«Barrys» Seniorenresidenz
«Barrys» Seniorenresidenz
Bei Ruth und Rudolf Thomann in Faulensee geniessen die ältesten Hunde vom Grossen St. Bernhard ihren Lebensabend. Das Ehepaar hat vor neun Jahren eine Stiftung initiiert und die Hunde der Chorherren vom Grossen St. Bernhard übernommen.
Text & Fotos: Beat Straubhaar
Vor zehn Jahren wurde den Chorherren vom Grossen St. Bernhard der Aufwand der Hundehaltung zu gross und der Orden wollte sich von den Hunden trennen. Als dies publik wurde, ging ein Aufschrei durch die Presselandschaft, zuerst in internationalen, dann auch in nationalen Titeln. Rudolf Thomann aus Faulensee, damals Präsident des Schweizerischen St. Bernhards-Club, verfasste in Eigeninitiative eine Projektskizze mit Offerte. Seine Frau Ruth nahm ihre Freundin Christine Cerletti-Sarasin als Gründungsmäzenin ins Boot und mit deren Einlage von 750000 Franken gelang die Übernahme. Innert vier Monaten konnten die Stiftung gegründet und die damals 15 Hunde mit der Zuchtstätte in Martigny übernommen werden. Seither führt Rudolf Thomann als Geschäftsführer und Stiftungsrat die Fondation Barry vom Grossen St. Bernhard. Zurzeit umfasst die Zucht 34 Hunde, die vom einstigen Rettungshund und späteren folkloristischen Sujet sukzessive neuen Aufgaben zugeführt wurden – zum Beispiel in der Therapie. Die Nachfrage nach Auftritten der Hunde in Betagten- und Behindertenheimen ist extrem angestiegen. Das Ehepaar Thomann bietet den ältesten Bernhardinern der Zucht einen wunderbaren, letzten Lebensabschnitt mit kleinen Spaziergängen und Blick auf See und Berge. Zurzeit sind es die zwei letzten Hunde des Ordens, Azur und Verlie, sowie der rekonvaleszente Barry, geboren am 25. Mai 2005.
Hier darf die junge Kander noch mäandrieren, wie es ihr beliebt, und schlägt darum gelegentlich überraschende Läufe ein. Im Gasteretal kann man einen Fluss erleben, wie er früher war – bevor die grossen Gewässerkorrekturprojekte des 19. und 20. Jahrhunderts die Schweizer Flüsse und Ströme kanalisierten, zähmten und zivilisierten. Als Kind versuchte Adolf Ogi zusammen mit seinem Vater, die Ufer der Kander im Gasteretal aufzuforsten und so den Flusslauf zu stabilisieren. Wenn aber die Kander im Gasteretal stark anschwillt, ist sie kräftig genug, um auch grosse Bäume mitzureissen. Selbst die Hängebrücke bei Selden ist nicht sicher vor dieser Urgewalt und wurde schon mehrmals beschädigt. Eine Wanderung durch das Bachbett der Kander im Gasteretal ist immer auch eine Art Zeitreise, denn «dank der kanalisierten Flussläufe durch stabile, schnurgerade Flussbette sind wir uns heute gar nicht mehr an die zerstörerische Gewalt des Wassers gewöhnt. Ich erinnere mich gut, wie das früher war und welchen Segen die Bach- und Flusskorrekturen für Mensch und Tier darstellten», meint Ogi.
Die Geschichte des Gasteretals ist aber auch eine Geschichte der Menschen, die seit vielen Jahrhunderten in und mit diesem Tal leben. Noch vor nicht allzu langer Zeit war das wilde Tal sogar ganzjährig bewohnt – so lebte etwa Adolf Ogis Grossmutter Margrit Ogi-Künzi in ihrer Jugend ganzjährig in Selden. Dies ist heutzutage nicht mehr möglich; zu gefährlich sind die Winter im von hohen, steilen Felswänden umringten Trogtal. Aus diesem Grund wird im Oktober auch die einzige Zufahrtsstrasse geschlossen. Im Sommer aber kehrt wieder Leben ein, denn im Gasteretal existieren noch Spuren der uralten halbnomadischen Lebensweise, die den Völkern des Alpenraums einst eigen war. So gibt es hier noch die altehrwürdige Institution des Dorfältesten, in dessen Obhut sich die berühmte, über 300 Jahre alte Gasterebibel und die etwas jüngere Gasterechronik befindet. Der jetzige Dorfälteste Christian Künzi führt nebenher auch das Gasthaus Steinbock, in dem man am knisternden Kaminfeuer den Geist dieses Tales auf sich wirken lassen kann.
