Baumpflanzer, Kletterprofis und Überlebenskünstler
Baumpflanzer, Kletterprofis und Überlebenskünstler
Die Eichhörnchen – man kennt sie als Profikletterer und als Überlebenskünstler, die ihren Wintervorrat im Waldboden verstecken. Im Gespräch mit dem Wildbiologen Simon Capt erfahren wir mehr über diese flinken Nagetiere, besonders über die Bedrohung durch das aus Amerika importierte Grauhörnchen. Dazu gibt er Tipps, wo man in der Thunerseeregion Eichhörnchen sichten kann.
Text: Nicole Odermatt | Fotos: zvg
Die in unseren Breitengraden lebenden Eichhörnchen gehören zu den Eurasischen Eichhörnchen. Wie die Bezeichnung sagt, kommen sie in Europa und im nördlichen Teil Asiens vor. Doch obwohl es ihr Name vermuten lassen würde, essen Eichhörnchen gar nicht so viele Eicheln: Sie enthalten zu viele Bitter- und Gerbstoffe und sind somit schwer verträglich. Manchmal nehmen die Eichhörnchen sie aber trotzdem zu sich, nämlich wenn sie sonst nichts finden.
Viel lieber haben sie Baumfrüchte und anderes Pflanzliches: Auf ihrer Speisekarte stehen Bucheckern, Nüsse, Tannenzapfen, Knospen, Früchte oder Pilze. Wenn sich die Gelegenheit bietet, greifen sie aber auch bei Fröschen, Jungvögeln, Vogeleiern und Insekten zu.
Eichhörnchen halten keinen Winterschlaf, deshalb sind sie auf einen Wintervorrat angewiesen. Sie vergraben Nüsse im Boden oder verstecken sie in Baumritzen. Natürlich erinnert sich selbst das intelligenteste Eichhörnchen nicht an alle Verstecke; viele Samen beginnen im Frühling zu keimen und wachsen zu Bäumen heran. Die Eichhörnchen haben folglich als «Baumpflanzer» eine wichtige Funktion im Ökosystem. Dies betrifft nur Laubwälder. In Nadelwäldern können sie sich ganzjährig mit Tannenzapfen verpflegen. Sowieso kommen sie nur in Wäldern oder Parks vor: Ohne Bäume können sie nicht leben. Dort brauchen die tagaktiven Einzelgänger viel Platz: zwei bis drei Hektar!
Grauhörnchen gegen Eichhörnchen
Die Eichhörnchen müssen stets vor dem Baummarder auf der Hut sein, ihrem Fressfeind. Eine weitere Bedrohung geht von den Grauhörnchen aus, welche im 19. Jahrhundert in Europa eingeführt wurden. Das Zusammenleben der beiden Arten ist im selben Habitat nicht möglich, da sie sehr ähnlich sind und ständig um Nahrung und Nistplätze kämpfen. Sie werden auch oft verwechselt, sind aber grösser und kräftiger. Typischerweise sind die Spitzen ihrer Schwanzhaare weiss, was bei den Eichhörnchen nicht der Fall ist. Letztere hingegen haben im Winter die typischen Haarpinsel. Trotz dieser zwei Unterscheidungsmerkmale sehen sich die beiden Arten für das ungeübte Auge sehr ähnlich.
Doch haben es die Grauhörnchen überhaupt bis in die Schweiz geschafft und wenn ja, stellen sie ein Problem dar? Dies und vieles mehr fragten wir den in Einigen wohnhaften Wildbiologen Simon Capt. Beim Schweizerischen Zentrum für die Kartografie der Fauna ist er für die Säugerdatenbank zuständig. Zudem ist der Jäger Mitherausgeber des 2019 erschienenen Buches «Jagd und Wildtiere im Kanton Bern».
Wenn die Winter kürzer und weniger schneereich sind, hat es mehr Nahrung für die Eichhörnchen.
Simon Capt: Wie viele Eichhörnchen gibt es schätzungsweise in der Region Thunersee?
Da das Zählen sehr schwierig ist, können wir nicht sagen, wie gross die Zahl der Eichhörnchen ist. Sie kommen auch nicht sehr dicht vor, das heisst, es gibt etwa zwei bis drei Eichhörnchen pro Hektare. Wir bekommen eine Meldung, wenn ein Eichhörnchen gesichtet wurde. Über unsere kostenlose Webfauna App oder auch über die Webseite des Schweizerischen Zentrum für Kartografie der Fauna können Tierbeobachtungen gemeldet werden. Daher können wir Aussagen zum Vorkommen der Unterarten machen. Grob kann man zwischen roten und nicht-roten Eichhörnchen unterscheiden. Nicht-rot, das heisst braune, schwarze, usw. Auf ein rotes kommen etwa fünf nicht-rote Eichhörnchen. Je höher die Lage, desto mehr nicht-rote Eichhörnchen hat es. Wahrscheinlich kommt dies daher, dass die dunklen besser an die Höhe angepasst sind: Ein dunkles Fell wärmt besser als ein rotes. Das Winterfell der Eichhörnchen ist dementsprechend ebenfalls dunkler als das Sommerfell.
Wie haben sich die Bestände in den letzten Jahren entwickelt?
Seit 1986 dürfen Eichhörnchen nicht mehr gejagt werden. Deshalb gibt es heute wahrscheinlich mehr Eichhörnchen als damals. Die Populationen sind stark vom Nahrungsangebot abhängig und schwanken analog. Tragen die Fichten mehr Zapfen und sind die Winter kürzer, steigen die Bestände. In den letzten zwei bis drei Jahren ging deshalb der Trend nach oben: Wenn die Winter kürzer und weniger schneereich sind, hat es mehr Nahrung für die Eichhörnchen. Sie machen ja keinen Winterschlaf und verstecken dafür Vorräte im Boden, aber diese finden sie nicht immer alle.
