Der Bachflohkrebs: Der Botschafter für saubere Bäche

Der Bachflohkrebs: Der Botschafter für saubere Bäche

Der Bachflohkrebs: Der Botschafter für saubere Bäche

Flohkrebse haben eine sehr zentrale Funktion in aquatischen Ökosystemen: Wo sie in grosser Zahl vor- kommen, ist der Bach gesund. Die Wahl des Bach- flohkrebses zum Tier des Jahres 2021 ist auch eine Hommage an die zahllosen kleinen, unscheinbaren Tierarten, die unser Ökosystem überhaupt in Bewegung halten.

Text: Anja Rüdin  |  Fotos: Verena Lubini, Jan Ryser, Pro Natura, zvg

Dass der Bachflohkrebs von Pro Natura zum Tier des Jahres 2021 gewählt wurde, mag auf den ersten Blick vielleicht ein wenig verwundern. Die kleinen Tierchen sind möglicherweise nicht die niedlichsten Titelträger, doch ihre Wichtigkeit für unsere Gewässer ist nicht zu unterschätzen. Einerseits gehören Flohkrebse zu den wichtigen Destruenten von Laubstreu, welches in Gewässer eingetragen wird. Andererseits bilden sie auch eine wichtige Nahrungsgrundlage für Fische.

Der Bachflohkrebs (Gammarus fossarum) hat noch eine weitere bedeutende Funktion: Er dient als wichtiger Indikator in Umweltmonitoring-Projekten und in der Ökotoxikologie. Das heisst, die kleinen Krabbler reagieren als sogenannte Zeigetiere empfindlich auf Gewässerverschmutzungen. Fehlt der Bachflohkrebs in einem Bach, stimmt folglich etwas mit der Wasserqualität nicht. Pro Natura rückt dieses Jahr mit der Wahl dieses Tieres zum Tier des Jahres die Wichtigkeit der kleinen Bäche in den Fokus und ruft gleichzeitig zu einem besseren Schutz dieser blauen Lebensadern auf. Denn in der Schweiz machen kleine und mittlere Bäche 75 Prozent des Gewässernetzes aus, sie sind also besonders wichtig für die Natur. Unzählige Tier- und Pflanzenarten sind auf saubere, natürliche Bäche angewiesen – so auch der Bachflohkrebs.

Gepanzerter Winzling

Bestimmt hat jede und jeder schon einen Bachflohkrebs beobachtet. Wenn nicht, kann das ganz einfach nachgeholt werden: Hebt man in einem sauberen Waldbach einen Stein an oder wendet ein angeschwemmtes Blatt, sieht man kleine, bogenförmige Tierchen, die in einer merkwürdigen Seitenlage möglichst schnell davonrudern. Das sind Flohkrebse, allermeist Bachflohkrebse. Denn dies ist die am weitesten verbreitete Flohkrebsart in der Schweiz. Sie sind bis circa 1300 Meter über Meer fast überall in der Schweiz anzutreffen, ausser im Tessin und in einzelnen Südtälern. 

Bachflohkrebse werden bis zu 14 Millimeter (Weibchen) beziehungsweise 21 Millimeter (Männchen) lang. Das ist kaum grösser als ein Fingernagel. Der kompakte, leicht gebogene Körper ist umhüllt mit einem dunklen, bräunlichen Panzer. Dieser besteht aus Chitin und Kalk. Wie alle Flohkrebse weist auch diese Art sieben Beinpaare, zwei Antennenpaare und weitere kleinere Fortsätze auf. Zudem ist der ganze Körper übersäht mit zahlreichen kleinen Borsten. Der Körper des Bachflohkrebses umschliesst ein offenes Bauchgewölbe. Mit seinen Schwimmbeinen erzeugt das Tier eine Wasserströmung in diesem Gewölbe und versorgt so seine Kiemen mit frischem Wasser. Je nach Wasserqualität, Futter und Alter kann die Farbe der Bachflohkrebse zwischen braun, grau und grün variieren.

Pro Natura rückt dieses Jahr mit der Wahl dieses Tieres die Wichtigkeit der kleinen Bäche in den Fokus.

