Friedrich Dürrenmatt als Zeichner und Maler

Friedrich Dürrenmatt als Zeichner und Maler

Friedrich Dürrenmatt als Zeichner und Maler

Bald jährt sich der Geburtstag des Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt (1921–1990) zum hundertsten Mal. Dass der Autor der «Physiker» und des «Besuchs der alten Dame» auch ein umfangreiches bildnerisches Werk hinterlassen hat, ist vielen noch nicht bekannt. Die Sonderausstellung 2020 im Schloss Spiez zeigt eine repräsentative Auswahl der grafischen und zeichnerischen Arbeiten des Autors. Dies in enger Zusammenarbeit mit dem Centre Dürrenmatt Neuchâtel, das den bildnerischen Nachlass Dürrenmatts pflegt, erforscht und dem Publikum zugänglich macht.

Text: Prof. Dr. Rudolf Käser, Ausstellungskurator  |  Fotos: zvg

Als Kind und Jugendlicher hätte der Pfarrerssohn Friedrich Dürrenmatt gerne Maler werden wollen. Mit Eifer zeichnete er Schlachtenbilder und Freiheitshelden. 1934 gewann er damit einen Preis des Pestalozzi-Kalenders. Doch der Maler Cuno Amiet, dem die besorgten Eltern einige Talentproben vorlegten, war skeptischer: Der Bub solle Oberst werden, bemerkte er trocken. Doch es kam anders. Nachdem Dürrenmatt ein Studium der Philosophie in Zürich und Bern angefangen und abgebrochen hatte, entschloss er sich 1947, Schriftsteller zu sein und vom Schreiben zu leben. Zwar gab er das Malen und Zeichnen nie auf, behielt aber seine Werke unter Verschluss, verschenkte hie und da ein Blatt an Freunde und war erst sehr spät bereit, eine Auswahl davon öffentlich auszustellen. Dürrenmatt wusste, dass sein bildnerisches Werk, anders als seine Dramen und Romane, nicht als selbständiges Œuvre dasteht, sondern auf komplexe Weise mit den Hintergründen seines Denkens verbunden bleibt. Im Essay «Persönliche Anmerkung zu meinen Bildern und Zeichnungen» (1978) schreibt er dazu: «Meine Zeichnungen sind nicht Nebenarbeiten zu meinem literarischen Werk, sondern die gezeichneten und gemalten Schlachtfelder, auf denen sich meine schriftstellerischen Kämpfe, Abenteuer, Experimente und Niederlagen abspielen. […] Ich bin kein Maler. Ich male technisch wie ein Kind, aber ich denke nicht wie ein Kind. Ich male aus dem gleichen Grund, wie ich schreibe: weil ich denke.» 

Die Problemstellungen des Denkers Dürrenmatt übergreifen viele Disziplinen. Er kennt die Bibel und die griechische Mythologie. Astronomie ist seine lebenslange Passion. Der reife Dürrenmatt ist ein kritischer Denker, der politische Ideologien jeglicher Art hinterfragt. Die Ausstellung im Schloss Spiez stellt die Bilder Dürrenmatts in den Kontext ihrer geschichtlichen, naturwissenschaftlichen, theologischen und ethischen Bezüge. Leitmotiv ist das Spannungsverhältnis von Mythos und Wissenschaft, das sich in mehreren thematischen Dimensionen des Gesamtwerks aufzeigen lässt. 

In der Bilderserie der «Kreuzigungen», die über viele Jahre variantenreich entstanden ist, setzt Dürrenmatt sich mit dem christlichen Heilsgeschehen auseinander. In einer frühen Phase geht es ihm als Zeichner darum, im Anschluss an Kierkegaards Kritik konventionell-kirchlicher Frömmigkeit die Kreuzigung wieder als ein «Ärgernis», als existentiellen Skandal, darzustellen und damit den Mythos zu aktualisieren. In einer späteren Wendung zwingt die Kreuzigung laut Dürrenmatt den Betrachter dazu, nicht so sehr an den gekreuzigten Gott als vielmehr an den kreuzigenden Menschen zu denken, an den Menschen, der als Mittäter Gewalt gegen seinesgleichen ausübt.

