Der «Zorro»  unserer Wälder

Der «Zorro» unserer Wälder

Der «Zorro» unserer Wälder

Als «Tier des Jahres 2022» ist der Gartenschläfer ein sympathischer Botschafter für wilde Wälder und naturnahe Kulturlandschaften. Da die Populationen dieser Art in weiten Teilen Europas stark zurückgehen, ist es besonders wichtig, mehr über den nacht-aktiven Nager zu erfahren.

Text: Anja Rüdin  |  Fotos: Frederic Desmette, P. M. Guinchard, Erich Linz, Jean-François Noblet, Severin Nowacki, zvg

it seiner unverwechselbaren Maske, der schwarzen Schwanzquaste und seinen grossen Ohren hat der Gartenschläfer (Eliomys quercinus) ein charakteristisches Aussehen. Entsprechend lässt er sich auch relativ leicht von seinem bekannteren und grösseren Cousin, dem Siebenschläfer, unterscheiden. Und auch mit dem Baumschläfer besteht keine grosse Verwechslungsgefahr, fällt dessen Auenmaske doch deutlich kürzer aus und endet vor den Ohren. Zudem kommen Baumschläfer noch seltener vor als Gartenschläfer; so ist erstere Art in der Schweiz nur im Raum Engadin-Münstertal-National-park nachgewiesen. Der nachtaktive Gartenschläfer gehört zur Familie der Bilche und wurde von Pro Natura zum «Tier des Jahres 2022» ernannt. «Über seine Verbreitung und seine besonderen Lebensbedürfnisse in der Schweiz wissen wir noch relativ wenig. Die Zahl der Gartenschläfer sinkt in weiten Teilen Europas, umso wichtiger ist es, mehr über den Zorro unserer Wälder zu erfahren. Darauf möchte Pro Natura hinweisen», führt Rico Kessler von Pro Natura aus.


Auf dem Rückzug

Der Gartenschläfer kommt in ganz Europa vor, ist jedoch mittlerweile aus weiten Teilen seines ursprünglichen Verbreitungsgebietes verschwunden. So treten die kleinen Nager zum Beispiel in Osteuropa heute nicht mehr auf. Im Gegensatz dazu lässt sich der Gartenschläfer grundsätzlich noch in der ganzen Schweiz antreffen. Bei uns liegt sein Hauptverbreitungsgebiet in Höhenlagen um 1400 Meter über Meer, während es im Mittelland und in anderen Regionen aktuell keine Nachweise zu geben scheint. Die Gründe dafür sind teilweise unklar: Der Verlust seines Lebensraumes spielt sicherlich eine Rolle, andere Ursachen werden zurzeit erforscht. Um das Verschwinden der Bilche mit «Zorro»-Maske zu verhindern, sind die Gartenschläfer gesetzlich geschützt. Ausserdem erhalten sie durch die Wahl zum «Tier des Jahres 2022» mehr Aufmerksamkeit, was dem drohenden Aussterben ebenfalls entgegenwirken soll. Wilde Wälder und naturnahe Landschaften sind die natürlichen Lebensräume der Gartenschläfer. Vielfältige Wälder mit Baumhöhlen, Totholz, felsigen Abschnitten und Büschen sind als Lebensraum aber selten geworden, was für die Nager ein grosses Problem darstellt. Bis vor wenigen Jahrzehnten fand der Gartenschläfer Ersatzlebensräume ausserhalb des Waldes, nämlich in vielfältigen Kulturlandschaften mit Hecken, Obstgärten und gut zugänglichen Scheunen. Doch nicht nur die vielseitigen Wälder sind seltener geworden; durch die Intensivierung der Landwirtschaft schrumpft auch der Ersatzlebensraum der Gartenschläfer dramatisch. «Sterile Gärten und ‹aufgeräumte› Wälder sind für den Gartenschläfer kein Lebensraum. Solche Eingriffe sollten wir deshalb vermeiden», erklärt Rico Kessler. Waldbesitzende in der Region Thun und selbstverständlich auch schweizweit können dem Gartenschläfer helfen, indem sie möglichst viel «Wildnis» in ihrem Wald zulassen. «Wie der Name schon sagt, kommt der Gartenschläfer auch in Obstgärten und naturbelassenen Hausgärten vor. Dort ist es wichtig, viele unaufgeräumte Nischen zu belassen und einheimische Gehölzpflanzen zu setzen.»

Neugeborene Gartenschläfer erkunden ihre Umgebung schon nach einigen Wochen.

