Marc Chagall im Schloss Spiez

Marc Chagall im Schloss Spiez

Marc Chagall im Schloss Spiez

Mit Marc Chagall (1887 – 1985) widmet Schloss Spiez seine diesjährige Sonderausstellung dem grössten Träumer und Romantiker der europäischen Kunst des 20. Jahrhunderts. Die Ausstellung versammelt rund fünfzig Chagall-Werke aus der Sammlung des Kunsthändlers und Verlegers Eberhard W. Kornfeld, der mit Chagall über Jahre befreundet war.

Text: Anna Szech  |  Fotos: Cyrill Zumbrunn, zvg

Marc Chagall wird am 7. Juli 1887 als Sohn jüdischer Eltern in Witebsk geboren, einer Provinzstadt im kaiserlichen Russland. Bereits als Kind wünscht er Maler zu werden und zeichnet die ostjüdische Lebenswelt um sich mit neugierigen Augen. Nach der Schulzeit besucht Chagall in Witebsk die Malschule von Jehuda Pen, doch schon 1906 zieht es ihn nach St. Petersburg weiter. Hier schreibt er sich an verschiedenen Malschulen ein und macht mit Kunstsammlern und Mäzenen Bekanntschaft.

Mitunter dank Beziehungen erhält Chagall 1910 ein Stipendium für einen Studienaufenthalt in Paris. In den Werken aus dieser Zeit verarbeitet er zahlreiche Einflüsse, welche die Kunstmetropole Paris zu bieten hat: Fauvismus, Kubismus, Orphismus. Obwohl Chagall das Vokabular dieser Kunststile mühelos beherrscht, entwickelt er eine eigene unverwechselbare Bildsprache. Als «totalen lyrischen Ausbruch» hat denn auch André Breton Chagalls Pariser Periode bezeichnet. Die Motive seiner Heimatstadt – dichte Häuserreihen, Synagogen, der Markt, der Friedhof, jüdische Trachten und natürlich die Stadtbewohner selbst – besiedeln seine Bilderwelten; Kuh, Ziege und Schaf tauchen auf, die für Chagalls Bildkosmos charakteristischen Tiere, entweder als Gegenüber menschlicher Existenz oder in Harmonie mit ihr. Die Werke Chagalls finden schnell Beachtung und er nimmt an mehreren Ausstellungen in Paris und Berlin teil.

Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges reist Chagall 1914 in seine Heimatstadt Witebsk und heiratet hier ein Jahr später seine Jugendliebe Bella Rosenfeld. 1916 kommt Tochter Ida zur Welt. Seiner schönen, überaus talentierten Frau, die er als seine Muse sieht, widmet er über Jahre hinweg mehrere Werke. Alle Bemühungen, nach Paris zurückzukehren, scheitern. Als 1917 die Oktoberrevolution Russland erschüttert, bedeutet dies für Chagall eine Befreiung im doppelten Sinne: Er wird einerseits zum vollberechtigten Bürger des Landes, was den Juden in Russland bis dahin verwehrt blieb. Andererseits ermöglicht ihm seine Freundschaft zum Aufklärungsminister Anatolij Lunacharskij einen rasanten Karriereaufstieg: Er wird zum Kunstkommissar ernannt und gründet in Witebsk eine Kunstakademie. Der gleich nach der Revolution ausgebrochene Bürgerkrieg und die allgemein schwierigen Umstände im Land bewegen Chagall aber dazu, 1922 Russland zu verlassen. Er zieht mit seiner Familie nach Berlin, um bereits ein Jahr später nach Paris weiterzureisen. 

Stellen die Berliner Monate in der Biografie Chagalls nur eine Zwischenstation dar, sind sie für Chagalls Schaffen äusserst wichtig: in dieser Zeit liegen die Anfänge für sein umfangreiches druckgrafisches Œuvre. Zunächst erlernt er die Technik der Radierung und fertigt 20 Blätter als Illustrationen zu seiner 1914 begonnen Autobiographie «Mein Leben» an. Auch die Techniken des Holzschnittes, der Lithografie und des Kupferstiches beherrscht er in Kürze meisterhaft. Seine Illustrationen literarischer Werke sind sehr gefragt und auf Auftrag entstehen bis ans Lebensende mehrere Serien und Zyklen. Zu den eindrücklichsten Beispielen zählen seine Bilddarstellungen zum spätantiken Liebesroman «Daphnis et Chloé» und die Farblithografien «Arabian Nights» zu den Geschichten aus Tausendundeiner Nacht, aus dessen Serien einzelne Blätter in der Spiezer Ausstellung zu sehen sind. 

