Quilten – alte Handwerkstechnik neu entdeckt

Quilten – alte Handwerkstechnik neu entdeckt

Quilten – alte Handwerkstechnik neu entdeckt

Die Thuner Quilters sind ein Verein von Frauen aus der Region Thun, welche eine gemeinsame Leidenschaft pflegen. Eine Leidenschaft, die viel mit Traditionen aus verflossenen Zeiten zu tun hat, aber – beim genaueren Hinschauen – voller Kreativität, Geselligkeit und Dynamik ist. Quilters pflegen ein Kunsthandwerk, das man auch mit der Bezeichnung Patchwork umschreibt.

Text & Fotos: Urs Bretscher

Quilt», dieses englische Wort meint eine Bettdecke. Doch selbstverständlich versteckt sich dahinter viel, viel mehr. Forscht man in der Geschichte nach den Ursprüngen des Quiltens, dann stösst man auf eine romantische Story aus dem Mittelalter. In den dunklen Zeiten der Kreuzritter im 13. Jahrhundert soll es den tapferen Kämpfern in ihren eisernen Rüstungen nicht so besonders wohl gewesen sein. Neben dem Kratzen haben die Eisenplatten bei Sonnenschein extrem geheizt, nur um nach dem Verschwinden der Sonne rasch auszukühlen, so dass die Ritter wohl häufig froren. Die Kreuzzüge führten in den nahen Osten, wo man mehrlagige Decken kannte, die aus China gekommen sein sollen. Auf diesem Weg sollen die Quilts nach Europa gekommen sein; derart gefertigte Wamse unter den Rüstungen sorgten fortan für Polsterung und Isolation.

Die längste Zeit dürften Quilts in europäischen Häusern, von der Geschichtsschreibung unbeachtet, eine wichtige Funktion gehabt haben; als Bettdecken, Wärmespender und vielleicht auch zur Polsterung. Durch die Jahrhunderte lebten nicht nur die Ärmsten, sondern die meisten Menschen in aus heutiger Sicht miserablen Verhältnissen. Noch heute kann in älteren Häusern – Bauernhäuser, Alphütten, Exponate auf dem Ballenberg – nachempfunden werden, auf welchem Komfortniveau sich das tägliche Leben abspielte. Weder isolierte Wände noch Fenster, zumeist ein mit Holz angefeuerter Ofen in der Mitte des Hauses, natürlich kein fliessendes Wasser und der Wind wird wohl die meiste Zeit durch alle Ritzen gepfiffen haben. Da lag es nahe, dass man sich so gut wie möglich gegen Kälte, Nässe und Durchzug zu schützen versuchte.

Wenn wir von all den Generationen unserer Vorfahren nicht allzu viel über die Beschwernisse des Alltags wissen, so können wir uns wenigstens lebhaft vorstellen, dass die Frauen in ihrer knappen Freizeit aus allem Verfügbaren solche Decken nähten. Immer schon waren Stoffreste willkommen; zwischen den Lagen wurde am Schluss mit Wolle oder einem anderen Füllmaterial für die isolierende Dicke der Decke gesorgt. So werden vielerorts wohl auch schon Muster aufgekommen sein. Historisch belegt ist das Quilten, auch Patchwork genannt, dann bei den ersten Auswanderern nach Amerika und dort bei der Volksgruppe der Amischen. Gerade von den amischen Frauen weiss man heute ebenfalls, dass in Pennsylvania, in ihren abgelegenen Dörfern, das Zusammensitzen bei gemeinsamer Handarbeit eine wichtige soziale Funktion hatte. Es wurden Geschichten erzählt, Neuigkeiten ausgetauscht, handwerkliche Geheimnisse und Tricks verraten. Wohl zu Recht wird den Amischen denn heute auch der wichtigste Beitrag in der Entwicklung des Patchworkens zugeschrieben.

Unsere Lebensweise hat uns von der Notwendigkeit selbst hergestellter Bettdecken befreit.

