Pflanzen gefärbte Seide

Pflanzen gefärbte Seide

Pflanzen gefärbte Seide

Gleich neben dem Klösterli in Oberhofen befindet sich die Färberei Alchemilla, wo mit Pflanzen hochwertige Seide gefärbt wird. Alle Farben werden hier frisch aus den verschiedensten Pflanzen hergestellt – und das Resultat kann sich mehr als sehen lassen. 

Text: Christine Hunkeler

Eine kleine Gruppe Menschen, die aufgrund ihrer Konstitution nicht einem «normalen» Arbeitsleben nachgehen können, hat 1984 die «Färberei zum Klösterli» gegründet. Dies auch aus der Notwendigkeit, mit den Schulabgängern der damaligen Heimschule St. Michael hoch oben in Oberhofen eine ihren speziellen Bedürfnissen Rechnung tragende Arbeitsform zu entwickeln. Es wurden viele Vorstudien mit Farben betrieben und seit 1987 werden auch grössere Mengen Seide mit Pflanzenfarben in verschiedenen Qualitäten eingefärbt. Mit dem Auf- und Ausbau dieser Färberei ist es gelungen, eine ideale Arbeitsform für die verschiedenen Personen, die dort arbeiten, zu entwickeln. Die Färberei Alchemilla bietet acht Menschen mit besonderen Bedürfnissen Arbeitsplätze an. Sie werden von vier Mitarbeitenden unterstützt und betreut. 

Das Einfärben der Seidenstoffe ist eine kunsthandwerkliche Tätigkeit. Bis die Seide eingefärbt ist, braucht es einen mehrstufigen Arbeitsprozess. Die Alchemilla bezieht die rohen Seidenstoffe aus der ganzen Welt. Ebenfalls stammen die getrockneten Kräuter, mit denen die Seidenstoffe eingefärbt werden, aus verschiedenen Teilen der Welt. Die Birkenblätter kommen zum Beispiel aus Skandinavien, das Blauholz aus Südamerika. Weiter verwendet werden Walnussblätter, Kamala, Goldrute, Rotholz, Catechu, Weizenkleie, Alkanna, Zwiebelschale, Färberginster und weitere. Das Mädchenauge (Coreopsis), das man vielerorts Schöngesicht nennt, wächst im eigenen Garten in Oberhofen. Der Extrakt von Coreopsis grandiflora dient zur Färbung einer speziellen Orange-Nuance, die in der Meridiantherapie nach Christel Heidemann für den Nierenmeridian verwendet wird.

Vor dem Färbeprozess werden die Kräuter jeweils abgewogen und für den nächsten Tag bereitgestellt, um sie zu kochen und so das Wasser einzufärben. Es werden alle Farben frisch aus verschiedenen Pflanzen hergestellt und den Bedürfnissen der Kunden angepasst. Je nach Kraut dauert der Kochvorgang etwas kürzer oder auch länger. Blauholz zum Beispiel muss über eine Stunde eingekocht werden. Danach werden die Kräuter abgesiebt, damit keine Pflanzenrückstände zurückbleiben. Es wird von Hand gefärbt, zum Teil auch mit Unterstützung von eigens dafür entwickelten Hilfsvorrichtungen. Beim Färbevorgang unterscheidet man zwischen Ein- oder Zweibad. Beim Einbad gibt man das Alaunsalz bereits dazu, beim Zweibad wird die Seide zuerst eine Stunde lang ins Alaunbad eingelegt, danach in die reine Farbe. So können brillantere Farben hergestellt werden. Nutzt man zum Beispiel bei einer Färbung mit Birke nur das Einbad, so ist das Resultat ein stumpfes Gelb. Nutzt man aber den Zweibad-Prozess, erscheint ein leuchtendes Gelb. Nach dem Färben wird die Seide ausgewaschen, bis keine Farbrückstände mehr im Wasser zu finden sind. Danach wird der Seidenstoff aufgehängt, getrocknet und gebügelt. 

Für die verschiedenen Farben stehen viele Farbmuster zur Auswahl, aus denen Kunden die gewünschte Farbe auswählen können. Über zwei Jahre lang wurden über tausend Farbmuster erstellt, erforscht, und sie werden laufend erweitert. 

