«Camina, wo isch ’s Trüffeli?»
«Camina, wo isch ’s Trüffeli?»
Errare humanum est. Irren ist menschlich. Gilt auch bei den Trüffeln, denn die Gleichung «Trüffel = Trüffel» ist falsch. Weil sich das Gespräch mit dem klassischen Trüffelhund, einem Lagotto Romagnolo, als doch eher schwierig erweist, haben wir uns mit seiner Besitzerin unterhalten, mit Christina Mader aus Bönigen.
Text: Thomas Bornhauser | Fotos: Thomas Bornhauser, zvg
Hier darf die junge Kander noch mäandrieren, wie es ihr beliebt, und schlägt darum gelegentlich überraschende Läufe ein. Im Gasteretal kann man einen Fluss erleben, wie er früher war – bevor die grossen Gewässerkorrekturprojekte des 19. und 20. Jahrhunderts die Schweizer Flüsse und Ströme kanalisierten, zähmten und zivilisierten. Als Kind versuchte Adolf Ogi zusammen mit seinem Vater, die Ufer der Kander im Gasteretal aufzuforsten und so den Flusslauf zu stabilisieren. Wenn aber die Kander im Gasteretal stark anschwillt, ist sie kräftig genug, um auch grosse Bäume mitzureissen. Selbst die Hängebrücke bei Selden ist nicht sicher vor dieser Urgewalt und wurde schon mehrmals beschädigt. Eine Wanderung durch das Bachbett der Kander im Gasteretal ist immer auch eine Art Zeitreise, denn «dank der kanalisierten Flussläufe durch stabile, schnurgerade Flussbette sind wir uns heute gar nicht mehr an die zerstörerische Gewalt des Wassers gewöhnt. Ich erinnere mich gut, wie das früher war und welchen Segen die Bach- und Flusskorrekturen für Mensch und Tier darstellten», meint Ogi.
Die Geschichte des Gasteretals ist aber auch eine Geschichte der Menschen, die seit vielen Jahrhunderten in und mit diesem Tal leben. Noch vor nicht allzu langer Zeit war das wilde Tal sogar ganzjährig bewohnt – so lebte etwa Adolf Ogis Grossmutter Margrit Ogi-Künzi in ihrer Jugend ganzjährig in Selden. Dies ist heutzutage nicht mehr möglich; zu gefährlich sind die Winter im von hohen, steilen Felswänden umringten Trogtal. Aus diesem Grund wird im Oktober auch die einzige Zufahrtsstrasse geschlossen. Im Sommer aber kehrt wieder Leben ein, denn im Gasteretal existieren noch Spuren der uralten halbnomadischen Lebensweise, die den Völkern des Alpenraums einst eigen war. So gibt es hier noch die altehrwürdige Institution des Dorfältesten, in dessen Obhut sich die berühmte, über 300 Jahre alte Gasterebibel und die etwas jüngere Gasterechronik befindet. Der jetzige Dorfälteste Christian Künzi führt nebenher auch das Gasthaus Steinbock, in dem man am knisternden Kaminfeuer den Geist dieses Tales auf sich wirken lassen kann.
Kann man einen Besuch in diesem Naturschutzgebiet aber überhaupt verantworten? Darf man hingehen und etwa mit den eigenen Füssen durch das Bachbett der jungen Kander spazieren? Selbstverständlich, sagt Adolf Ogi, dem das Schlusswort überlassen sei: «Im Grunde unseres Herzens sind wir doch alle noch ein wenig Kantianer und durchaus fähig und willens, Verantwortung für etwas zu übernehmen. Indem ich meine Lieblingsplätze bekannt mache, werden sie in ihrer ganzen Bedeutung als wertvolle Orte in einer intakten Landschaft wahrgenommen und etwas Wertvolles zu schützen, sind die Menschen gerne bereit. Ich bin schon zu lange Politiker, als dass ich den Kräften der Demokratie nicht vertraute. Auch das Tragen von Verantwortung haben wir in den letzten fast hundert Jahren demokratisiert. Wir sind als Gesellschaft durchaus in der Lage, auch mit sensiblen Landschaften umzugehen und zu diesen ganz speziell Sorge zu tragen, das liegt mir sehr am Herzen.»