Die Verbindung von Wissenschaft und Mythologie äussert sich eindrücklich in Dürrenmatts zahlreichen Darstellungen der Figur des Atlas aus der griechischen Mythologie. In diesen Bildern verwendet Dürrenmatt Himmelskörper, die teilweise fast wissenschaftlich minutiös wiedergegeben, teilweise kühn abstrahierend dargestellt sind. Diese Himmelskörper sind mehr als dekorative Stilelemente, sie haben symbolische Bedeutung: Der Atlas trägt das «Weltgebäude», er leidet unter der Last des «Ganzen», er stemmt sich gegen den Zusammenbruch, oft scheitert er daran. 

Auch in den Darstellungen des Turmbaus zu Babel verbinden sich in Dürrenmatts Werk Wissenschaft und Mythos. In dieser Bilderserie erinnert der Turm an eine Raumstation, Supernovae und andere Himmelserscheinungen spannen sich über das Firmament. Irdischer Vordergrund und kosmischer Hintergrund stehen in gleichnishafter Beziehung: Grosse Systeme werden instabil, Sterne und Staaten zerfallen, aus Katastrophen kann Neues entstehen. 

Die Frage nach einem möglichen Weltuntergang beschäftigt Dürrenmatt zeitlebens. Die Apokalypse ist mehrfach Bildthema. Der späte Dürrenmatt legt den Fokus allerdings weniger auf den christlichen Glauben an die Enthüllung einer transzendenten Wahrheit am Ende der Zeit, als vielmehr auf die fatalen Möglichkeiten der Technik. Der Mensch hat die Möglichkeit der Selbstvernichtung geschaffen, durch die Atombombe, aber auch durch die Explosion der Weltbevölkerung und durch die rücksichtslose Ausbeutung und Vergiftung des Planeten. Die Ökologie warnt vor diesem Ende, aber die Menschheit scheint ausser Stande zu sein, daraus die angemessenen Konsequenzen zu ziehen. 

Dürrenmatt erkennt in jeder Katastrophe die Möglichkeit des Übergangs in einen Neuanfang. Das lehrt die Kosmologie: Die Explosion einer Supernova schafft die Bedingungen für die Entstehung von Leben in einem anderen planetarischen System. Der Tod erhält in der Evolutionsgeschichte einen Sinn: Ohne die Einführung des Todes wäre die Evolution auf der Stufe der Amöben stehen geblieben. Diese Einsicht in die Tendenz der Evolution hin zu immer höherer Komplexität verändert in Dürrenmatts Spätwerk auch die Einstellung zum eigenen Sterben: Zwar erlebt im Tod jeder Einzelne seinen Weltuntergang, aber die Katastrophe ist nicht das Jüngste Gericht, die Todesangst verliert ihren Schrecken. Wissenschaftliche Neugier ersetzt die christliche Eschatologie. 

Im pathetischen Spannungsverhältnis von Mythos und Wissenschaft gibt es für Dürrenmatt auch eine Möglichkeit der Entlastung: das Lachen. Der Zeichner Dürrenmatt ist ein begnadeter Karikaturist. Mit wenigen Strichen gelingt es ihm, belastende Themen und schwerste Konflikte visuell auf den Punkt zu bringen und dadurch Distanz zu gewinnen. Das «Nachwort zum Nachwort» zum Mitmacher-Komplex schliesst mit den Worten: «Und während ich weiterlaufe, immer weiter, fragt einer plötzlich: Na schön, und wie soll man das Ganze denn spielen? Und ich antworte, während mich die Nacht verschluckt, wie sie alle verschluckte: Mit Humor!»

Dürrenmatt erkennt in jeder Katastrophe die Möglichkeit des Übergangs in einen Neuanfang.

Kontakt
Schloss Spiez
Schlossstrasse 16, 3700 Spiez 
admin@schloss-spiez.ch

www.schloss-spiez.ch


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