Gefühlsgewaltig
Gefühlsgewaltig
Unter dem Künstlernamen Gisèle Gilgien widmet sich Gisèle Malinverni ganz ihrer Leidenschaft: der Kunst. In ihren Werken beschäftigt sie sich mit aktuellen Geschehnissen und verarbeitet diese zu faszinierenden Gemälden.
Text: Blanca Bürgisser / Fotos: Blanca Bürgisser, zvg
Während der Bildhauer früher hauptsächlich Vorlagen für seine Plastiken skizzierte, entstanden ab 1987 eigenständige kreative Zeichnungen.
Die Kunst ist schon von klein auf Teil von Gisèle Malinvernis Leben. Inspiriert von ihrem Vater, der ebenfalls eine künstlerische Ader hatte, war schon früh das Bedürfnis zu malen vorhanden. Später in der Schule stiessen ihre Zeichnungen stets auf Begeisterung. So erkannte sie zunehmend ihr Potenzial und baute ihr Talent immer mehr aus. Im Gymer war für sie klar, dass sie etwas mit Kunst machen möchte. Doch damals riet man ihr davon ab, schliesslich könne man mit einem Kunststudium nicht seinen Lebensunterhalt verdienen. So entschied sich Gisèle Malinverni für das Studium zur Zeichnungslehrerin (heute Master of Arts in Art Education). Noch heute blickt sie gerne auf ihre Studienzeit in Bern zurück: «Die Berner Kunstszene war extrem interessant, und ich hatte das Glück, mit grossen Künstlern wie Max von Mühlenen, Gottfried Tritten oder Gottfried Keller in Kontakt zu kommen, die damals auch als Professoren arbeiteten.»
Die Thuner Malschule
Nach Abschluss ihrer Ausbildung heiratete Gisèle Malinverni. Doch als verheiratete Frau war es in den 1970er-Jahren enorm schwierig, eine Stelle zu finden. So beschloss sie, gemeinsam mit ihrer Freundin Rose Ueltschi ein Atelier zu eröffnen. Schon bald fanden sie dafür die passende Wohnung im Bälliz. Aufgrund der hohen Mietkosten kam den beiden die Idee, einige Malkurse anzubieten – ein voller Erfolg. Schon einen Tag nach der Ausschreibung erhielten sie 60 Anmeldungen. Kurzerhand bauten sie die Räumlichkeiten entsprechend um und gründeten die Thuner Malschule, die noch bis vor Kurzem in Betrieb war. Rund zehn Jahre lang führten Rose Ueltschi und Gisèle Malinverni die Thuner Malschule. Gisèle Malinverni leitete dabei vor allem Kurse für Kinder, die äusserst beliebt waren. Diese Zeit war auch die praktische Grundlage für ihre spätere Lehrtätigkeit am Lehrerseminar und an der Pädagogischen Hochschule.
In dieser Zeit organisierte sie in der Malschule oft Ausstellungen von Kursteilnehmenden, was sie dazu inspirierte, selbst auszustellen. Bald darauf hatte sie ihre erste eigene Ausstellung in der Galerie Egg in Schlosswil. Von da an lief es fast wie von selbst, und es folgten Anfragen für weitere Einzelausstellungen in der Galerie Wagenrad in Münsingen und der Galerie Schindler in Bern. Dieser Erfolg gab ihr die Energie weiterzumachen.
Doch kurz darauf wurde sie alleinerziehende Mutter, und ihre künstlerische Karriere rückte in den Hintergrund. Auch die Thuner Malschule verliess sie, da diese grösstenteils ehrenamtlich war und nicht zur Existenzsicherung reichte. Doch das Glück war auf ihrer Seite, und sie fand schnell eine Stelle im Lehrerseminar Marzili. Dadurch hatte sie nur noch wenig Zeit, um zu malen. Doch aufgehört hat sie auch während dieser Jahre nie. Die Malerei wurde zu einem Ausgleich. So hat Gisèle Malinverni damals vor allem Bilder gemalt, die gut für ihre Seele waren.
«Ein Leben ohne Kunst kann sich Gisèle Malinverni heute nicht mehr vorstellen.»
Emotionaler Prozess
Heute arbeitet Gisèle Malinverni Vollzeit als Künstlerin. Das Kunstschaffen ist ein sehr intensiver Prozess, der mit viel Freud und Leid verbunden ist. Es gibt Tage, an denen die Bilder scheinbar aus ihr herausfliessen, aber es gibt auch Tage, an denen man sich wütend und hilflos fühlt und nicht mehr weiterweiss. Trotzdem kann sie sich ein Leben ohne Kunst nicht mehr vorstellen. Es ist etwas Lebendiges, was sie am Leben hält.