Kann man einen Besuch in diesem Naturschutzgebiet aber überhaupt verantworten? Darf man hingehen und etwa mit den eigenen Füssen durch das Bachbett der jungen Kander spazieren? Selbstverständlich, sagt Adolf Ogi, dem das Schlusswort überlassen sei: «Im Grunde unseres Herzens sind wir doch alle noch ein wenig Kantianer und durchaus fähig und willens, Verantwortung für etwas zu übernehmen. Indem ich meine Lieblingsplätze bekannt mache, werden sie in ihrer ganzen Bedeutung als wertvolle Orte in einer intakten Landschaft wahrgenommen und etwas Wertvolles zu schützen, sind die Menschen gerne bereit. Ich bin schon zu lange Politiker, als dass ich den Kräften der Demokratie nicht vertraute. Auch das Tragen von Verantwortung haben wir in den letzten fast hundert Jahren demokratisiert. Wir sind als Gesellschaft durchaus in der Lage, auch mit sensiblen Landschaften umzugehen und zu diesen ganz speziell Sorge zu tragen, das liegt mir sehr am Herzen.»
«Im Gymnasium erhielt ich den Übernamen ‹Barry›, obschon wir zu Hause einen Dackel hatten.»
Rudolf Thomann, welchen Stellenwert nehmen die Bernhardiner Hunde in Ihrem Leben ein?
Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Im Gymnasium Interlaken erhielt ich den Übernamen «Barry», obschon wir zu Hause einen Dackel hatten. Als ich meine Frau kennenlernte, war sie im Besitz eines Bernhardiners. Sie pflegte jeweils zu sagen, mich habe der Hund ausgesucht, nicht sie… Als die Hündin starb, blieben wir der Rasse treu und 1986 sind wir dem Schweizerischen St. Bernhards-Club beigetreten.
Sie sind Geschäftsführer der Fondation Barry vom Grossen
St. Bernhard. Was sind
die Aufgaben der Stiftung?
Wir haben in unseren Statuten die Erhaltung der ursprünglichen Bernhardinerhunde vom Grossen St. Bernhard, die Weiterführung der Zucht am Ursprungsort und die Präsentation der Hunde auf dem Pass bei offener Strasse festgehalten. Im Sommer ist die Hälfte der Hunde auf 2469 m ü. M., die anderen sind in der Zuchtstätte oder im Museum der Fondation Bernard et Caroline de Watteville in Martigny.
Die Stiftung sucht seit längerem einen Nachfolger für Sie. Ist die Aufgabe so unattraktiv?
(lacht) Nein, aber die Suche hat etwas gedauert, die erste Runde führte nicht zum Ziel. Doch jetzt haben wir einen Nachfolger gefunden. Ich werde Ende April 2015 mein Amt niederlegen, bleibe aber im Stiftungsrat.
Welcher Schwerpunkt wird auf die Hundezucht gelegt?
Entsprechend der Tradition vom Grossen St. Bernhard werden in erster Linie Kurzhaarhunde gezüchtet. Jedes Jahr kommen im Zuchtbetrieb rund 20 Welpen mit Stammbaum zur Welt. Ein Team, bestehend aus professionell ausgebildeten Tierpflegern, einem Tierarzt und einer Rassespezialistin, sorgt für das Wohlbefinden und die optimale Entwicklung der Bernhardiner.
Was wird die grösste Aufgabe der neuen Direktion sein?
