Wenn sich der See in Malerei verwandelt
Wenn sich der See in Malerei verwandelt
Stefan Werthmüller ist Maler und Radierer. Sein Interesse gilt nicht der Frage, wie er den Thunersee mit malerischen Mitteln darstellen kann. Seine Frage lautet anders und zwar wie er den See in Malerei verwandeln kann – aber auch das Berner Oberland, mit seinen Menschen und Gästen sowie den Bergkämmen und -wiesen.
Text & Fotos: Christine Hunkeler
Während der Bildhauer früher hauptsächlich Vorlagen für seine Plastiken skizzierte, entstanden ab 1987 eigenständige kreative Zeichnungen.
Stefan Werthmüller ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Seit 24 Jahren lebt er in Thun. Aufgewachsen ist er in Bern. Sein erstes Atelier hat er 1999 an der Bernstrasse 19 in Thun mit seinem Bruder, dem Eisenplastiker David Werthmüller, bezogen. Es folgten verschiedene weitere Lokalitäten, bis er vor knapp zwei Jahren in sein heutiges Atelier im Dachstock an der Hofstettenstrasse 5 in Thun eingezogen ist. Ein nicht ganz unbekanntes Haus, auch Knud Jacobsen ist dort mit seinem Atelier ansässig.
Stefan Werthmüller verspürt wenig Drang wegzugehen. Am liebsten ist er in seinem Atelier und wenn es ihn fortzieht, dann um Ausstellungen und Museen zu besuchen. Für ihn ist wichtig, dass er sich in seinem Atelier in seine Kunst vertiefen kann. Stefan Werthmüller hat Freude am Unspektakulären und verwandelt es in Malerei. Er glaubt, dass im Langsamen viele Qualitäten stecken. Langsam malen, im Museum einzelne Bilder sehr lange betrachten, mindestens eine Viertelstunde, einfach nur schauen und erfahren, wie im Bild Welten aufgehen, die dem Eiligen verborgen bleiben.
Sein Schaffen gilt der Ölmalerei, auch grossformatig und den Radierungen. Die inhaltlichen Themen gliedern sich in Figur und Landschaft. Galeristin Mariette Reinhard schreibt zu seinen Werken: «Oft sind die Menschen wie hinter einem Schleier verborgen, als wollte sie der Künstler vor unseren Blicken schützen. Bewahrt er so ihre Intimität und gönnt ihnen ihre Ruhe? Ab und zu kaschiert er die Gesichter und wir erkennen trotzdem selbstbewusste Menschen, die ohne Scheu unseren Blicken standhalten. Je länger ich sie anschaue und ihre Gedanken zu erraten versuche, desto mehr habe ich das Gefühl, dass sie es sind, die mich beobachten. Es lohnt sich, mit den Bildern in einen ausführlichen Dialog zu treten. Die Blumen hüllt der Maler gleichsam in ihren Duft ein. Bei Landschaften und Bergen bleibt er seinem Stil treu, nie wirken sie auffällig und sind doch auf stille Art kraftvoll.»
Stefan Werthmüller malt gerne grosse Bilder. Diese mag er jedoch eher leise, wie er sich ausdrückt und wählt sanfte Farben. Kämen bei solcher Grösse zu kräftige Farben zum Zuge, so wirken die Bilder einfach zu laut. Werthmüllers Bilder sind offene Projektionsräume, die in jedem Betrachter individuelle Assoziationen und Erinnerungen freisetzen. Sie haben kein erzählerisches Programm. Malen sei eine Form von Denken, nichtsprachliches Denken und damit nicht in Begriffen gefangen. Bei Werthmüller ist ein Bild fertig, wenn er es verkauft hat, im Atelier besteht oft der Drang, doch noch etwas zu ändern. Eine Jahresproduktion umfasst 20 bis 35 Ölbilder und er malt hauptsächlich ab dem Format 60x60 Zentimeter.
Für die Technik des Radierens hat sich Stefan Werthmüller zwei Semester lang an der Hochschule der Künste in Bern das nötige Rüstzeug angeeignet. Seither entwickelt er die Technik laufend weiter. Die Radierungen sind bei ihm kleinformatig angelegt und kosten nur wenige hundert Franken. Stefan Werthmüller sieht sich als lokalen Maler, der im Berner Oberland Wurzeln geschlagen hat und die Gegend nun in Malerei verwandelt. Lange hat er auch Auftragsarbeiten ausgeführt, als Illustrator und Autor. Aber mit der Zeit hat er diese Arbeiten komplett eingestellt, so dass nun seine ganze Kraft und Zeit seinem malerischen Œuvre zugute kommt.
«Die Blumen hüllt der Maler gleichsam in ihren Duft ein. Bei Landschaften und Bergen bleibt er seinem Stil treu, nie wirken sie auffällig und sind doch auf stille Art kraftvoll.»
