Der Wolf – Historisches Fabelwesen und scheues Raubtier

Der Wolf – Historisches Fabelwesen und scheues Raubtier

Der Wolf – Historisches Fabelwesen und scheues Raubtier

Der Wolf – Historisches Fabelwesen und scheues Raubtier

Text: Peter Juesy |  Fotos: Kurt Gasner, Nina Gasner, zvg


Ein häufiger Charakter in Fabel- und Märchengeschichten und gleichzeitig ein umstrittenes, aber auch geschätztes Wildtier, das in Tierschutzdiskussionen oft für gespaltene Lager sorgt. Erfahren Sie, wie der Mensch sich über die Jahrhunderte hinweg an das scheue Raubtier angepasst hat – und wie der Wolf dem Menschen und der durch ihn veränderten Umwelt begegnet. 


In den letzten Jahren ist der Wolf in die Schweiz zurückgekehrt. Seine Anwesenheit ist seit 1995 eine Tatsache geworden. In den Kantonen Graubünden, Wallis und Tessin lebten in dieser Zeit mindestens vier nachgewiesene Wölfe. Seit 2001 wurden auch im Berner Oberland verschiedene Wolfsbeobachtungen gemeldet, die allerdings vorerst nicht mit einem gesicherten Nachweis bestätigt werden konnten. Die ersten Beobachtungen seit dem späten 19. Jahrhundert stammen vom Grimselpass (11. Mai 2001), vom hinteren Lauterbrunnental (24. August 2002) und von Gsteigwiler (12. Oktober 2004).


Geschichte des Wolfes

Ursprünglich war der Wolf weltweit das am stärksten verbreitete Grossraubtier. Er bevölkerte die gesamte Halbkugel nördlich des 15. Breitengrades. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschwand der Wolf aus den letzten Rückzugsgebieten der Schweiz. 1890 wurden im Jura und in der Ajoie die letzten Wölfe beobachtet. Heute sind die Bestände vor allem in den Vereinigten Staaten und in Europa stark geschrumpft. Während der Wolf im Osten und Süden Europas (Oststaaten, Griechenland, Balkan, Karpaten, Italien, iberische Halbinsel) überlebt hat, wurde er in Westeuropa und selbst in Skandinavien ausgerottet. In Skandinavien leben heute wieder ungefähr 400 Wölfe, in Finnland rund 100, während auf der iberischen Halbinsel über 2000 und in Italien bis 1000 Tiere vorkommen. 

In Europa lebt heute eine Population von ungefähr 4000 Wölfen. Aus Italien ist der Wolf nie ganz verschwunden. Da die natürlichen Beutetiere des Wolfes zu Beginn des letzten Jahrhunderts praktisch ausgerottet waren, mussten sich die Wölfe an Kehrichtdeponien und Haustiere halten, was zu Konflikten mit Menschen führte. Die Population befand sich in den frühen 70er-Jahren mit nur noch 100 Wölfen auf einem kritischen Tiefstand. Italien stellte deshalb den Wolf 1976 unter Schutz, verbot die Anwendung von Giften, führte ein Entschädigungssystem bei Haustierschäden ein und startete Informationskampagnen in der Öffentlichkeit. Die Wildbestände, ganz speziell auch die Wildschweine, konnten sich – vor allem in den Abruzzen – wieder erholen. 1985 konnte die Anwesenheit des Wolfs in der Gegend von Genua und Alessandria – ungefähr 130 km von der Schweizer Grenze – offiziell bestätigt werden.


Der Wolf in der Tierwelt

Der Wolf (Canis lupus) gehört – wie auch der Rotfuchs (Vulpes vulpes) – der Familie der Hundeartigen an. Wie auch der Rotwolf, der Kojote und der Goldschakal zählt der Wolf zur Gattung der Hunde innerhalb der Familie der Hundeartigen. Die Einteilungen der Unterarten des Wolfes sind umstritten und innerhalb der Unterarten unterscheiden sich die Arten teils stark in ihrer Grösse und ihrem Erscheinungsbild. Die Wölfe, die in der Schweiz leben, sind Vertreter der Unterart Canis lupus lupus. 