Wo findet man Eichhörnchen?
Grundsätzlich findet man sie nur in Wäldern. Dabei kommt es auf den Waldtyp an. In Mischwäldern und Nadelwäldern trifft man sie mehr an als in reinen Laubwäldern, ausser es hat Buchen: Eichhörnchen schätzen Bucheckern. Es kommt auch auf das Alter der Bäume an. Bäume im mittleren Alter tragen noch nicht so viele Früchte wie ältere. Zudem sind alte Bäume auch höher; Eichhörnchen sind gerne auf den Wipfeln hoher Bäume, da sie dort vor den Baummardern geschützt sind. In den Stadtpärken oder am Stadtrand hat man gute Chancen, auf Eichhörnchen zu treffen, wenn es einige ältere Bäume hat, zum Beispiel im Bonstettenpark in Thun. In solchen Pärken ist die Wahrscheinlichkeit fast höher, ein Eichhörnchen zu sichten, als im Wald: Sie sind kompakter, weniger weitläufig. Aber auch in einem Auenwald wie dem Gwattlischenmoos kann es sein, dass man Eichhörnchen findet – obwohl dies ein Laubwald und somit nicht ihr typisches Siedlungsgebiet ist. Sonst gibt es gewisse Indizien, welche auf Eichhörnchen hinweisen: die typischen angenagten Tannenzapfen, halbierte Haselnussschalen oder ihr schriller Warnruf. Schlussendlich hilft auch eine gute Portion Geduld, schliesslich sind Eichhörnchen tagaktiv und wenn man etwas wartet, taucht vielleicht eines auf.
Wurden amerikanische Grauhörnchen in der Schweiz gesichtet?
Nördlich der Alpen wurde kein einziges Grauhörnchen gesichtet. Die nächsten Populationen befinden sich ca. zehn Kilometer südlich der Schweizer Grenze in Italien. In Italien wird versucht, sie einzudämmen. Es gibt aber keine flächendeckende Verbreitung, nur einzelne Vorkommnisse.
Das einzige europäische Land, wo sich die Grauhörnchen richtig ausbreiten konnten, ist Grossbritannien. Da es sich um Inseln handelt, können sie von dort aus jedoch nicht wirklich auswandern und stellen keine Gefahr dar. In der Schweiz kann man zwar privat Grauhörnchen halten – was schwierig und fragwürdig ist, da diese Tiere einen enormen Bewegungsdrang haben –, aber es braucht eine Bewilligung. Das Aussetzen ist strafbar. Die Grauhörnchen sind auch in der Jagdgesetzgebung erfasst, auf einer Liste mit problematischen Arten. Solche sogenannten Neozoen (nicht-einheimische, vom Menschen eingeführte Tierarten) können eine grosse Gefahr für die einheimischen Arten darstellen, wenn sie ihnen überlegen sind oder Krankheiten einschleppen. In der Schweiz sind beispielsweise die einheimischen Krebse ausgestorben. Aktuell gibt es auch ein Problem mit Muscheln im Bodensee.
In Grossbritannien werden die Grauhörnchen stark bekämpft, in Italien weniger. Was halten Sie von Massnahmen gegen unerwünschte Spezies?
Die Eindämmung kann sinnvoll sein, besser ist aber die Prävention. Schlussendlich ist es aber sehr schwierig. Bei Säugetieren kann man eher etwas unternehmen, nur schon durch ihre Grösse. Aber bei Insekten ist dies weniger möglich – ausser durch radikalere Methoden mit Gift oder Hormonen, aber dabei gehen oft auch andere Arten zugrunde. Insgesamt ist die Bekämpfung sehr aufwändig. In der Schweiz wurde eine Ausbreitung der Grauhörnchen erfolgreich verhindert, wohl auch dank der Prävention und strenger Gesetzesauflagen.
Es gibt gewisse Indizien, welche auf Eichhörnchen hinweisen: die typischen angenagten Tannenzapfen, halbierte Haselnussschalen oder ihr schriller Warnruf.
Natur versus Kultur
Doch wie kommt es, dass sich die Grauhörnchen nur in Grossbritannien richtig ausbreiten konnten, im restlichen Europa hingegen nicht? Wissenschaftlern zufolge hängt dies mit unterschiedlichen Einstellungen und der Art der Wälder zusammen. In Grossbritannien ist der Eingriff der Menschen in die Natur akzeptierter. So wurden viele Wälder gerodet und später neu angepflanzt. Viele dieser jungen Wälder werden wirtschaftlich genutzt und haben keine grosse Biodiversität. In diesen monotonen Holzplantagen konnte sich das Grauhörnchen besser durchsetzen als das Eichhörnchen. Letzteres wurde in Nadelwälder in den Bergen verdrängt. Im restlichen Europa überwiegen hingegen alte, natürliche Wälder. Einzig in Italien kommen Grauhörnchen vor, konnten sich jedoch kaum ausbreiten. Somit haben unsere Eichhörnchen noch einmal Glück gehabt.
Wenn Sie mehr über andere Wildtiere und die Jagd im Kanton Bern wissen möchten, empfehlen wir Ihnen dieses im Herbst 2019 erschienene Buch.
Fred Bohren,
Simon Capt,
Peter Juesy
492 Seiten, 23x27 cm
Hardcover, gebunden
ISBN 978-3-03818-154-5
CHF 59.– / EUR 47.–
Erhältlich im www.werdverlag.ch oder im Buchhandel