Die Stiftung ist noch nicht über den Berg. Wir haben nicht nur die Aufgabe, die Zucht nachhaltig weiterzuführen, wir müssen mit Fundraising und Sponsoring die Finanzierung sichern und Reserven aufbauen. Das sind wir unseren Spendern schuldig.
Die Stiftung führt in Thun ihr Büro für Kommunikation und Fundraising. Bleibt der Standort auch, wenn Sie nächstes Jahr die Geschäftsführung abtreten?
Wir haben das Büro seit 2007 in Thun. Wir bauen auf diesen Standort, weil unsere Hauptkunden ihren Sitz im Mittelland haben, zudem die Miete günstig und die Nähe zu Martigny gegeben ist.
In Ihrem Geschäftsbericht 2013 schreiben Sie von zunehmenden Besuchen mit den Hunden in Betagtenheimen.
Seit über 60 Jahren werden die Bernhardiner nicht mehr zu Rettungshunden ausgebildet. Seither ist ihr Einsatz zur reinen Touristenattraktion verkommen. Die Tierhaltung hat darunter gelitten, wir mussten diesen Hunden eine neue Aufgabe geben. Wir fanden 15 verschiedene Aktivitäten, eine davon ist der Einsatz als Sozialhund.
Vom Rettungs- zum Sozialhund? Fühlen sich die Hunde dabei wohl?
Ja. Der einstige Rettungshund stand auch im Dienste des Menschen, wie heute der Sozialhund. Man muss aber die Grenzen beachten, darf die Hunde dafür nur von Zeit zu Zeit einsetzen und der Einsatz darf nicht länger als eineinhalb Stunden dauern. Diese Arbeit verlangt von den Hunden sehr viel Einfühlungsvermögen. Wir führen seit zwei Jahren auch Lager mit verhaltensauffälligen Kindern durch, mit verblüffenden Resultaten. Im Unterwallis besuchen wir bereits regelmässig zehn Heime – ein Riesenerfolg.
Ist das Interesse an Bernhardinern mit der neusten Restauration von «Barry I» merklich gestiegen?
Ob das Interesse gestiegen ist, bleibt fraglich. Aber das Echo in den Medien ist gewaltig. Seither ist das Thema Barry oder der Bernhardiner fünf bis sechs Mal pro Woche in den Medien. Barry, der Schweizer Nationalhund, ist natürlich auch für die Marke Schweiz gut.
In der Schweiz werden rund 600 Bernhardiner gehalten. Ist die Rasse damit auch ohne Ihre Stiftung gesichert?
Die Welpenzahlen sind jährlich rückläufig, die Züchter werden weniger. Im Vergleich zu andern Ländern ist die Zahl der Schweizer Bernhardiner sehr klein.
Die drei Hunde, die zurzeit bei Ihnen sind, brauchen sicher auch viel Platz und entsprechend Zeit für ihren Bewegungsdrang?
Die zwei ältesten Hunde brauchen nur noch ihre täglichen, kleineren Spaziergänge. Viel wichtiger ist für den Bernhardiner, dass er beim Menschen sein kann. Bei uns haben sie Familienanschluss, sie sind immer dort, wo wir sind, auch wenn der Garten viel mehr Platz bieten würde als das Haus.
Ruedi Thomann
Generalist
und Hundefreund
Rudolf Thomann ist Initiant und Geschäftsführer der Fondation Barry vom Grossen St. Bernhard, die nächstes Jahr ihr zehnjähriges Bestehen feiern kann. Der dipl. Ingenieur ETH ist seit seiner Geburt in Faulensee zu Hause. Er arbeitete in der Verfahrenstechnik, später im Schweizer und im Europäischen Patentamt. 1984 trat er in die Gruppe der Rüstungsdienste in Thun ein, wo er bald einmal im Qualitätsmanagement arbeitete. Heute ist der 66-jährige Generalist neben seiner Tätigkeit für die Bernhardinerhunde als Berater und freier Auditor der Schweizerischen Vereinigung für Qualitäts- und Managementssysteme (SQS) tätig.