Lebensraum und Rudel

Die Grösse des Reviers von Wölfen hängt davon ab, wie viele Beutetiere vorhanden sind. In Mitteleuropa leben Wölfe in grösseren Gruppen, den Rudeln, in Revieren von bis zu 200 Quadratkilometern. In nördlicheren Regionen, die weniger stark besiedelt und wo grössere Beutedichte herrscht, kann ein Rudelrevier auch bis zu 1000 Quadratkilometern gross sein. Während in Nordamerika und Nordostasien ein Rudel bis zu 20 Tiere beherbergen kann, findet man in Europa Zusammenschlüsse von durchschnittlich vier bis sechs Tieren, meist ein Elternpaar und seine Jungen. Es wurde aber auch schon dokumentiert, dass fremde Wölfe in ein Rudel aufgenommen wurden.





Fortpflanzung und Jungtiere

Je nach Gebiet ist die Paarungszeit der Wölfe zwischen Januar und März. Wölfinnen bringen nach einer Tragzeit von etwa 63 Tagen drei bis acht Welpen zur Welt. Bei der Geburt sind die Welpen blind und das ganze Rudel kümmert sich anschliessend um sie. Bis sie ein Alter von etwa drei Monaten erreicht haben, verbleiben die Jungen in der Wurfhöhle, danach werden sie in geschützte Verstecke («Rendevous-Sites») gebracht, wo sie während der Jagd der erwachsenen Tiere in Sicherheit sind. Die meisten Jungwölfe verlassen das Rudel im Alter von zehn Monaten bis zwei Jahren und gründen ein eigenes Rudel. Dazu wandern sie bis zu 1000 Kilometer, wenn in der Nähe kein geeignetes Revier zu finden ist.


Nahrung

Der Wolf zeichnet sich durch seine Anpassungsfähigkeit in Sachen Nahrung aus. Wenn vorhanden, jagt er aber vorwiegend kleine und grössere Huftiere. In der Schweiz und in Mitteleuropa allgemein bedeutet das, dass vor allem Rothirsche, Rehe und Gemsen zu seinem Beuteschema gehören. Es kann aber auch vorkommen, dass Wölfe Füchse, Nutztiere oder Kleinsäuger töten. In seinem Jagdstil kann der Wolf als Hetzjäger und Opportunist beschrieben werden: Er wählt seine Beute somit nach Gelegenheit aus. Dies ist eine sinnvolle Anpassung, da der Wolf oft lange hungern muss und es sich nicht leisten kann, eine Chance auf Beute zu verpassen. Dies kann aber auch dazu führen, dass der Wolf zum Beispiel bei einer Jagd auf eine Schafherde mehr Tiere tötet, als er fressen kann.


Mensch und Wolf

Der Wolf als Raubtier und Jäger im Tierreich ist ein gängiges Symbol in der Mythologie. Je nach Kulturkreis wird er von den einen Menschen geschätzt und von anderen gemieden. In der westlichen Kultur hat sich vor allem das Bild des «bösen Wolfs» durchgesetzt. In Wirklichkeit ist der Wolf ein scheues Tier und Angriffe auf Menschen sind extrem selten. Meist erregt der Wolf die Aufmerksamkeit des Menschen durch Angriffe auf Nutztiere, das heisst, Schafe oder Geissen. In der Schweiz ist der Umgang mit dem Wolf in solchen Situationen durch das «Konzept Wolf Schweiz» geregelt: Verliert eine Landwirtin oder ein Landwirt Schafe oder andere Nutztiere durch einen Wolfangriff, werden diese durch den Bund und die Kantone für den Verlust entschädigt.



