Die Lichterfeen der Nacht
Die Lichterfeen der Nacht
Seit 1998 verleiht Pro Natura jährlich einer Tierart den Titel «Tier des Jahres». Ziel dieses Projektes ist es, Fakten, Wunder und Geheimnisse einheimischer Wildtiere bekannter zu machen. Dieses Jahr geht der Titel an das Glühwürmchen.
Text: Nina Richard | Fotos: Nina Richard, zvg
Hier darf die junge Kander noch mäandrieren, wie es ihr beliebt, und schlägt darum gelegentlich überraschende Läufe ein. Im Gasteretal kann man einen Fluss erleben, wie er früher war – bevor die grossen Gewässerkorrekturprojekte des 19. und 20. Jahrhunderts die Schweizer Flüsse und Ströme kanalisierten, zähmten und zivilisierten. Als Kind versuchte Adolf Ogi zusammen mit seinem Vater, die Ufer der Kander im Gasteretal aufzuforsten und so den Flusslauf zu stabilisieren. Wenn aber die Kander im Gasteretal stark anschwillt, ist sie kräftig genug, um auch grosse Bäume mitzureissen. Selbst die Hängebrücke bei Selden ist nicht sicher vor dieser Urgewalt und wurde schon mehrmals beschädigt. Eine Wanderung durch das Bachbett der Kander im Gasteretal ist immer auch eine Art Zeitreise, denn «dank der kanalisierten Flussläufe durch stabile, schnurgerade Flussbette sind wir uns heute gar nicht mehr an die zerstörerische Gewalt des Wassers gewöhnt. Ich erinnere mich gut, wie das früher war und welchen Segen die Bach- und Flusskorrekturen für Mensch und Tier darstellten», meint Ogi.
Die Geschichte des Gasteretals ist aber auch eine Geschichte der Menschen, die seit vielen Jahrhunderten in und mit diesem Tal leben. Noch vor nicht allzu langer Zeit war das wilde Tal sogar ganzjährig bewohnt – so lebte etwa Adolf Ogis Grossmutter Margrit Ogi-Künzi in ihrer Jugend ganzjährig in Selden. Dies ist heutzutage nicht mehr möglich; zu gefährlich sind die Winter im von hohen, steilen Felswänden umringten Trogtal. Aus diesem Grund wird im Oktober auch die einzige Zufahrtsstrasse geschlossen. Im Sommer aber kehrt wieder Leben ein, denn im Gasteretal existieren noch Spuren der uralten halbnomadischen Lebensweise, die den Völkern des Alpenraums einst eigen war. So gibt es hier noch die altehrwürdige Institution des Dorfältesten, in dessen Obhut sich die berühmte, über 300 Jahre alte Gasterebibel und die etwas jüngere Gasterechronik befindet. Der jetzige Dorfälteste Christian Künzi führt nebenher auch das Gasthaus Steinbock, in dem man am knisternden Kaminfeuer den Geist dieses Tales auf sich wirken lassen kann.
Kann man einen Besuch in diesem Naturschutzgebiet aber überhaupt verantworten? Darf man hingehen und etwa mit den eigenen Füssen durch das Bachbett der jungen Kander spazieren? Selbstverständlich, sagt Adolf Ogi, dem das Schlusswort überlassen sei: «Im Grunde unseres Herzens sind wir doch alle noch ein wenig Kantianer und durchaus fähig und willens, Verantwortung für etwas zu übernehmen. Indem ich meine Lieblingsplätze bekannt mache, werden sie in ihrer ganzen Bedeutung als wertvolle Orte in einer intakten Landschaft wahrgenommen und etwas Wertvolles zu schützen, sind die Menschen gerne bereit. Ich bin schon zu lange Politiker, als dass ich den Kräften der Demokratie nicht vertraute. Auch das Tragen von Verantwortung haben wir in den letzten fast hundert Jahren demokratisiert. Wir sind als Gesellschaft durchaus in der Lage, auch mit sensiblen Landschaften umzugehen und zu diesen ganz speziell Sorge zu tragen, das liegt mir sehr am Herzen.»
Von der Larve bis zum Leuchtkäfer
Glühwürmchen, oder eben Leuchtkäfer, verbringen den Grossteil ihres Lebens als Larve. Während ihres zwei Jahre langen Daseins als Larve ernähren sie sich ausschliesslich von Schnecken aller Arten. Mithilfe eines Gifts töten die Larven die Schnecken, und machen so ihr Grössendefizit auf der Jagd wett. Eine Larve kann danach einen ganzen Tag damit verbringen, ihre Beute zu fressen. Nicht nur in den Mundzangen, sondern im ganzen Körper verteilt verfügen die Larven über Abwehrgifte, mit denen sie sich vor Fressfeinden schützen. Wie viele andere giftige Tiere warnen die Larven auch visuell über die Gefahr, die von ihnen ausgeht. Am Hinterleib sind sie mit aufleuchtenden Lichtpunkten versehen, die zur Abschreckung dienen. Das Leuchten ist aber viel schwächer als das der erwachsenen Leuchtkäfer und nur bis auf etwa ein bis zwei Meter Entfernung sichtbar.