Seit sie sich voll und ganz der Kunst widmet, hat sich auch Gisèle Malinvernis Malprozess verändert. Sie beschäftigt sich jetzt verstärkt damit, was um sie herum in der Welt geschieht, und hält dies auch in ihren Bildern fest. So lernt sie beim Malen, nicht nur sich selbst besser zu verstehen, sondern auch die Welt um sie herum. Zuletzt beschäftigten sie vor allem die Gefühle der Einengung und des Eingesperrtseins im Zusammenhang mit der Coronapandemie sowie die Vernetzung und das Gefangensein in den Weltstrukturen, die ihr durch den Ukraine-Krieg bewusst wurden. Malen ist für die Künstlerin etwas sehr Emotionales: «Es ist ein Ringen, ein innerer Kampf, Gefühle bildlich umzusetzen.» Ihre Bilder sind auch immer ein Abbild ihres inneren Selbst. Sie kann nicht einfach ins Atelier gehen und beginnen zu malen. Sie kann die Kreativität nicht erzwingen, und so gibt es Tage, an denen nichts passiert. Doch an anderen Tagen packt sie etwas, das sie schon lange beschäftigt und das irgendwie raus muss. Es kommt zu einer spontanen Auseinandersetzung mit ihren Gefühlen. Das Schönste ist für sie, wenn sie vollkommen eins ist mit dem Bild und alles um sich herum vergisst: «Es gibt diese wundersamen Momente, wo die Zeit und die Umgebung nicht mehr existieren.» Dabei ist es für sie elementar, nicht das volle Bewusstsein einzuschalten: «Sobald vernünftige Gedanken zum Vorschein kommen, ist die Harmonie zwischen dem Unbewussten und der Kreativität unterbrochen.» Der Moment, wenn ein Bild fertig ist, ist nicht immer einfach zu bestimmen. Doch auch hier ist es für Gisèle Malinverni eine Frage des Empfindens, sie lässt ein Bild jeweils mehrere Tage auf sich wirken und spürt so, ob das Werk komplett ist. Auch die Bedeutung ihrer Bilder wird ihr oft erst im Nachhinein klar. Ihre letzte Ausstellung vor der Coronapandemie zeigte beispielsweise eine Serie ganz in Gold und Schwarz. Begonnen hat dies durch ihre Faszination an der Arbeit mit Goldfarben und den damit verbundenen Herausforderungen. Rückblickend realisierte sie aber auch, dass es sich um eine goldene Zeit handelte, die nun vorüber ist.
Gisèle Malinvernis emotionaler Malprozess und ihre Inspiration durch aktuelle Geschehnisse führen dazu, dass ihre Kunst extrem vielfältig ist und jede ihrer Bilderserien aufs Neue überrascht und begeistert. Früher hatte sie grosse Freude an Naturbildern, die sie zunehmend abstrahiert hat. Bis heute spielt sie gerne mit verschiedenen Elementen und Kompositionen wie Licht und Schatten sowie der Suche nach verschiedenen Blickwinkeln. Manchmal hat sie das Gefühl, es wäre einfacher, einen unveränderten Stil zu haben. Doch gleichzeitig ist sie nicht sicher, ob sie das befriedigen würde. Sie liebt es, Neues auszuprobieren, und ist immer auf der Suche. Umso spannender ist es auch für uns Betrachtende, wissen wir doch nie, was als Nächstes kommt.
«Ausstellungen sind immer auch ein Blossstellen», gesteht die Malerin, «denn man weiss vorher nie, wie es läuft.» Interessant ist für sie immer auch, welche Bilder verkauft werden. Denn oft sind es nicht jene, die sie erwartet hätte. Besonders schön findet sie es, wenn jedes Bild langsam seinen Platz findet: «Es ist so, als ob die Bilder ihre Orte suchen würden.» Gisèle Malinverni freut sich immer, wenn sie ein Bild verkauft. Es sei jedes Mal eine Anerkennung und bedeute, dass sie mit ihren Werken jemanden berührt habe.
«Kunst ist etwas Lebendiges, es hält sie am Leben»
Engagement für die Kunst
Die meisten ihrer Ausstellungen hat Gisèle Malinverni hier in der Thunerseeregion. Hier fühlt sie sich zu Hause und engagiert sich auch neben ihren persönlichen Ausstellungen für die Berner Oberländer Kunstszene. Sie ist Mitglied des Vereins bkbeo (Bildende Kunstschaffende Berner Oberland) und ist für Weiterbildungsveranstaltungen verantwortlich, organisiert Führungen, Mitglied der SGBK (Schweizerische Gesellschaft Bildender Künstlerinnen) sowie im Vorstand des Fördervereins des Kunstmuseums Thun. Schon früher hat sie in Museen gearbeitet, und bis heute ist es ihr ein wichtiges Anliegen, den Menschen Kunst näherzubringen.
«Es ist so, als ob die Bilder ihre Orte suchen würden.»
Kontakt
Gilèle Malinverni
Scheibenstrasse 15, 3600 Thun
gi.malinverni@gmx.ch
www.giselegilgien.com