Mit kuscheligen Vierbeinern unterwegs
Mit kuscheligen Vierbeinern unterwegs
Wenn ein erfahrener Jäger einen schreibenden Jagd-Nobody auf einen Pirschgang mitnimmt, ist voraussehbar, dass sich dabei kein Wild zeigt. Zu lautes Gerede rund um offene Laienfragen signalisieren Hirsch & Co. den Rückzug.
Text: Beat Straubhaar | Fotos: Beat Straubhaar
Mit dem Gedanken, das Bild einer schiesswütigen Jägerschaft in unseren Wäldern zu korrigieren, fährt der Schreiben- de durch die Nacht ins Thuner Ostamt. Beim Händedruck am finsteren Treffpunkt bleiben die Gesichter noch schemenhaft. Mein Gegenüber ist Werner Amstutz, wie sich später zeigen wird ein fitter Mittfünfziger, von Beruf Maschinentechniker und das Wichtigste: seit 30 Jahren aktiver Jäger, zusätzlich mit Verbands-Funktionen ausgestattet.
Die Nacht weicht dem Tag.
Am Sigriswilergrat blicken die ersten Sonnenstrahlen durch.
Antasten im Mondlicht
Bereits liegt auf 1200 m ü. M. Schnee, was bedeutet, die Schuhe möglichst ohne ein Knirschen abzusetzen. Mit langsamen Bewegungen steigen wir einem Waldsaum entlang empor, der fast volle Mond wirft ein kaltes, bläuliches Licht auf die Landschaft. Von Zeit zu Zeit spiegelt Werner mit seinem Feldstecher den Gegenhang. Im Gegensatz zur Treibjagd ziehe er die Jagd auf den Rothirsch vom Ansitz aus vor, meint er. Die Erklärung, dem Tier so eine grössere Chance zu geben, zeugt von Jagd-Ethik. Noch bevor wir den Ansitz erreichen, erstmals etwas Aufregung: «Schau da, frische Hirschfährten». Es ist offensichtlich, der Jäger ist trotz dauernder, ungewohnter Ablenkung durch meine Fragerei voll konzentriert und schaut auf jedes Zeichen. «Das Fährtenlesen ist das A und O der Jagd, es sind Pirschzeichen», gibt er leise zu verstehen. Dazu würden auch die Losung (der Kot) und Scheuerspuren gehören. Der Rothirsch schält unter bestimmten Umständen die Rinde vom Stamm junger Bäume, um diese zu fressen, die Stiere, um ihr Geweih zu fegen und damit die Basthaut abzustreifen. Mit der grösser werdenden Hirsch-Population in unserer Gegend ist der Verbiss ein Thema geworden, das zu Diskussionen zwischen Waldbesitzern und Jagdverantwortlichen führt.
Auf Ansitz
Das erste Zwischenziel ist erreicht, ein kleiner Sattel zuoberst an einer Rippe. Der Jäger legt seinen Rucksack auf einen Wurzelstock, darauf sein Präzisionsgewehr mit dem Zielfernrohr. Während er das Unterholz intensiv beobachtet, erzählt Werner Amstutz, weshalb die Jagd seit 30 Jahren seine Passion ist. «Ich suche die Stille der Natur, beides muss einem Jäger gefallen.» Er sei als Junge regelmässig mit seinem Grossvater im Wald unterwegs gewesen, um Pilze zu sammeln, welche die Grossmutter dann an der Mauer vor dem Waisenhaus in Thun verkauft habe. Später sei aus ihm, dem ehemaligen Sammler, ein Jäger geworden – die Liebe zur Natur sei geblieben. Deshalb stelle er sich auch im Berner Jägerverband in einer Kommission zur Verfügung, die sich der Konflikten zwischen Öffentlichkeit, Waldbesitzern und den Jägern annehme. Der Verband ist in 29 Sektionen unterteilt, mehrere sind rund um den Thunersee angesiedelt. «Wichtig ist bei der Jagd die Geduld …», lacht Werner Amstutz. In der Zwischenzeit ist der Mond verschwunden, am Sigriswilergrat blicken die ersten Sonnenstrahlen durch. Ein erster Schluck Kaffee und es geht weiter aufwärts.
Eine Pirsch ist auch ohne krönenden Abschuss eine stimmungs- volle Angelegenheit.
Spuren der Anwesenheit
Erneut treffen wir auf frische Trittsiegel und Kot vom Rothirsch. Der «Grünrock» in speckig-grüner Lederhose meint, die Tiere hätten uns entdeckt und würden ihren Einstand wechseln. Normalerweise ziehe sich das Wild beim Anbrechen des Tages sowieso zurück. Dies ermöglicht uns, etwas lauter zu werden und eine währschafte Zwischenverpflegung – in der Jägersprache einen Aser – einzunehmen. In diesem Gespräch wird klar, wie nahe ein Jäger der Natur sein muss. «Ich beobachte das Wild in meinen Jagdgründen das ganze Jahr, auch wenn die Jagd nicht offen ist», meint Werner Amstutz. Der Jäger hat die Wahl aus fünf verschiedenen Patenten, für die Jagd auf den Rothirsch ist Patent C nötig, für Gämse und Murmeltier Patent A, für Reh das Patent B. Zu diesen Patenten gehört immer das Basispatent, welches alle jagdbaren Wildtierarten ausser Gämsen, Rehen, Rothirschen, Wildschweinen und Wasservögeln ermöglicht. Es darf nur mit einem gültigen Jagdpatent gejagt werden. Die Volkswirtschaftsdirektion des Kantons legt jährlich fest, wie viele Exemplare welcher Arten in der aktuellen Jagdsaison erlegt werden dürfen.