«Der Lagotto könnte passen!»
Als Kind hatte man in ihrer Familie durchaus Hunde zu Hause, einen Berner Sennenhund etwa, oder eine Mischung aus Berner Sennenhund und Jura Laufhund. Dass Vierbeiner für lange Zeit kein Thema mehr waren, lag daran, dass Christina und ihr Mann, beide berufstätig, keine Zeit für den besten Freund des Menschen hatten. Und als sich Kinder zur Familie gesellten, hatte man mit den Kleinen sowieso genug zu tun – erst recht, als zusätzliche Tageskinder für Betrieb sorgten… Es kam jedoch, wie es kommen musste: Die Töchter aus dem Hause Mader verlangten nach einem Tier. Dem Antrag wurde stattgegeben, allerdings nicht nach einem Hund, sodass zuerst Schildkröten, danach Hasen und Katzen die Tierliebe bei Maders in Anspruch nehmen durften.«Ich möchte sooo gerne einen Welpen», meldete sich Flurina vor ungefähr sechs Jahren, worauf die Suche nach einem geeigneten Kandidaten losging. Die Mutter aller Fragen: Welche Rasse denn? Also sass man in Bönigen zu Tische, surfte in der virtuellen Welt der Hunderassen rum und notierte sich die Plus- und die Minuspunkte verschiedener Rassen und erstellte zum Schluss eine Rangliste. «Der Lagotto könnte passen!» Nach einem Besuch bei einem Züchter in Thun war klar: Lagotto auf Pole.
«Le Parfait» als Belohnung
Wo aber einen geeigneten Welpen finden? In dieser Ungewissheit war eines klar: Der Familienzuwachs sollte aus einem Familienzuchtbetrieb kommen, nicht aus einer Grosszucht. In Oberthal im Emmental wurden Maders fündig, bei Familie Christener. «Alles stimmte da, die Leute waren sehr sympathisch», erinnert sich Christina Mader. Der danach zu langen Rede kurzer Sinn: Aus dem nächsten Wurf entschied man sich für ein weibliches Jungtier mit Namen Camina.Logisch, Camina war jetzt Hahn im Korb bei Familie Mader. Und mit der Zeit reifte der Vorsatz, Camina «nadisna» für das auszubilden, wofür sie von der Natur auserkoren wurde. Exakt, die feine Nase für Trüffel. Dafür gab es zu Beginn ein Stofftier, einen «Trüffelhasen», gefüllt mit einer Art «Kinderüberraschung» mit Trüffelöl und einer Tube… «Le Parfait». Fortan spielte nun Camina mit dem Trüffelhasen, der im Laufe der Wochen jeweils weiter weggeworfen wurde: «Camina, wo isch ’s Trüffeli?» Zur Belohnung, dass Camina das Stofftier zurückbrachte, wurde sie mit dem Brotaufstrich belohnt. «Zudem», lacht Christina Mader, «wurde sie durch das Training schön müde und verlangte abends nicht nach zusätzlicher Aufmerksamkeit.»
Falsche Richtung
Mit der Routine kommt auch bei Hunden die Langeweile auf, weshalb es für Camina immer schwierigere Aufgaben gab. Will heissen: Weil sie sich inzwischen an den Geruch von Trüffelöl gewöhnt hatte, ging man mit ihr in den Wald, warf den Trüffelhasen herum, mit der Zeit dann nur noch das Überraschungsei und begann damit, das Ei bei Baumstämmen zu vergraben.Als Camina ungefähr 18 Monate alt ist, erlebt Christina Mader ihr persönliches «Heureka!». Zusammen mit einer Bekannten, die mit Scheppi ebenfalls einen Lagotto besitzt, spaziert sie im Wald, die Hunde in bester Laune. Ein Ei wird weit weg geworfen. Das Dumme daran: Die Vierbeiner rennen in die falsche Richtung, beginnen aber bei einem Baumstrunk zu graben. «Was Cheibs sueche die dört?», fragt Christina Mader. Diese Antwort liegt auf der Hand, besser gesagt unter der Erdoberfläche. Alle sind sie völlig aus dem Häuschen: Caminas erster Trüffel!