Der Wolf im Kanton Bern

Seit der Mensch mehr und mehr in den natürlichen Lebensraum der Wildtiere – und damit auch den der Wölfe – eingedrungen ist, kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen den beiden Seiten. Die Wölfe im Kanton Bern sind da keine Ausnahme. Um einen geregelten und tierschutzgerechten Umgang mit dem Wolf zu garantieren, wurde 2004 erstmals ein Zusammenschluss auf kantonaler und nationaler Ebene lanciert. Am Mittwoch, 22. März 2006 wurde zum ersten Mal seit mehreren Jahrzehnten ein Wolf im Kanton Bern gesichtet und bestätigt. Der Kanton Bern und die Verantwortlichen für das «Konzept Wolf Schweiz» reagierten sofort darauf und passten die Regelungen rund um die Handhabung und den Umgang mit den Wölfen an. Diese Anpassungen sollen vor allem in präventiver Art beide Seiten – den Wolf aber auch die Nutztiere und den Menschen – schützen, bevor es überhaupt zu direkten Begegnungen kommt. Die «Kerngruppe Wolf» ist dabei zuständig für die Umsetzung dieser Bestrebungen und setzt ihren Fokus auf die Prävention und den Herdenschutz. Die Gruppe unter der Leitung des kantonalen Jagdinspektors trifft sich regelmässig, um aktuelle Anliegen zu besprechen. 

Die Strategie «Umgang mit dem Wolf im Kanton Bern» hat zum Ziel: 

– Die Voraussetzungen für eine langfristige Koexistenz von Menschen und Wölfen im Kanton Bern schaffen. 

– Eine natürliche Rückwanderung des Wolfs und die mögliche Besiedlung geeigneter Lebensräume begleiten (es werden gemäss Konzept Wolf Schweiz keine Wölfe ausgesetzt oder umgesiedelt). 

– Sich nach dem Grundsatz «Prävention vor Intervention» ausrichten. 

– Die Schäden an Nutztieren auf ein tragbares Mass begrenzen. 

– Gegenüber der Öffentlichkeit eine zeitgerechte und sachliche Information sicherstellen. 

Bereits im Sommer 2007 wurden auf drei Schafalpen Herdenschutzhunde eingesetzt mit dem Ziel, die Schafe vor Luchs und Wolf zu schützen. Auf den Alpen Unterer Ring, Ober Geeri und Hohniesen im Diemtigtal wurden jeweils zwei Herdenschutzhunde eingesetzt. Auf allen drei Alpen haben sich die Herdenschutzhunde rasch in die Schafherden integriert. Obschon zwei Alpen pe- riodisch von Wanderern begangen wurden, kam es zu keinen Zwischenfällen. Ein Jahr später wurden im westlichen Berner Oberland vier Wölfe nachgewiesen und es wurden auf weiteren fünf Alpen Herdenschutzhunde eingesetzt mit dem Ziel, die Schafe vor Luchs und Wolf zu schützen.

Seither gab es immer wieder Wolfsnachweise im Kanton Bern und angrenzenden Kantonen. Nach 2008 wurden auch in den folgenden Jahren bis und mit 2012 Wölfe im Bernbiet nachgewiesen. Bei den Wölfen handelte es sich zwar um verschiedene Tiere, durch DNA-Tests stellte sich aber heraus, dass es sich bei den Wolfauftreten vorwiegend um dieselben zwei Männchen (M13 und M16) und dasselbe Weibchen (F5) an verschiedenen Punkten im Kanton handelte.  Im Kontext der weiten Strecken, welche Wölfe teilweise zurücklegen, bis sie sesshaft werden, erscheinen diese Nachweise als relativ häufiges Auftreten derselben Wölfe. Aus Deutschland ist beispielsweise ein gesicherter Fall bekannt, bei welchem ein Wolfs- männchen von der Lausitz (südlich von Berlin), in einem Zeitraum von 47 Tagen, mit einer Pause von 79 Tagen, eine Strecke von 1550 Kilometer zurückgelegt und dabei zwei Autobahnen überquert hat. Dieser Wolf wanderte bis nach Weissrussland. Misst man seinen Abwanderungsradius, reicht er weit über die Schweiz hinaus bis nach Paris und fast nach Rom. Auch aus Italien, Slowenien und anderen Ländern sind solche Fälle bekannt. 