Die gefärbten Seidenprodukte werden im eigenen kleinen, hübsch eingerichteten Laden gleich neben der Färberei verkauft. Aber auch per Postversand, an Messen, Basaren und über Wiederverkäufer in der Schweiz und auch im Ausland werden die pflanzengefärbten Seidenprodukte abgesetzt. 

Sämtliche Arbeiten in der Seidenfärberei werden kooperativ erledigt; das heisst, jeder arbeitet mit, unabhängig, ob behindert oder nicht, seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten entsprechend. Diese kunsthandwerkliche Arbeit fordert den Menschen mit all seinen Sinnen und ist deshalb fördernd und harmonisierend.

Das Hauptprodukt der Alchemilla ist die pflanzengefärbte Seide in Form von Meterware. Im Moment können etwa vierzig verschiedene Seidenarten angeboten werden. Aus finanziellen Gründen werden die häufig gefragten Seidenarten auf Vorrat eingefärbt. Alle anderen Seiden werden auf Wunsch mit der entsprechenden Farbe eingefärbt. Die Hausschneiderin näht sogar nach Wunsch massgenaue Seidenvorhänge. Neben der Meterware werden Halstücher, Seidenschnüre, Halsketten, Pulswärmer, Taschen und viel Dekoratives aus den verschiedenen Seidenarten angeboten.

Aus den Kokons der Seidenraupe, der Larve des Seidenspinners, wird die Seide gewonnen. Diese feine Faser ist die einzige in der Natur vorkommende textile Endlos-Faser und besteht fast nur aus Protein. Ursprünglich kommt sie aus China und war lange Zeit eine wichtige Handelsware, die über die Seidenstrasse nach Europa transportiert wurde. Die meisten Seidenraupen ernähren sich von den Blättern des Maulbeerbaumes. Um gute Qualitätsseide zu erhalten, müssen die Seidenraupen unter besonderen Bedingungen aufgezogen werden. Um Seidengarne zu erhalten, werden mehrere gehaspelte Seidenfäden miteinander verzwirnt. Es gibt ganz viele verschiedene Seidenqualitäten, die durch unterschiedliche Spinn- und Webverfahren oder Behandlungen entstehen. Typische Gewebearten bei der Weiterverarbeitung der Seide sind zum Beispiel Chiffon, Organza, Jacquard, Samt, Pongé, Georgette und viele mehr. Die Crêpe de Chine ist die bevorzugte Qualität unter Designern dank ihrem weichen und knitterarmen Fall und ist oft auch der Ausgangsstoff für handbemalte Kimonos.

Seide wirkt isolierend gegen Kälte und Wärme und zeichnet sich durch ihren Glanz und ihre hohe Festigkeit aus. Das Material knittert kaum und auf Seidenstoffen werden besonders brillante Farben erzielt. Auf hohe Temperaturen, Abrieb und Wasserflecken ist Seide empfindlich. Die Qualität hängt unter anderem von ihrem Gewicht und ihrer Feinheit ab. 

Von Anfang an war es der Alchemilla ein Anliegen, ihre Arbeit zur Gesundung der Mitmenschen einzusetzen. Die therapeutische Wirkung der Farben auf die Seele und ihre heilende Kraft ist in der Pädagogik und Medizin schon lange bekannt. Heute empfehlen sogar Hebammen, das Neugeborene in ein Seidentuch zu wickeln. Dem angenehmen Erlebnis des Lichtes, welches durch pflanzengefärbte Vorhänge den Raum erfüllt, wird sich wohl kein Mensch verschliessen können.

Walnussblätter, Kamala, Goldrute, Rotholz, Catechu, Weizenkleie, Alkanna, Zwiebelschale,  Färberginster…

Info

Öffnungszeiten Verkaufsladen
Montag bis Freitag: 9.00 bis 12.00 Uhr
Montag bis Mittwoch: 14.30 bis 17.00 Uhr
Es ist nicht immer möglich, die Öffnungszeiten einzuhalten. Deshalb vorher kurz telefonieren, um einen Termin zu vereinbaren.

Vereinigung Alchemilla

Richtstattstrasse 7 3653 Oberhofen 
Telefon 033 243 46 01
mail@alchemilla.ch
www.alchemilla.ch

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