Die Europäische Wildkatze – intelligente Jägerin mit bewegter Vergangenheit
Die Europäische Wildkatze – intelligente Jägerin mit bewegter Vergangenheit
Die Europäische Wildkatze – Tier des Jahres 2020 und damit dieses Jahr Botschafterin von Pro Natura. Doch nicht immer stand die scheue Jägerin für Naturschutz und Forschungsinteresse. Noch nicht allzu lange ist es her, dass die Wildkatze als vermeintlicher Schädling gejagt und beinahe komplett ausgerottet wurde.
Text: Julia Sommer | Fotos: Fabrice Cahez, Pro Natura, zvg
Am wohlsten ist es der Europäischen Wildkatze in naturnahen Wäldern, wo sie nicht von Menschen gestört wird. Im Wald geht sie auf die Jagd, schläft im sicheren Versteck und bringt in alten Baumhöhlen, Fuchs- oder Dachsbauen ihre Jungen zur Welt. Ihre Verbreitung erstreckt sich über ganz Europa und sogar bis in die schottischen Highlands.
Doch die Europäische Wildkatze kann auf eine bewegte Vergangenheit zurückblicken: Ab dem 18. Jahrhundert wurde sie als vermeintlicher Schädling gejagt, wodurch die Population stark dezimiert wurde. In weiten Teilen Europas, so z.B. im schweizerischen Mittelland, wurde sie gar komplett ausgerottet. Seit 1962 ist die Europäische Wildkatze allerdings eine geschützte Art. Dieser Schutz kam gerade noch rechtzeitig: Dadurch konnten sich die Bestände wieder erholen und tun es immer noch. So ist inzwischen der Jura wieder grossflächig von Wildkatzen besiedelt.
Doch auch heute noch ist nicht jede Gefahr für die elegante Jägerin gebannt. Obwohl sie nicht mehr gejagt werden darf, ist der Mensch weiterhin ein grosser Feind. Durch die Zersiedelung werden die Lebensräume und Reviere der Katzen zerstückelt, verkleinert und voneinander isoliert. Das bietet vor allem für die Nahrungssuche und die Paarung Schwierigkeiten. Auch dem Verkehr fällt die Waldkatze immer wieder zum Opfer. Natürliche Feinde finden vor allem Jungtiere im Luchs, dem Fuchs, dem Uhu und dem Baummarder.
Die Wildkatze ist wieder in die Schweiz zurückgekehrt und hat sich den neuen Gegebenheiten angepasst.
Tier des Jahres 2020
Umso wichtiger ist es, dass die Europäische Wildkatze (und andere Wildtiere) geschützt werden. In diesen Belangen setzt sich zum Beispiel Pro Natura stark ein: Pro Natura Naturschutzgebiete und Waldreservate bieten den Wildkatzen vielfältigen Lebensraum. Mit der Kampagne «Freie Bahn für Wildtiere!» hat sich Pro Natura für die Vernetzung der bestehenden Lebensräume durch Wildtierkorridore eingesetzt.
Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist die Ernennung der Europäischen Wildkatze zum Tier des Jahres 2020. Bereits seit 1998 kürt Pro Natura jedes Jahr ein Tier des Jahres: 2017 war es der Rothirsch, 2018 das Hermelin, 2019 das Glühwürmchen und 2020 eben die Wildkatze. Damit soll sie einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht werden, aber auch Botschafterin für weitere Umweltanliegen sein: für wilde Wälder, wirkungsvollen Naturschutz und freie Naturentwicklung. Davon profitiert die Wildkatze ebenso wie viele andere Tier- und Pflanzenarten.
Schwierigkeiten und Erfolge in der Wildkatzenforschung
Lange Zeit war es sehr schwierig, die Europäische Wildkatze wissenschaftlich zu erforschen. Auch heute noch ist es nicht einfach, Video- oder Bildaufnahmen der menschenscheuen Katze zu machen. Erst 2006 hatte die Wildkatzenforschung einen Durchbruch: Man entdeckte, dass Wildkatzen dem Geruch von Baldrian kaum widerstehen können. Aus dieser Erkenntnis entwickelte man die Lockstockmethode. Forscherinnen und Forscher platzieren mit Baldrian besprühte Holzlatten im Wald. Die angelockten Wildkatzen reiben sich an diesem Stock und hinterlassen dabei Haare. Mit modernen Analysemethoden können aus diesen Haaren Erkenntnisse über die genetischen Eigenschaften des Tieres gewonnen werden. Dieses Monitoring wird aktuell unter der Leitung des Vereins Wildtier Schweiz zum zweiten Mal durchgeführt. Dabei hofft man auf viele spannende und neue Erkenntnisse zur Verbreitung der Wildkatzen in der Schweiz.