Als Folge mehrerer Anpassungen in der Handhabung des Herdenschutzes auf kantonaler und nationaler Ebene hat der Kanton Bern ab 2015 ein neues Herdenschutzkonzept erarbeitet. Der Kanton Bern ver- fügte im Bereich Planung des Herdenschutzes über mehrjährige Erfahrung und nachweisliche Erfolge. Als Teil davon wurde auch ein Herdenschutzbeauftragter ernannt, der in die landwirtschaftliche Beratung integriert ist. Obschon Herdenschutzmassnahmen dringend empfohlen werden, sind diese für die Bewirtschafter nach wie vor freiwillig. Die Beratung und Begleitung für das Umsetzen von empfohlenen Herdenschutzmassnahmen sind kostenlos. Die Kosten, welche für die Ausbildung von Herdenschutzhunden und deren Halter entstehen, werden vom Bund getragen. 

Die Erfahrungen der letzten Jahre im Kanton Bern haben gezeigt, dass jede Alp bezüglich Herdenschutzes individuell beurteilt werden muss. Mit der Behirtung, der Information an die Touristinnen und Touristen sowie der Zusammenarbeit mit den Berner Wanderwegen und dem lokalen Tourismus kann das Konfliktpotential deutlich vermindert werden. 


Erfahrungen Wolf und Herdenschutz von 2006 bis 2016 von Jagdinspektor P. Juesy


Peter Juesy, Jagdinspektor von 1993 bis 2016 hat nach zehn Jahren Erfahrung mit der «Berner Strategie» eine Bilanz gezogen. Die Strategie für den Umgang mit dem Wolf im Kanton Bern hat sich in diesen zehn Jahren bewährt und die gute Zusammenarbeit mit den Interessenverbänden hat sich etabliert. Bis 2016 hat kein Wolf die politisch heikle «Abschusszahl» auch nur annähernd erreicht. 

Nach 10 Jahren erwiesener Wolfspräsenz im Kanton Bern fand noch keine Rudelbildung statt. Vor dem Hintergrund, dass die Jagdverwaltung (Wolfsschutz), der Veterinärdienst (Herdenschutzhundeprobleme) und das Landwirtschaftsamt (Kleinviehhaltung) unter dem gleichen Departement in der Verantwortung von einem Regierungsrat stehen, wird die Problemlösungsstrategie im Kanton Bern begünstigt. Die Umsetzung der Strategie Wolf wird damit erleichtert. 

In der Region Gantrisch wurde trotz über zehnjähriger Wolfspräsenz keine Kleinviehalp aufgegeben und die Anzahl gesömmerter Schafe und Ziegen ist sogar gestiegen. Trotz einiger Erfolge zeigt sich aber, dass der Herdenschutz nicht die zentrale Rolle für die Akzeptanz von Wölfen spielt. 2018 wurde die «Vereinigung zum Schutz von Wild- und Nutztieren vor Grossraubtieren im Kanton Bern» mit mehr als 400 Mitgliedern gegründet.


Zukunft Wolf in der Schweiz


Das Schweizerische Jagdgesetz wird zur Zeit vom Parlament revidiert. Der Umgang mit den Grossraubtieren ist dabei eine der zentralen Fragen. So wie es aussieht, wird das Gesetz in der Septembersession verabschiedet. Der absolute Schutz des Wolfs soll gelockert werden, was bedeutet, dass die Wildhut künftig Einzelabschüsse tätigen könnte, wenn grosser Schaden droht oder angerichtet wurde. Das geht den Gegnern des Gesetzes zu weit und sie haben bereits das Referendum und damit eine Volksabstimmung angekündigt.




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