Vom Gebrauchsgegenstand zum Kunsthandwerk

Heute ist alles anders – unsere Lebensweise hat uns von der Notwendigkeit selbst hergestellter Bettdecken befreit. Dafür ist der Schmuckcharakter der Quilts wichtiger geworden; es hat sich ein Kunsthandwerk entwickelt, welches zahlreiche Facetten und Inspirationen aus anderen Kunstgattungen erkennen lässt. Noch immer werden die alten Techniken und Muster angewendet; Quilterinnen zollen der Tradition im allgemeinen hohen Respekt. Der Reiz der heutigen Arbeiten liegt oftmals gerade in der Kombination dieser althergebrachten Arbeitsweise mit modernen Stoffen und Sujets.

Während indessen die längste Zeit von Hand genäht worden ist, dürfen Quilts heute auch mit der Nähmaschine erarbeitet werden. Dabei werden die Stoffstücke nach oft gezeichneten Entwürfen zugeschnitten und dann miteinander vernäht. Meistens ist das eine extreme Geduldsprobe – bei einer Bettdecke von einigen Quadratmetern können das je nach Muster rasch einmal Tausende von kleinen Stoffstücken sein, welche zu einem einzigen Ganzen zusammengenäht werden. Oftmals liegt der Reiz eines Stückes auch darin, dass man aus der Nähe das Muster des Nähens, aus Distanz aber ein ganz anderes Sujet erkennt.

Die Entwicklung vom Gebrauchsgegenstand zum Kunstwerk erfolgte wohl in vielen kleinen Schritten durch die Jahrzehnte seit dem zweiten Weltkrieg. Unsere moderne Zeit, das bedeutet auch eine Veränderung von einer Mangel-Gesellschaft zu einer Epoche des Überflusses – in vielen Fällen gepaart mit einem Zusammenbruch des gewohnten Preisgefüges. Ist nämlich ein von einer geschickten Näherin hergestellter Quilt kaum zu bezahlen, wenn man Material und Arbeitsstunden rechnet, so werden ähnliche Bettdecken in Warenhäusern und Supermärkten zu Spottpreisen angeboten – Massenprodukte, von Computern in Drittweltländern entworfen und maschinell oder zu Billigstlöhnen produziert. Für solche Unterschiede haben echte Quilterinnen natürlich ein ausgeprägtes Gefühl. 

Die Thuner Quilters

Schon früh dürften sich Frauen bei der Handarbeit zusammengesetzt haben; gerade in kleinen dörflichen Gemeinschaften, wo «jeder jeden kennt», ergab sich das von selber. Mitte der 90er-Jahre lernten sich einige Frauen aus der Region Thun an einem Handarbeitskurs mit dem Thema Patchwork kennen… aber um es kurz zu machen: 1995 wurde der Verein der Thuner Quilters gegründet. Am 9. Februar fand die Gründungsversammlung im Hotel Elite in Thun statt; 47 Frauen nahmen teil, hiessen die Statuten gut und wählten einen Vorstand unter der Leitung von Präsidentin Therese Tobler. 

Ein breites Angebot von Aktivitäten zeichnet die ersten Vereinsjahre aus. Von allem Anfang an fanden Meetings statt, wurde ein regelmässig erscheinendes Bulletin mit Vereinsnachrichten publiziert, eine Bibliothek von Fachbüchern aufgebaut und bald wurden auch Kurse und gemeinsame Ausflüge organisiert. Als erstes Grossprojekt wurde die sogenannte «Gründerdecke» in Angriff genommen, zu welcher alle Mitglieder, die das wollten, einen Block – also ein Quadrat – mit vorgegebenen Massen beisteuerten. Das Sujet hatte das Clublogo zu sein: «Moon over the Mountain», der Mond über dem Niesen, mit individuell ausgewählten Stoffen. An diesem Projekt wurde rund zwei Jahre gearbeitet. Die fertige Decke wurde der Johanneskirche an der Waldheimstrasse in Thun als Wandschmuck zur Verfügung gestellt; heute hängt sie im Pro Senectute Haus in Reichenbach.