Im Vorfeld und nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erschweren sich die Schaffens- und Lebensumstände für Chagall zunehmend. Rettung bringt 1941 eine Einladung des Museum of Modern Art in New York, welche eine Ausreise aus dem besetzten Frankreich in letzter Minute ermöglicht. Obwohl die Jahre in den Vereinigten Staaten sich als äusserst produktiv erweisen, kehrt Chagall 1948 nach Frankreich zurück, allerdings ohne seine geliebte Frau Bella, die kurz vor der Abreise unerwartet stirbt. Bis zu seinem Lebensende arbeitet und lebt Chagall vorwiegend in Südfrankreich; aus der siebenjährigen Beziehung mit Virgina McNeil stammt der Sohn David (geb. 1946), 1952 heiratet Chagall die aus Russland stammende Valentine Brodsky. Zahlreiche Ausstellungen und Aufträge führen Chagall auf Reisen in die ganze Welt; er wendet sich grossen Formaten zu, entwirft Kirchenfenster, Mosaike, Wand- und Deckenbilder, Skulpturen und Wandteppiche. Chagalls Schaffensdrang hält bis ins hohe Alter an. Am 28. März 1985 stirbt Marc Chagall 97-jährig, er arbeitete gerade an neuen Lithografien. 

Die Monate in Berlin  sind für Chagalls Schaffen äusserst wichtig.

Die Spiezer Ausstellung nähert sich dem grossen Künstler auf zwei Arten. Einerseits zeigt sie vornehmlich grafische Arbeiten, welche weniger bekannt sein dürften. Die Werkauswahl umfasst ab den Berliner Jahren die ganze Schaffenszeit Chagalls und präsentiert neben Selbstporträts die ostjüdische Lebenswelt von Witebsk sowie ein künstlerisch lebendiges Paris. Neben Lithografien, Holzschnitten und Radierungen sind auch einzelne Zeichnungen und farbenfrohe Gouachen zu sehen.

Andererseits verweist die Ausstellung auf die enge persönliche und künstlerische Verbindung zwischen Marc Chagall und dem Kunstsammler Eberhard W. Kornfeld. 1952 heiratet Chagalls Tochter Ida den aus Zürich stammenden Kunsthistoriker Franz Meyer, der ab 1955 die Kunsthalle Bern leitet. Chagall weilt nun öfters in Bern bei seiner Tochter und ihrer Familie. Hier lernen sich Eberhard W. Kornfeld und der Künstler kennen. Es ist der Beginn einer langjährigen freundschaftlichen und äusserst vielschichtigen Beziehung. Kornfeld tritt als Sammler, Händler, Verleger und Freund des Künstlers auf. 1956 zeigt er parallel zur grossen monografischen Chagall-Ausstellung in der Berner Kunsthalle Grafiken des Künstlers in seiner Galerie an der Laupenstrasse 41. Dieser Ausstellung folgen viele weitere. Besonders intensiv setzt sich Kornfeld mit Chagalls druckgrafischem Schaffen auseinander und würdigt sein Werk auch mit zahlreichen Publikationen. 1970 veröffentlicht er das Verzeichnis der Kupferstiche, Radierungen und Holzschnitte von Chagall von 1922 bis 1970. Das fruchtbare und freundschaftliche Verhältnis zwischen Eberhard W. Kornfeld und der Familie des Künstlers bleibt auch nach Chagalls Tod bestehen und wird bis heute gepflegt. 

Eberhard W. Kornfeld und Schloss Spiez verbindet wiederum eine langjährige Zusammenarbeit; in den vergangenen Jahren wurden Arbeiten von Kirchner, Picasso und Rembrandt aus den privaten Beständen des Kunstsammlers im Schloss Spiez gezeigt. Mit den Werken von Chagall gewährt Eberhard W. Kornfeld in Zusammenarbeit mit Schloss Spiez dem Kunstpublikum einen weiteren Einblick in seine Privatsammlung. 

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