Ferien für Vierbeiner
Ferien für Vierbeiner
Wer liebt sie nicht, die paar Wochen im Jahr, in denen wir tun und lassen können, was uns beliebt, Landesgrenzen keine Grenzen mehr sind und wir uns auf und davon machen? Doch was tun mit den vierbeinigen Familienmitgliedern? Die Antwort hierauf liefert der Tierferienhof Rotachen. Der Gründer, Inhaber und Geschäftsführer Ruedi Grütter spricht über Mensch, Tier und alle möglichen Schnittstellen.
Text: Janina Stucki | Fotos: Christine Hunkeler
Glücklicherweise gibt es, wie für so viele Lebensbereiche, eine Möglichkeit, die uns nicht nur den Alltag, sondern auch die hart verdienten Ferien versüsst. Der Tierferienhof Rotachen bietet genau für solche Fälle einen Service an: ein kleines Paradies und somit ebenfalls «Ferien» für praktisch jede Art von Haustier. Die Ankunft auf dem Tierferienhof Rotachen in Heimberg ist laut und stürmisch. Überall ertönt lautes und fröhliches Bellen. Inmitten des Tumults: Ruedi Grütter. In selbstverständlicher Weise trifft er die nötigen Vorkehrungen, schliesst hier ein Gatter, bindet dort etwas fest, bis sogar ein «Hundeangsthase» wie die Autorin ohne Herzklopfen eintreten kann. Drinnen ist es ruhiger, da und dort ertönt ein Kanarienvogel, raschelt ein Kaninchen im Streu oder strampelt ein Hamster im Laufrad. Im Moment sind alle Mitarbeitenden beschäftigt, nach und nach treffen sie aber zum gemeinsamen Znüni in der Küche ein: Ruedi Grütter, seine Tochter,
deren Freund, drei Angestellte und zwei «Schnupperlis». Die Qualität der Ausbildung zum Tierpfleger liegt Grütter sehr am Herzen: «Wir sind seit den Anfängen unseres Betriebs ein Lehrbetrieb und haben immer zwischen einem und vier Lernenden.» Die Tendenz in der Branche ist gegenläufig. Statt der vollen, dreijährigen Ausbildung zum diplomierten Tierpfleger absolvieren viele eine verkürzte Version – zu haben in acht Tagen. «Tierpflegerlight» sind im Kommen, aber bei Grütter nicht gern gesehen: «Wir stellen hier nur vollausgebildete Tierpfleger an, denn eine gute Ausbildung ist das A und O im Umgang mit Tieren. Gerade hier, wo wir alle möglichen Tiere haben, reicht eine achttägige Ausbildung ganz sicher nicht. Ausserdem geht es mir auch ums Prinzip. Eine solche Möglichkeit erschwert die Position der ohnehin schon wenig lukrativen Ausbildung zum Tierpfleger noch weiter. Der Umgang mit Tieren erfordert einerseits klares Fachwissen und andererseits Verhaltensweisen und ‹Erziehungsmethoden›, die erlernt werden müssen.»
Wer seine Haustiere bei Grütter in die Ferien schickt, kann sich auf diese Kriterien verlassen. Allerdings gibt es Grenzen. Und genau diese Grenzen sieht Grütter im Umgang mit Tieren oder bei der inneren Haltung gegenüber den eigenen Haustieren, vermehrt verletzt. «Die Beziehung zwischen Mensch und Tier hat sich in den letzten Jahren enorm verändert.» Er beobachte eine Vermenschlichung, die weder für Tier noch Mensch gesund sei. Erklären tut er sich dies mit einer zunehmenden Vereinsamung der Menschen. Soziale Strukturen und Kontakte verlören an Verbindlichkeit. Zurück blieben Menschen, die sich genau das von ihren Haustieren – besonders von Hunden –
versprechen. Allzu weit von der Realität entfernt scheint er mit seiner Aussage nicht zu sein. Die Schönen und Reichen machen es vor: Chihuahuas und ein dazu passendes Täschchen. Der kleine Hund wird zum Kinderersatz oder zum Ersatz für sonst etwas, das offenbar fehlt. Dass diese Form der Hundehaltung nicht tiergerecht sein kann, mag uns allen einleuchten. Doch Grütter setzt noch früher an: «Der Umgang mit einem Hund muss zweifelsohne liebevoll sein. Aber zu viele Menschen verwechseln einen liebevollen Umgang mit inkonsistenter oder gar fehlender Erziehung. Ein Hund braucht Hierarchien. Sind ihm diese nicht klar, fehlt ihm die Orientierung. Sein Verhalten kann dann ebenso inkonsistent werden. Das wiederum überfordert das Herrchen und treibt dieses in bestimmten Situation zur Überreaktion, was wiederum unberechenbares Verhalten von Seiten des Hundes begünstigt.»