Die Radierung
Ölmalerei
Die künstlerische Malerei mit Ölfarben gilt als «klassische Königsdisziplin» der Kunst, die insbesondere bei Porträt-, Landschafts- und Stillleben-Malerei zur Anwendung kommt. Unübertroffen in der Ölmalerei ist die Farbbrillanz und Haltbarkeit. Öl ist das Bindemittel, daher der Name. Dass Ölfarben Trocknungszeiten von mehreren Tagen bis Wochen brauchen, wird von vielen Künstlern als Nachteil empfunden. Um schneller weitermalen zu können, weichen sie auf moderne Acrylfarben aus. Nicht so bei Stefan Werthmüller. Er als Langsam-Maler schätzt die langanhaltende Formbarkeit der Ölfarben besonders.
Zum Unterschied von Bild und Radierung: Bilder sind meist raumgreifend. Sie verändern den Raum durch ihre Grösse, Präsenz und Ausstrahlung. Kleinformatige Radierungen lassen den Raum in Ruhe und wollen von nahe betrachtet werden. Neben
Türen aufgehängt, gerät dem Kunstfreund jeder Zimmerwechsel zum freudigen Kleinst-Event. Sein Blick fällt für Sekundenbruchteile auf das kleine Juwel und das Herz macht einen winzigen Glückshüpfer.
Stefan Werthmüller arbeitet gerne mit Modellen. Er hat eine alte Bernertracht, die einst seiner Grossmutter gehört hatte und freut sich, dass sein wichtigstes Modell wunderbar in diese Tracht passt und dass diese Frau ihm damit professionell Modell steht. Gemeinsam besprechen und entwickeln sie zurückhaltende und doch ausdrucksstarke Körperhaltungen und Bildkompositionen. Solche grossformatige Bilder erfordern manche Sitzung, in denen Modell und Maler sehr gefordert sind.
Stefan Werthmüller ist ein figurativer Maler und findet seine Motive überall in der modernen medial geprägten Welt. Regelmässiges Aktzeichnen in Interlaken gehört für ihn zur Maler-Fitness. Fünf Minuten, zwölf Minuten pro Zeichnung, insgesamt jedes Mal neunzig Minuten. Das ist Krafttraining für Hochleistungszeichner.
Stefan Werthmüller stellt regelmässig in Kunstgalerien in der Schweiz und im Ausland aus. Einige Stationen sind und waren: Galerie Hodler und Galerie Rosengarten in Thun, Galerie Erlengut in Steffisburg, Galerie Wimmer in München, Stadtmuseum in Jurmala (Lettland), Galerie DIE HALLE in Langnau am Albis uvm. Seine nächste grosse Einzelausstellung beginnt im November in der Galerie Rosengarten in Thun.
Stefan Werthmüller hat oft Besuch im Atelier. Seine Gäste sind Leute, die sich ein Leben ohne Malerei und Kunst nicht mal in elenden Zeiten vorstellen können. Und da kann es durchaus passieren, dass mit den Gästen nach anregenden Stunden am Ende eines immer festlicher gewordenen Abends, auch ein oder zwei Werke das Atelier gleich mitverlassen. Die Bilder werden aber auch regelmässig an Einzel- und Gruppenausstellungen in Galerien gezeigt und verkauft.
Stefan Werthmüller führt ein Werkverzeichnis. Jedes Bild wird fotografisch und beschreibend erfasst. Auf der Rückseite der Bilder findet sich jeweils farbig der Identifikationscode, hergeleitet aus der Anzahl seiner Lebenstage anlässlich der Signierung. Weiter ist die Grösse des Bildes, der Entstehungsmonat mit Jahreszahl sowie die Unterschrift des Künstlers handschriftlich angebracht.
Jeder Maler interessiert sich für Malerei und damit auch für die Werke seiner Kollegen und Vorgänger. Deren Einfluss auf die Entwicklung des Werkes bleibt nicht ohne Wirkung und deshalb sind auch bei Stefan Werthmüller Einflüsse aus der Kunstgeschichte zu ahnen. Angesprochen auf seine Lieblingsmaler erwähnt er das Alterswerk von Claude Monet, insbesondere die seriellen Seine-Bilder im Morgengrauen, aber auch die Malerei von Pierre Bonnard, die Radierungen von Rembrandt und die Stimmungen von Jan Vermeer, beides Maler aus dem 17. Jahrhundert, dem goldenen Zeitalter in den Niederlanden.
Stefan Werthmüller ist sich sicher, dass ernsthaft betriebene Malerei eine lebenslange Leidenschaft ist. Und dass die gemalten Jahre in den Werken sichtbar werden, dass diese besser und reifer werden. Um das ultimative Meisterwerk zu malen, müsste man wahrscheinlich 160 Jahre alt werden, schätzt er augenzwinkernd. Er freut sich jedenfalls aufs alt werden und auf die Jahre, in denen sein Werk eine weitere Tiefe und Verdichtung erfahren wird.
Er als Langsam-Maler schätzt die langanhaltende Formbarkeit der Ölfarben besonders.