das würd erkläre, wiso dir i kem Übersetzigsprogramm öppis findet. Dadrfür müesstet dir ja ds Schriftzeiche kenne.» Auso chlopfe d Eltere bire nöie Adrässe aa, das Mau wortwörtlech: Bir Nachbarin, wo us China chunnt u bestimmt wüsst, was «Ätschebui» i ihrere Landessprach heisst. «‹Ätschebui›? Das habe ich noch nie gehört. Klingt für mich ender nach Ungarisch», meint di chinesischi Nachbarin. Ratlos luege sech d Eltere aa.
«Du, langsam gloub ig, mir chöme so nid wyter. Was, wenn üse Sohnemann e Buechstabe verdrääjt het, wis chlyni Ching no öppe mache? De jage mir am fautsche Wort nache. Womüglech isches nid ‹Ätschebui›, sondern ‹Ätschebur› oder ‹Äschtebui› ...», seit d Mueter. «Stimmt, mir hei das Ganze fautsch aapackt. Aber itz weis ig, wär üs cha hälfe», antwortet dr Vater – u schleppt d Mueter zu re Logopädin. Die lat sesch ds Wort e halbi Ewigkeit uf dr Zunge la verga: «Äääää-tsch-eeee-bui, tsch, sch, äääi, bui-i.» Aber ou dä Singsang cha de Eltere nid wyterhäufe. Auso wände si sech a ihre Schwarm.
«Liebi Facebook-Fründe, mir bruuche öii Hiuf! Wär weis, us welere Sprach ‹Ätschebui› chunnt? Merci für aui Hiwyse!» Scho gly lüchtet es rots Eis ir App uf. Ufgregt list d Mueter dr Kommentar. «Ig kenne e gueti Linguischtin ar Uni Bärn, die cha öich sicher hälfe!» Öpper angers schrybt: «I gloube, das isch Finnisch.» «Nei, das isch sicher Chinesisch!» «Fraget doch e Expert für slawischi Sprache.» U e ganz gschyde User meint: «Öie Sohn het doch eifach d Buechschtabe verdrääjt. Eigentlich isch es nid ‹Ätschebui›, sondern ‹Ärnschte Buur› oder ‹Chätsche Brei›.» Nume ei Kollegin het e guete Tipp: «Styget doch mau is Archiv für usgstorbni Sprache. Es chönnt doch sy, dass gar niemer meh so redt u no weis, was ‹Ätschebui› bedütet.» Nach es paar Klicks wärde d Eltere im Internet fündig. In Dütschland gits e renommierte Archivar vo usgstorbne Sprache. No am glyche Tag schrybe si ihm es Mail und überchöme ou prompt Antwort. Är hälfi ihne gärn u är mües drzue nume no wüsse, wie de d Betonig sygi: ender Ä-tschebui oder doch meh Ätsche-Bui?
Fasch wüchentlech fingt dr Expert öppis Nöis use u hautet d Eltere uf em Loufende. Krimgotisch sygis nid u ou nid öppe Ragusäisch. Pisidisch chäm äbesoweni i Frag wie Muromisch oder Hurritisch. Nach 3000 Mails zieht dr Expert es Fazit: «Ich glaube, ‹Ätschebui› ist keiner alten Sprache zuzuordnen.» Erschöpft u resigniert lö sech d Eltere ufs Sofa la gheie. Da rüeft dr Sohn us dr Chuchi: «Gits langsam öppis z ässe?»
Stefanie Christ
Stefanie Christ (* 1981, Bern) ist Kunsthistorikerin und Medienwissenschaftlerin. Von 2007 bis 2018 war sie als Kulturredaktorin tätig, heute arbeitet sie als Kommunikationsspezialistin fürs Naturhistorische Museum Bern und leitet zusammen mit Maria Künzli die Kreativagentur Atelier CK. 2011 erschien ihr Debütroman «Die Grenzen der Nacht» (Nydegg Verlag). Seither hat sie zahlreiche Kurzgeschichten, Kinder- und Sachbücher publiziert, etwa «Liebe Aare – Ein grafisches Fanbuch über den schönsten Fluss der Welt» (Weber Verlag, 2020). Ihr Buch mit Mundarttexten «Wüeschti Hüng» ist 2022 ebenfalls im Weber Verlag erschienen und kostet CHF 29.–.