…während der im Gras liegende Rehbock den Fotografen bereits entdeckt hat.
Gämsen brauchen keine Wanderwege, sie überspringen diese einfach!
Auch schwarze Schafe
Das starke Aufkommen der Rothirsche in unseren Wäldern hat die Jägerschaft auf diese stolzen Tiere aufmerksam gemacht. Vor allem auch, weil die Rehe eher rückläufig sind und sich die Gämsen wegen der Anwesenheit des Luchses in höhere Regionen zurückziehen – in offene Gebiete, wo sie die Gefahr frühzeitig erkennen. Vor drei Jahren ergab die Zählung der Hirsche Das starke Aufkommen der Rothirsche in unseren Wäldern hat die Jägerschaft auf diese stolzen Tiere aufmerksam gemacht. Vor allem auch, weil die Rehe eher rückläufig sind und sich die Gämsen wegen der Anwesenheit des Luchses in höhere Regionen zurückziehen – in offene Gebiete, wo sie die Gefahr frühzeitig erkennen. Vor drei Jahren ergab die Zählung der Hirsche in der Schweiz knapp 30000 Tiere, 150 Jahre, nachdem die Gattung als praktisch ausgestorben galt. Während der ausgiebigen Rast hat Werner Amstutz das unter uns liegende Gebiet beobachtet, mit dem Feldstecher die Distanz ausgemessen. Das Gewehr an einen Baum angelehnt, griffbereit. «Ich finde es gut, wenn die Jagd geordnet und kontrolliert abläuft, denn es gibt leider auch bei den Jägern schwarze Schafe», meint er. Konkret erzählt er von angeschossenen Tieren, bei denen der Jäger verpflichtet sei, mit einem Schweisshund das verletzte Tier zu suchen, die sogenannte Schweissarbeit. Da diese Arbeit sehr aufwändig sei, komme es vor, dass «gewisse Jäger» darauf verzichteten und ein langes Leiden des Tieres in Kauf nehmen würden. Dann nehmen wir den Rückweg unter die Füsse, ohne einem Tier begegnet zu sein. «D Jagd isch o ne Glückssach», meint der Jäger fast entschuldigend. Er und der Schreibende sind sich einig: Eine Pirsch ist auch ohne krönenden Abschuss eine stimmungsvolle Angelegenheit, eine interessante Auseinandersetzung mit der Natur. Für alle, welche die Stille ertragen!
Beim Aser, dem Znüni in der Jägersprache.
Highlight: Moderne Jagd ist nachhaltig
Jagd gehört zu den ältesten Traditionen der Menschheit. Die herausfordernde Auseinandersetzung mit frei lebenden Wildtieren, die für frühe Menschen wichtiger Bestandteil der Nahrung waren, stellte einen wesentlichen Auslöser der menschlichen Evolution dar. Diese Tradition entwickelt sich ständig weiter und hält mit dem Lauf der Zeit Schritt. Moderne Jagd ist nachhaltig; sie trägt den ökologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anliegen Rechnung. Sie wird auf der Basis wissenschaftlich fundierter Kriterien geplant und ausgeführt. Die Jagd ist eine verantwortungsvolle Betätigung für die Natur. Jägerinnen und Jäger haben einen öffentlichen Auftrag und leisten einen wertvollen Beitrag für die Flora und Fauna unseres Landes. Sie verhalten sich so, wie sie es auch von anderen Waldbenützern erwarten: offen, ehrlich und verantwortungsvoll, und pflegen ihr Hobby nach dem Jagd-Kodex, der die Schweizer Jägerinnen und Jäger zu einer nachhaltigen Jagd ermahnt.
Glück gehabt – Jäger haben diese Zwillinge vor dem Mähtod gerettet. (Bild: zvg)
Eine «Ricke» (Rehgeiss-Mutter) mit ihrem Kitz.
Im Versteck: Jäger helfen bei der Rehkitzrettung
Von Mai bis Mitte Juni bringen die Rehe ihre Jungen zur Welt. Für das Setzen ihres Nachwuchses wählen die trächtigen Geissen ein sicheres Versteck, meistens in Wiesen mit hohem Gras oder in Gewächsfeldern. Hier sind die Kitze vor Feinden sicher, jedoch nur, bis die Mähmaschine auffährt. In der Schweiz finden pro Jahr gegen 1500 Rehkitze den Mähtod. Der Zeitdruck in der Landwirtschaft, vor allem bei Heuwetter, lässt den «Bambis» keine Chance. Seit Jahren rufen Jagdgesellschaften die Bauern auf, den regionalen Jägern bevorstehende Ernteschnitte anzukündigen. Mit unterschiedlichen Methoden, wie «Verblenden» mit weissen Tüchern, mit Blinklampen oder durch schlechte Gerüche, vertreiben die Grünröcke die Geissen mit ihren Kitzen aus den Kulturen. In jüngster Zeit werden Drohnen mit Wärmebildkameras getestet, womit der Liegeplatz des Rehnachwuchses aus der Luft festgestellt werden kann. Wobei der Erfolg doch eher mässig ausfällt. Zudem sind solche Geräte sehr teuer und nicht von jedermann/frau zu bedienen. Die beste Methode ist immer noch das intensive Absuchen des Feldes zu Fuss. Es ist aber sehr zeitaufwändig und braucht viel Mithelfende. Jeder, der Interesse an solcher Freiwilligenarbeit hat, kann sich beim Jagd- verein oder bei einem bekannten Jäger melden. Es ist ein schönes Gefühl, Kitze so vor dem grausamen Tod oder einer Verstümmelung zu retten.