Die Wildkatze und die Hauskatze – zwei ungleiche Verwandte
Trotz der grossen äusserlichen Ähnlichkeit ist die Annahme, dass die Hauskatze von der Europäischen Wildkatze abstammt, falsch. Vor rund 2000 Jahren gelangte die Hauskatze mit den Römern zu uns. Sie stammt ursprünglich von der afrikanisch-asiatischen Wildkatze ab. Es ist allerdings möglich, dass sich Hauskatzen und Wildkatzen paaren und fortpflanzungsfähige Jungen gebären. Dieser Vorgang wird auch Hybridisierung genannt und birgt mittelfristig eine grosse Gefahr für die Wildkatzen, deren genetisches Material so nach und nach verschwindet. Um dem vorzubeugen, ist es wichtig, dass Katzenhaltende ihre freilaufenden Katzen kastrieren lassen.
Trotz äusserlicher Ähnlichkeit sind die Haus- und Wildkatzen im Wesen doch komplett unterschiedlich. Die Wildkatze ist extrem menschenscheu und bewegt sich nie freiwillig in die Nähe von Menschen. Sie ist enorm aufmerksam und immer entweder zur Flucht oder zur Jagd bereit.
Die Wildkatze ist eine Einzelgängerin, die ihrem Revier in der Regel treu bleibt. Die Grösse des Reviers schwankt je nach Angebot von Beutetieren. Die Katze markiert es mit Urinspritzern, Kratzspuren oder Duftmarkierungen. Die intelligente Jägerin setzt ihre hoch entwickelten Sinnesorgane und ihre körperliche Stärke und Beweglichkeit zu ihrem Vorteil ein. Dadurch können ihr Kleinsäugetiere, aber gelegentlich auch Vögel oder Fische, nur schwer entkommen. Nur zur Paarung treffen sich von Januar bis März Männchen und Weibchen und trennen sich gleich darauf wieder. Nach rund zwei Monaten bringt die Katze die Jungen zur Welt und säugt sie. Bald schon gehen die Jungen selbst auf Nahrungssuche und im Winter trennen sich die ausgewachsenen Jungtiere von der Mutter.
Ein Blick in die Zukunft der Wildkatze
Die Wildkatze ist wieder in die Schweiz zurückgekehrt – und nicht nur das. Neuste Forschungsergebnisse zeigen, dass sich die Tiere den neuen Gegebenheiten angepasst haben und sich auch ausserhalb von grossen Waldgebieten behaupten können. Umso wichtiger werden in dieser Entwicklung aber Vernetzungshilfen wie Hecken, Waldinseln und Wildtierpassagen. Dadurch können sich die Wildkatzen problemlos zwischen verschiedenen Revierteilen bewegen und auch verkehrsreiche Strassen gefahrlos überqueren. Das macht Hoffnung auf eine positive Zukunft für das Tier des Jahres 2020.
Lange Zeit war es sehr schwierig, die Europäische Wildkatze wissenschaftlich zu erforschen.
Gut zu wissen
Wildkatze oder Hauskatze?
Wildkatzen und Hauskatzen können sich zum Verwechseln ähnlich sehen. Folgende äussere Merkmale sind typisch
für Europäische Wildkatzen:
• Eher massig wirkender Körperbau
• Dichtes, langhaariges Fell
•
Zeichnung: dunkler Rückenstrich,
«verwaschenes» Tigermuster an der Seite
•
Färbung: grau-bräunlich
•
Buschiger Schwanz mit zwei bis drei deutlichen Ringen und stumpfem, schwarzem Ende
•
Rosarote Nasenspitze
Auf folgenden Webseiten finden Sie weitere
Informationen und spannende Fakten zum Leben und zur Verbreitung der Europäischen Wildkatze in der Schweiz. www.pronatura.ch
www.wildtier.ch/projekte/wildkatzenmonitoring
www.kora.ch
Wichtig
Für Hauskatzenbesitzer und -besitzerinnen:
Eine grosse Gefahr für die Wildkatzen geht von der Vermischung mit Hauskatzen aus, dieses Phänomen wird auch Hybridisierung genannt. Hier liegt eine grosse Verantwortung bei den Katzenhaltenden: Um Kreuzungen mit Wildkatzen zu verhindern, sollten freilaufende Hauskatzen kastriert werden.