Nach zwei oder drei Überwinterungen verpuppen sich die Larven für einen Monat, nach dem die ausgewachsenen Leuchtkäfer schlüpfen. So gefrässig wie die Larven sind, so abstinent verhalten sich die ausgewachsenen Leuchtkäfer: Sie können nämlich keine Nahrung zu sich nehmen. Einmal ausgeschlüpft ist das einzige Ziel der Leuchtkäfer die Paarung. Die Weibchen suchen sich einen guten Landeplatz, um die Männchen anzulocken. Bei den Grossen Leuchtkäfern entzünden sich nur die Weibchen, und machen so die Männchen auf sich aufmerksam. Bei anderen Arten leuchten auch die Männchen. Diese biochemische Reaktion, bei der pflanzliche und tierische Organismen Licht erzeugen, nennt man Biolumineszenz.
Nach der Paarung legt das Weibchen 60 bis 80 Eier am Boden, meist unter Gräsern, Steinen oder kleinerem Geröll, die das Gelege schützen. Nachdem es die Eier gelegt hat, stirbt das Weibchen, während das Männchen noch rund zwei Wochen weiterlebt. Die wenige Millimeter grossen Larven schlüpfen nach einem Monat Inkubationszeit und gehen sofort auf die Jagd nach Schnecken.
Das Licht als Problem für die Leuchtkäfer
In der Schweiz leben die Leuchtkäfer in diversen Gebieten bis auf 2000 Meter über Meer. Ein idealer Lebensraum für Leuchtkäfer bedarf drei Voraussetzungen: Verfügbarkeit von Schnecken, eine vielfältige und pestizidfreie Landschaft und Dunkelheit. Diese Kriterien kreieren den Eindruck, dass der Leuchtkäfer fast überall ein Zuhause finden kann. Jedoch werden vor allem die beiden letzten Voraussetzungen mehr und mehr zur Problematik. Die Vielfältigkeit und Reinheit von Landschaften einerseits wird schnell mit der Problematik vom Naturgebietsverlust und zunehmender Umweltverschmutzung relativiert. Andererseits ist aber die Dunkelheit, oder besser gesagt die fehlende Dunkelheit in den Nachtstunden ein zunehmendes Problem für die Leuchtkäfer. Strassenbeleuchtungen, Laternen und Leuchtketten in Gärten und Leuchtreklamen verhindern, dass Leuchtkäfer-Männchen die Weibchen für die Paarung finden. Die Weibchen leuchten so vergeblich.Erst kürzlich hat ein Team von australischen Forschern 73 Studien zum weltweiten Insektensterben ausgewertet und befunden, dass alle Arten von Insekten vom Artenschwund betroffen sind. Die prominenteste Ursache für das weltweite Sterben der Insekten ist dabei der Verlust von Lebensraum durch den Verbau von Naturlandschaften und intensive Landwirtschaft.
An zweiter Stelle setzen die Forscher den erheblichen Einsatz von Dünger und Pestiziden, die das Nervensystem von tierischen Organismen beschädigen und sich daher nicht nur auf Insekten auswirken können.
Die Dunkelheit, oder besser gesagt die fehlende Dunkelheit in den Nachtstunden ist ein zunehmendes Problem für die Leuchtkäfer.
Bemühungen zum Schutz des Leuchtkäfers
So pessimistisch die Befunde der australischen Wissenschaftler sind, so stark bemühen sich zahlreiche Organisationen in der Schweiz, um den Naturschutz zu fördern und vor allem auch darüber aufzuklären. Nebst Pro Natura setzten sich daher auch andere Projekte und Privatpersonen speziell für das Wohl der Leuchtkäfer ein.
So hat zum Beispiel der Verein Glühwürmchen Projekt, der 2012 gegründet wurde, das Ziel, Fachleute zusammenzubringen und dadurch die Erforschung und Förderung der Leuchtkäfer zu fördern. Der Verein engagiert sich auch stark in der Öffentlichkeitsarbeit und möchten die Kommunikation zu der Thematik weiter fördern.
Ein weiteres Projekt, das sich für den Naturschutz und Artenerhaltung – und als Folge auch für die Leuchtkäfer – einsetzt, ist «Dark Sky Switzerland». Die Non-Profit Organisation engagiert sich für die Senkung der Lichtverschmutzung im Nachthimmel, mit dem Ziel, den Folgen der Lichtverschmutzung entgegenzuwirken. Wie bereits erwähnt, können sich Insekten – aber auch andere Tierarten – aufgrund zunehmend hellem Nachthimmel immer schlechter orientieren, und vernachlässigen so ihre Paarungs- und Nahrungsbedürfnisse. Wie auch der Verein Glühwürmchen setzt sich Dark Sky Switzerland im Bereich Öffentlichkeitsarbeit ein. Beide Projekte werden vereint durch die Bemühungen, sicher zu stellen, dass der Leuchtkäfer weiterhin unsere Nächte mit seinem Lichterzauber bereichert.