In den 23 Jahren ihres Bestehens wurden die Thuner Quilters (TQ) von vier Präsidentinnen geleitet, nach Therese Tobler übernahm Jeannette Huber 2001 die Führungsrolle. 2009 wurde sie von Evelyn Stoll abgelöst, welche ihrerseits den Posten an der Mitgliederversammlung 2018 an ihre Vorstandskollegin Marianne Suter übergab. Wer in den archivierten, über 100 Ausgaben des TQ-Bulletins stöbert, findet immer wieder Hinweise auf das umfangreiche Aktivitätsprogramm, aus welchem die alle zwei Jahre stattfindende Ausstellung heraus sticht. Die TQ geben sich dafür ein Jahr im Voraus ein Thema, und die Mitglieder sind dann aufgefordert, Quilts zu entwerfen und anzufertigen, damit es an den Ausstellungen auch etwas zu sehen gibt. 

Über 100 Frauen aus der Region sind gegenwärtig Mitglied in den TQ. Längst hat sich neben dem Kunsthandwerklichen auch das Gesellschaftliche als wichtiges Standbein im Klubleben etabliert. Das kann an den alle zwei Monate stattfindenden Meetings beobachtet werden; Events mit einem Programm, wie Referate oder Workshops, aber auch anschliessendem Zusammensitzen bei Kaffee, Kuchen oder anderen kulinarischen Köstlichkeiten. Gelegentliche gemeinsame Ausflüge zu auswärtigen Ausstellungen gehören ebenfalls zu den Aktivitäten der TQ, genauso wie Kurse mit renommierten Referentinnen, manchmal sogar aus dem Ausland.

Untergruppen haben sich in den TQ gebildet; lose Gemeinschaften einiger Frauen, welche neben dem Mitmachen im Hauptverein im kleinen Kreis aktiv sind. Eine solche Gruppe sind die Celeste Quilt Ladies; Mitglieder des früheren Vorstandes, die nun selber ebenfalls alle zwei Jahre – in den Zwischenjahren der TQ-Ausstellung – der Öffentlichkeit ihre Arbeiten präsentieren. Die nächste Ausstellung der Celestes wird ab Mitte September im Foyer des früheren Hotels Bellevue, also im heutigen Tertianum an der Hofstettenstrasse in Thun stattfinden. Dabei ist keine Rede von irgendeiner Konkurrenz zum Hauptverein. Alles, was das Quilten als Kunsthandwerk, als Hobby oder gesellschaftliche Aktivität propagiert, nützt auch uns, ist bei den TQ die Devise.

Längst hat sich neben dem Kunsthandwerklichen auch das Gesellschaftliche als wichtiges Standbein im Klubleben etabliert.

Denn über die Zukunft könnte man durchaus ins Sinnieren kommen. Der gesellschaftliche Wandel wird auch vor dem Quilten nicht Halt machen. Aber Marianne Suter, die heutige Präsidentin, will nicht dramatisieren: «Seit Jahren ist unser Mitgliederbestand in etwa gleich geblieben. Ich bin keine Problemlöserin auf Vorschuss, mache mir deshalb heute keine Zukunftssorgen! Aber selbstverständlich sind alle, die sich fürs Patchwork interessieren bei uns als Mitglieder herzlich willkommen». Alles Weitere dazu findet sich auf www.thunerquilters.ch.

Auch die Technologie hat die Quilters längst eingeholt. Das zeitintensive Quilten von Hand ist häufig dem Arbeiten an der Nähmaschine gewichen, genauso wie die Notwendigkeit, Bettdecken für die ganze Familie herzustellen. Die heutigen Quilts sind vielmehr Schmuck, sei es an der Wand oder als Überwurf. Aber das Quilten mit der Nähmaschine ist auch eine Kunst. Deshalb gilt der Blick vieler Besucherinnen einer Ausstellung nicht zuletzt dem Finish eines Stückes; also der Präzision des Stichs, des Zuschneidens, der Kanten und Linien sowie der Regelmässigkeit des Nähens und des Quiltens. Sieht ein Quilt nur von Weitem gut aus, sind denn die Kommentare auch unerbittlich.

Die künstlerischen Möglichkeiten sind heute beinahe grenzenlos. Von den straffen Vorgaben früherer Zeiten, in Bezug auf Muster und Arbeitstechnik, wird heute im «Free Motion Quilting» abgewichen, wo alles erlaubt ist, was machbar ist. Aber das wiederum ruft oft kritische Stimmen auf den Plan – denn auch im Quilten ist zwar alles erlaubt, aber nicht alles, was erlaubt ist, gefällt!

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