Für die erfolgreiche Fortpflanzung brauchen Frau und Herr Bachflohkrebs ein gutes Timing: Die Paarung kann nämlich nur unmittelbar nach einer Häutung des Weibchens erfolgen. So kommt es auch vor, dass Männchen die Weibchen häufig schon Tage vor der eigentlichen Häutung ergreifen und sie nicht mehr loslassen. Dieses Verhalten nennt sich Präkopula, also Vorpaarung.

Nach der Befruchtung gedeihen die Embryonen in Eiern im Brutraum des Bauchgewölbes, sie befinden sich also ausserhalb des Körpers. Nach drei bis vier Wochen schlüpfen die Jungen, sie haben bereits alle Extremitäten. Nach ein bis zwei Tagen im Brutraum verlassen sie diesen endgültig. Mit drei bis vier Monaten und nach mehreren Häutungen sind die jungen Bachflohkrebse geschlechtsreif. Die kleinen Tierchen leben zwischen einigen Monaten und maximal einigen Jahren, danach endet das Leben eines Bachflusskrebses.

Alarmanlagen in unseren Gewässern

Wie schon erwähnt, reagieren Bachflohkrebse sehr empfindlich auf Gewässerverschmutzungen und dienen somit als Indikatoren für die Sauberkeit von Gewässern. Schlecht geklärte Abwässer und Pestizide schädigen oder töten die kleinen Tierchen sogar. Wenn Pestizide ins Wasser gelangen, leiden aber nicht nur die Bachflohkrebse: Auch andere Kleintiere, Fische und viele Vogelarten werden geschädigt, da ihr Nahrungsangebot reduziert wird.

Bachflohkrebse selbst ernähren sich hauptsächlich von totem Blattmaterial. Jedoch verzehren sie meist nur die weichen Blattteile, während sie die härteren Blattskelette stehen lassen. Dennoch tragen sie einen entscheidenden Teil zum unsichtbaren Nährstoffkreislauf bei, welcher Land und Wasser verbindet: Ein Blatt fällt in den Bach, der Flohkrebs frisst dieses, dieser wird wiederum von einer Wasseramsel aufgepickt. Vielleicht setzt sich genau diese Amsel später auf den Baum, von welchem sich das Blatt gelöst hatte?

Flohkrebse und Forschung

Obwohl die ökologische Bedeutung von Flohkrebsen allgemein bekannt ist, bestand in der Schweiz bis vor Kurzem eine grosse Wissenslücke über diese wichtigen Krebstiere. Es gab keine Checkliste, keine Verbreitungskarten und keinen Schätzwert für die Vielfalt der ungefähr 40 Flohkrebsarten in der Schweiz. Seit 2012 ist das anders, denn engagierte Forschende haben mit dem Projekt Amphipod.CH viel neues Wissen gesammelt. Das Team watete durch Gewässer, zwängte sich in Höhlen und durchstöberte Quellfassungen. Dank ihrer Arbeit können wir die Verbreitungsdaten dazu nutzen, die Flohkrebsvielfalt innerhalb des Gewässernetzes der Schweiz besser zu verstehen.

Rund ein Drittel der in der Schweiz nachgewiesenen Flusskrebsarten sind nicht einheimisch. Denn durch Eingriffe des Menschen in unsere Gewässersysteme entstehen ungeahnte Folgen. Zum Beispiel sind seit der Eröffnung des Rhein-Main-Donau-Kanals 1992 zahlreiche Wassertierarten via Basel neu in unsere Gewässer eingewandert. Andererseits kommen vier Arten weltweit nur in der Schweiz vor. Das Forschungsteam von Amphipod.CH bezeichnet seine Erkenntnisse als Momentaufnahme. Und auch die Welt der heimischen Flusskrebse hält noch viele Geheimnisse bereit ...

Die Welt der heimischen Flusskrebse hält noch viele Geheimnisse bereit.

Auch Pro Natura setzt sich für den Bachflohkrebs ein. In der ganzen Schweiz werden neue Wasserwelten für diese wichtigen Krabbler und alle anderen Bewohner unserer Gewässer geschaffen. Es werden beispielsweise Flüsse renaturiert, Quellen geschützt und eingedolte Bäche wieder ans Tageslicht geholt.

Interessiert?
Unter folgenden Websites finden Sie weitere Informationen und spannende Fakten zum Bachflohkrebs sowie zur Arbeit von Pro Natura und Amphipod.CH.

www.pronatura.ch
www.amphipod.ch

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