Hier darf die junge Kander noch mäandrieren, wie es ihr beliebt, und schlägt darum gelegentlich überraschende Läufe ein. Im Gasteretal kann man einen Fluss erleben, wie er früher war – bevor die grossen Gewässerkorrekturprojekte des 19. und 20. Jahrhunderts die Schweizer Flüsse und Ströme kanalisierten, zähmten und zivilisierten. Als Kind versuchte Adolf Ogi zusammen mit seinem Vater, die Ufer der Kander im Gasteretal aufzuforsten und so den Flusslauf zu stabilisieren. Wenn aber die Kander im Gasteretal stark anschwillt, ist sie kräftig genug, um auch grosse Bäume mitzureissen. Selbst die Hängebrücke bei Selden ist nicht sicher vor dieser Urgewalt und wurde schon mehrmals beschädigt. Eine Wanderung durch das Bachbett der Kander im Gasteretal ist immer auch eine Art Zeitreise, denn «dank der kanalisierten Flussläufe durch stabile, schnurgerade Flussbette sind wir uns heute gar nicht mehr an die zerstörerische Gewalt des Wassers gewöhnt. Ich erinnere mich gut, wie das früher war und welchen Segen die Bach- und Flusskorrekturen für Mensch und Tier darstellten», meint Ogi.
Die Geschichte des Gasteretals ist aber auch eine Geschichte der Menschen, die seit vielen Jahrhunderten in und mit diesem Tal leben. Noch vor nicht allzu langer Zeit war das wilde Tal sogar ganzjährig bewohnt – so lebte etwa Adolf Ogis Grossmutter Margrit Ogi-Künzi in ihrer Jugend ganzjährig in Selden. Dies ist heutzutage nicht mehr möglich; zu gefährlich sind die Winter im von hohen, steilen Felswänden umringten Trogtal. Aus diesem Grund wird im Oktober auch die einzige Zufahrtsstrasse geschlossen. Im Sommer aber kehrt wieder Leben ein, denn im Gasteretal existieren noch Spuren der uralten halbnomadischen Lebensweise, die den Völkern des Alpenraums einst eigen war. So gibt es hier noch die altehrwürdige Institution des Dorfältesten, in dessen Obhut sich die berühmte, über 300 Jahre alte Gasterebibel und die etwas jüngere Gasterechronik befindet. Der jetzige Dorfälteste Christian Künzi führt nebenher auch das Gasthaus Steinbock, in dem man am knisternden Kaminfeuer den Geist dieses Tales auf sich wirken lassen kann.
Kann man einen Besuch in diesem Naturschutzgebiet aber überhaupt verantworten? Darf man hingehen und etwa mit den eigenen Füssen durch das Bachbett der jungen Kander spazieren? Selbstverständlich, sagt Adolf Ogi, dem das Schlusswort überlassen sei: «Im Grunde unseres Herzens sind wir doch alle noch ein wenig Kantianer und durchaus fähig und willens, Verantwortung für etwas zu übernehmen. Indem ich meine Lieblingsplätze bekannt mache, werden sie in ihrer ganzen Bedeutung als wertvolle Orte in einer intakten Landschaft wahrgenommen und etwas Wertvolles zu schützen, sind die Menschen gerne bereit. Ich bin schon zu lange Politiker, als dass ich den Kräften der Demokratie nicht vertraute. Auch das Tragen von Verantwortung haben wir in den letzten fast hundert Jahren demokratisiert. Wir sind als Gesellschaft durchaus in der Lage, auch mit sensiblen Landschaften umzugehen und zu diesen ganz speziell Sorge zu tragen, das liegt mir sehr am Herzen.»
Gebraucht zu werden ist zweifelsfrei ein schönes Gefühl.
Die Erklärungen dieses Mannes, der sich seit Jahrzehnten tagein, tagaus mit Hunden beschäftigt, wirken wohlüberlegt und regen zum Nachdenken an. Ein Hund lebt im Hier und Jetzt und ist sich seiner Position in der Welt nicht bewusst. Er hat auch kein Verständnis für Relationen. Entsprechend empfindet ein Chihuahua seine niedliche Grösse nicht als solche. Er empfindet sich in erster Linie als Hund mit klaren Bedürfnissen für seine Haltung. Der Mensch nimmt ihn aus einer anderen Position wahr, als kleines Lebewesen, das es zu beschützen gilt. Der Umgang mit dem «kleinen Lebewesen» entspricht dann eher den Bedürfnissen eines Kleinkindes und weniger denen eines Hundes. Schlägt uns hier unser Beschützerinstinkt ein Schnippchen? Gebraucht zu werden ist zweifelsfrei ein schönes Gefühl. Gerade in einer Welt, die einem manchmal das Gefühl gibt, wir seien alle im Nu ersetzbar. Doch wer sich einen Hund oder ein anderes Tier anschaffen möchte, sollte sich über seine Beweggründe im Klaren sein. «Wer sich überlegt, ob er lieber ein Kind oder einen Hund möchte, ist ganz klar auf dem Holzweg», konkretisiert Grütter schmunzelnd und fügt hinzu: «Ich habe alles schon erlebt!» Mühe bereiten ihm auch Hundehalter, die sich als «Lebensretter» profilieren und Hunde aus ihrem scheinbar qualvollen Leben befreien wollen. Die Rede ist hier von ausgesetzten Hunden aus meist südlichen oder östlichen Ländern, die entweder auf eigene Faust oder durch sogenannte Tierschutzorganisationen in die Schweiz gebracht werden. «Wirklich qualvoll ist da oftmals das Herausreissen aus der gewohnten Umgebung und der gewohnten Lebensweise sowie der Transport an sich.»