Trüffel-, kein Drogenhund
In einer früheren Ausgabe von «ThunerseeLiebi» stand vom gleichen Autor zu lesen, wie in Interlaken vor allem belgische Schäferhunde zum Aufspüren von Drogen, Sprengstoff oder Tabak ausgebildet werden, nämlich ziemlich genau wie Camina mit ihrem Trüffel-Stofftier, einfach mit anderen Riechstoffen. Weshalb aber eignet sich Camina nicht für solche Einsätze? Hier eine Eigeneinschätzung des Schreibenden, die für Hundehalter nicht unbedingt «wasserdicht» sein muss: Lagotti scheinen eigenständiger und eigensinniger als belgische Schäfer, sie arbeiten weit weniger zielgerichtet mit ihrem Meister, rennen oft umher, bevor sie Trüffel finden, bei Sprengstoff wäre dieses Verhalten katastrophal.Fantastischer Geschmack
Und nun aber – endlich – zu den Trüffeln, die man auch im Berner Oberland findet, wenn auch nicht identisch mit den berühmten und teuren Alba-Trüffeln. Viele unter Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, die Trüffel wegen ihres charakteristischen Geschmacks nicht mögen, werden staunen: Die Berner Oberländer Trüffel schmecken ganz anders, ohne den penetranten Geruch von Alba-Trüffeln (Liebhaber dieser piemontesischen Spezialität mögen mir diese Bemerkung verzeihen, bezeichnen Sie mich ruhig als gastronomischen Banausen). «Nussig» ist treffender. Sie heissen Herbst- oder Burgundertrüffel und schmecken… köstlich.Selbstverständlich schweigt sich Christina Mader ebenso über ihre Suchgebiete aus wie über die Anzahl Trüffel, die sie im Laufe der Saison findet, pardon, die natürlich Camina findet. Was aber macht sie mit den Kostbarkeiten? «Wir haben natürlich Eigenbedarf, dann verschenke ich sie ab und zu an Freunde, zudem kann ich kleine Mengen, zeitlich begrenzt, an wirkliche Spitzenköche in der Region liefern, die den feinen Geschmack der Trüffel belassen.» Ohnehin sei der Handel mit Alba-Trüffeln ein gutes Geschäft, vor allem für die Restaurants, denn in den meisten Fällen würden die Gerichte in der Küche mit synthetisch hergestelltem Trüffelöl «veredelt», um mit dem Reiben der Knolle vor dem Gast das grosse Geld zu machen.
Achtung vor der Natur
Christina Mader ist es wichtig, dass man Sorge zur Natur trägt, indem man beispielsweise Löcher, die durch das Graben und das Ausheben der Trüffel entstehen, mit dem herausgearbeiteten Erdreich wieder füllt, weil dort sonst keine Trüffeln mehr wachsen. Beim Graben sei auch darauf zu achten, dass das Wurzelwerk eines Baums nicht beschädigt wird. «Leider gibt es immer wieder Beispiele, die beweisen, dass das nicht gemacht wird. Für mich ist das eine Ausbeutung der Natur. Geht gar nicht.» Apropos graben: Die Lagotti haben die klassischen Trüffelschweine grösstenteils abgelöst, weil sie weit weniger Schaden an den Bäumen und dem Waldboden anrichten. Berner Oberländer Trüffel eignen sich dank ihres Geschmacks hervorragend, um sich an neue Produktvarianten heranzumachen, sei es mit Honig, mit Essig oder mit Käse, mit dem der Schreibende zum Schluss des Besuchs verwöhnt wird.