Poltergeister

Wenn es nachts rumpelt und rumort unter dem Dach, dann sind es keine Poltergeister, sondern meistens Bilche, die es sich bequem gemacht haben. Für gewöhnlich handelt es sich dabei aber nicht um Garten-, sondern um Siebenschläfer. Besonders im Winter, aber auch in den warmen Monaten nutzen Gartenschläfer gut zugängliche Scheunen sowie Garten- und Ferienhäuser als Schlafquartier. Der nächtliche Geräuschpegel, angeknabberte Vorräte oder auch Kot- und Urinspuren können die Freude über den Nagerbesuch aber schnell trüben. Die goldene Regel für ein tierfreundliches Nebeneinander lautet: vermeiden, vertreiben und Ersatzbehausung anbieten. Mit gewissen Hausmittelchen wie Pfeffer, Essig oder ätherischen Ölen lassen sich die geruchsempfindlichen Nager vertreiben und weghalten. Bei der Wahl solcher Hausmittelchen gilt das Motto «probieren geht über studieren». Hingegen darf Gift selbstverständlich auf keinen Fall verwendet werden. Wenn alle Gartenschläfer mit Sicherheit aus dem Haus sind, können alle Zugänge hermetisch geschlossen werden. Als Alternative zum warmen Dachboden oder zum gemütlichen Gartenhäuschen kann man den Gartenschläfern zudem bei geeigneten Bäumen und Sträuchern eine Ersatzbehausung anbieten. Als typische Allesfresser nehmen Gartenschläfer alles, was sie kriegen können. Im Spätsommer und Herbst stellen Früchte und Beeren eine wichtige Nahrungsquelle dar. Jedoch begnügen sich die Bilche während ihrer nächtlichen Streifzüge nicht mit vegetarischer Kost: Eidechsen, Frösche, junge Vögel und Wirbellose stehen ebenso auf dem Speiseplan. Zu den Fressfeinden der Gartenschläfer wiederum zählen Waldkäuze, Füchse, Marder und Wildkatzen. Wird der «Zorro» der Wälder von einem Feind angegriffen, wirft er zur Gegenwehr manchmal seinen Schwanz ab: «Die Schwanzhaut des Gartenschläfers hat ‹Sollbruchstellen›. Wird ein Teil davon abgeworfen, bleibt ein nackter Schwanzteil zurück, den die Tiere später abnagen – der Schwanz wächst aber nicht nach. Diese Ablenkungstaktik funktioniert manchmal», erläutert Rico Kessler.


Ruhiger Winter, turbulenter Sommer

Sobald im Herbst die Temperaturen zu sinken beginnen, begeben sich die Gartenschläfer in den Winterschlaf. Von November bis April verkriechen sie sich in ihren Winterquartieren – dazu können Erd- und Felsspalten, Baumhöhlen oder auch Scheunen, Ferienhäuser und Vogelnistkästen dienen. Während des Winterschlafes reduzieren die putzigen Nager ihre Körperfunktionen auf ein Minimum. Dabei verhindert eine Art natürlicher Thermostat, dass die Körpertemperatur der ruhenden Gartenschläfer nicht zu stark sinkt. Augen zu, Ohren heruntergeklappt, Schwanz eingerollt – so kuscheln sich die Bilche mit «Zorro»-Maske für die Wintermonate ein. Während dieser Zeit büssen Gartenschläfer etwa die Hälfte ihres Körpergewichtes ein, und auch sonst fordert der Winter seinen Tribut: Knapp die Hälfte der Jungtiere überlebt die kalte Jahreszeit nicht. Umso wichtiger sei es, ruhende Gartenschläfer nicht zu berühren oder umzuplatzieren, wenn man sie zum Beispiel in einem Nistkasten oder einer Holzbeige entdecke, betont Rico Kessler: «Wenn die Tiere erwachen und zu viel Energie verbrauchen, überleben sie den Winter nicht.» Sobald die Gartenschläfer im Frühling ihren Winterschlaf beenden, beginnt direkt ihre Fortpflanzungszeit. Nach rund drei Wochen Tragezeit kommen in einem kugeligen Nest aus Gras, Laub, Moos und Federn vier bis sechs Junge zur Welt. Das Aufziehen des Nachwuchses übernehmen die Weibchen, Herr Gartenschläfer kümmert sich nicht um die Jungen. Nach einem Monat Säugezeit wagen sich die jungen Gartenschläfer erstmals in der Obhut ihrer Mutter aus dem Nest hinaus und erkunden die Aussenwelt. Nur wenige Wochen später löst sich die Familie auf und die jungen Gartenschläfer werden selbstständig. Es kann jedoch vorkommen, dass einige der Jungtiere vor dem ersten Winterschlaf noch einmal zusammenfinden.


In freier Natur

Die nachtaktiven Gartenschläfer in freier Natur zu beobachten, stellt ein schwieriges Unterfangen dar. Dennoch sind Sichtungen auch in der näheren Umgebung möglich: «Die letzte gemeldete Gartenschläfer-Beobachtung in der Region Thun gelang 2021 im Gantrischgebiet. Auch aus den höheren Lagen südlich des Thunersees gibt es aktuelle Beobachtungsmeldungen», erzählt Rico Kessler. Gelegentlich begegnet man den kleinen Nagern auch in einer Alp- oder Maiensässhütte, die als Sommerversteck oder zum Überwintern genutzt werden, weiss der Experte von Pro Natura. «Mit einem einfachen Spurentunnel kann man selber erforschen, ob Gartenschläfer in der Nähe sind. Eine Anleitung gibt es auf pronatura.ch.»

Alles still! Es tanzt den Reigen Mondenstrahl in Wald und Flur, Und darüber thront das Schweigen Und der Winterhimmel nur.

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