Während fünf Jahren hat Grütter regelmässig zweimal jährlich einen Monat in Spanien solche Hunde und deren Lebensweise beobachtet. «Diesen Hunden geht es gut. In der Nacht machen sie sich meist in Rudeln in den Städten auf Nahrungssuche. Freigiebige Touristen und Mengen von Abfall machen ihnen dabei die Arbeit relativ einfach. Tagsüber verziehen sie sich an abgelegene Orte. Eine Lösung des Problems wäre die Sterilisation dieser Hunde, aber ganz sicher nicht das Geschäft mit ihnen. Die kontrovers diskutierten Haltung eines Hundes in der Stadt hält er hingegen für weniger problematisch. «Manchmal habe ich den Eindruck, Städter seien sich ihrer Verantwortung bewusster. Wer sich in der Stadt einen Hund zulegt, hat die Vor- und Nachteile oft besser abgewogen. Wichtig ist nicht, ob das Zuhause in der Stadt oder auf dem Land ist, sondern wie viel Zeit man zur Verfügung hat. Ein Hund in einer Stadtwohnung zu halten wird dann zur Quälerei, wenn dieser den ganzen Tag alleine zu Hause eingesperrt ist. Und zwar egal, wie gross der Hund ist.»
Grütter vertritt eine klare Meinung, wenn er sagt: «Eine hundertprozentige Arbeitstätigkeit ist nicht kompatibel mit den Bedürfnissen eines Hundes.» Oft landen genau solche Tiere schlussendlich bei ihm. Und zwar nicht nur für Ferien. Der Tierferienhof Rotachen übernimmt auch Tiere, die ansonsten Gefahr liefen, ausgesetzt zu werden. «Die Gründe für die Abgabe eines Tieres sind vielfältig.» Oft hörten sie sich allerdings eher wie Ausreden an. Ein leider häufiger Grund seien neue Partner. «Das sind wirklich schwierige Situationen. Wenn sich ein neuer Partner nicht mit einem Tier versteht, wird das zur Zerreissprobe für den Tierhalter.» Er persönlich plädiere dann jeweils eher für die Abgabe des Partners anstelle des Tieres, fügt Grütter halb ernst, halb scherzhaft bei. Grütter übernimmt auch Tiere, die aufgrund missachteter Tierschutzgesetze fremdplatziert werden müssen. Ihm kommt dann auch die Aufgabe zu, zu beurteilen, inwiefern ein Tier geschädigt ist oder gar ein Gefahrenpotenzial innehält. «Die meisten verhaltensauffälligen Tiere, die zu uns kommen, lassen sich innert kurzer Zeit resozialisieren. Gerade Hunde sind sehr anpassungsfähig. Viel mehr als beispielsweise Katzen.» Diese Eigenschaft kommt dem Haustier Nummer eins nicht immer nur zugute. «Hunde sind sehr aufnahmefähig gegenüber ihrer Umwelt. Sie beziehen aber auch alles auf sich.» In diesem Zusammenhang fällt der Begriff «Scheidungshund», Grütter erklärt: «Ein Hund, der über längere Zeit in einem aufgeladenen Umfeld gehalten wurde, kann Verhaltensauffälligkeiten zeigen. Die Fähigkeit, sich zu distanzieren, hat ein Hund nicht. Entsprechend nimmt er jedes böse Wort sprichwörtlich persönlich. Aber wie gesagt, die Anpassungsfähigkeit funktioniert eben auch im Positiven.» Für alle abgegebenen Tiere gilt der gleiche Grundsatz: möglichst schnell wieder ein neues Zuhause finden.
Neben der Betreuung fremder Tiere – sei es aufgrund von Ferien oder einer Abgabe – hat Grütter auch eigene Tiere. Huskys und Ponys. Mit den Huskys bietet er in den Wintermonaten verschiedene abenteuerliche Aktivitäten im Wallis an. «Dieses Angebot konnten wir in den letzten Jahren kontinuierlich ausbauen. Mittler- weile ist beispielsweise eine Husky-Schlittenfahrt kombinierbar mit einer Übernachtung in unserem kleinen ‹Feriendorf›.» Übernachtet wird dann sehr romantisch im Ambiente eines Holzfasses – Fondueplausch und Frühstücksbuffet inbegriffen. Die Ponys bereitet Grütter auf Wettkämpfe vor. Er trainiert und erzieht sie so lange, bis seine Tochter, die als Gespannfahrerin mit den Ponys an Wettkämpfen teilnimmt, die Zügel übernimmt und die Tiere dann auf konkrete Wettkämpfe vorbereitet.