Förster-Wettbewerb mit Urknall

Förster-Wettbewerb mit Urknall

Förster-Wettbewerb mit Urknall

Handwerklich begabt war er schon immer, Markus Otth aus Hünibach. Zusammen mit seinem Bruder hat er bereits Snowboards hergestellt, als diese Sportart hierzulande noch gar nicht bekannt war. Das Beste dabei: Diese Bretter waren dazu­mal unbekannt, an den Skilifts wurden sie zum Teil verboten, aus Angst, ihre Benutzer würden als «Oberdeppen», wie Markus Otth das heute feststellt, beim Start ständig umfallen und so einen nie endenden Stau bei den Skifahrenden provozieren …

Text: Thomas Bornhauser  |  Fotos: zvg

Vor zehn Jahren muss es gewesen sein, dass der Selfmademan (siehe Unten) Markus Otth per Zufall einem Försterwettbewerb beiwohnte, wo für die Waldeshüter typische Disziplinen auf dem Programm standen, mit und ohne Axt. Dem heutigen «Schnätzer» – der Ausdruck ist eine gröbere Form von «Schnitzer» und zudem Bärndütsch – imponierte dabei eine Showeinlage, bei der einer mit seiner Motorsäge ein Stück eines Baumstamms innerhalb eines Tages in eine Figur verwandelte, in einen Adler.

Am Waldrand wird «motoret»

Das möchte ich auch können, geht es dem Berner durch den Kopf. Nur eben: Wo und bei wem lernen? Im Internet findet Markus Otth a prima vista keine Adresse, jedenfalls nicht in der Schweiz. «Cherchez la femme» heisst eine bekannte französische Redewendung – und in Abwandlung dessen: Seine Ehefrau Sabine macht ihn darauf aufmerksam, dass es in Brienz (wo denn sonst?) einen professionellen Schnitzer gibt, der das Handwerk an der Schule für Holzbildhauerei in Brienz von der Pike auf gelernt hat und Kurse anbietet. Zur Ehrenrettung von Markus Otth sei gesagt: Auf den ersten Blick war dieses Programm im Internet nicht ersichtlich, auch auf den zweiten nicht. Wie auch immer: Markus Otth meldet sich zur Ausbildung bei besagtem Schnitzer an, bei Paul Fuchs.

Die Kurse mit der Motorsäge finden in Hofstetten statt, an einem Waldrand, weitab von Wohnhäusern, wo die Geräusche störend wären. In unmittelbarer Nähe dieses Standorts gibt es in einer Militärbaracke auch Unterkunftsmöglichkeiten. Ein idealer Ort für die angehenden Holzsäger, da die Kurse mehrere Tage dauern. Die interessierten Lernenden lassen es übrigens nicht mit einem Kurs bewenden, die meisten treffen sich einmal im Jahr zum Erfahrungsaustausch und – logisch – zum geselligen Beisammensein. 

Risse sind unvermeidlich

Die Frage drängt sich auf: Wie kommt man an das Holz heran, wie geht man anschliessend vor? Fällen Markus Otth und seine Kollegen die Bäume selber? Er winkt ab und lacht: «Nein, das wäre zu gefährlich, und ausgebildet sind die Kursteilnehmenden hierfür gar nicht. Die gefällten Baumstämme werden von einem Förster am Bearbeitungsplatz bereitgestellt. Ich beziehe das Holz übrigens vom Förster der Burgergemeinde Thun.»

Am einfachsten ist es, mit Linde zu arbeiten, weil es ein verhältnismässig weiches Holz ist und sich leicht schnitzen lässt. Infrage kommen auch Weihmutskiefer, Lärche, Ahorn, Eiche und Fichte. Wie er denn vorgeht, wollen wir von ihm erfahren. «Zuerst muss ich wissen, was ich eigentlich will, dies aufgrund von Skizzen.» Sind die Länge und der Durchmesser bestimmt, wird das Teil entsprechend entrindet. «In den Kursen ist uns Paul Fuchs mit seinen Ratschlägen eine enorme Hilfe. Was ich besonders schätze: Er lässt uns machen, unterstützt uns erst, wenn wir ihn danach fragen.» Schritt für Schritt tastet man sich im Laufe der Stunden an eine neue Kreation heran. Ist die Rinde entfernt, kommen erste Skizzen aufs Holz (Denken in 3-D ist sehr wichtig!), anschliessend kommen die Motorsägen zum Einsatz. Interessant: Markus Otth schnitzt mit acht verschiedenen Sägen. Zuerst mit jener für das Grobe mit der entsprechend grossen Blattlänge, zum Schluss – für die Finessen – mit der kleinen, feinen. Nach ein paar Stunden lässt sich meistens erahnen, was aus dem Baumstamm entstehen wird.

Besonders wichtig: Jedes Rundholz reisst im Laufe der Zeit, was Spalten verursacht, die aber ganz reizvoll sein können, wie die Figur «Gespaltene Persönlichkeit» zeigt. Lässt sich nicht erahnen, wo der Riss entstehen wird, kann der Holzbearbeiter eine sogenannte Sollbruchstelle anbringen, damit die Energie des Holzes sich dort freisetzt.

Laufkundschaft

Was passiert, wenn im Laufe der Arbeit plötzlich ein Malheur geschieht und ein Stück Holz – aus welchen Gründen auch immer – wegbricht, gibt es dann Pellets für die Heizung? «Nein», schmunzelt Markus Otth, «in den meisten Fällen improvisiere ich, überlege mir, was ich aus der Situation machen kann. Vielleicht werden einem Adler die Flügel ein bisschen gestutzt. Oder ein Gesichtsausdruck verändert sich. Es gibt viele Möglichkeiten, auch dass ich allenfalls die Figur verkleinern kann.» Und selbstverständlich kommen nicht bloss Motorsägen zum Einsatz, gegen Schluss auch klassische Schnitzerwerkzeuge. Standardsujets gibt es nicht, jede Holzplastik ist ein Unikat. Preislich liegen seine Werke zwischen 200 und 1500 Franken.

Gegenwärtig gibt es in seiner Umgebung sozusagen drei Aussenlager, wo er einzelne Baumstämme erworben hat und für ihn angeschrieben sind, eines davon ist so nahe, dass er sich mit einer Stosskarrette auf den Weg machen kann, samt den benötigten Utensilien. 

Zum Schluss die Frage, wie er denn an seine Kundschaft kommt. Ganz einfach: Viele seiner Holzfiguren – sie zeigen die Vielfältigkeit seiner Arbeiten – stehen vor seinem Haus, werden von Passanten gesehen und bestaunt. Viele erinnern sich an diesen Augenblick und nehmen mit Markus Otth Kontakt auf, wenn sie ein originelles Geschenk für einen Geburi oder einen Jubiläumsanlass benötigen. Die Holzfiguren waren auch schon in Schaufenstern zu sehen – zum Beispiel bei Volz Optik im Bälliz in Thun –, ebenfalls auf seiner Website, wo die schier unglaubliche Vielfältigkeit seiner Werke zu bestaunen ist, technische Details inklusive.

Der Klassiker

Da gibt es also einen Schnitzer, der seit 30 Jahren immer das gleiche Motiv aus dem Holz herausschält: einen Adler, der beim Wegfliegen ein Lamm in den Klauen hält. Das Geschäft läuft je länger, je schlechter. Kunststück. «Du musst halt einmal etwas anderes schnitzen», rät ihm ein Kollege. Nach vier Wochen ruft der Schnitzer seinen Freund an, er solle vorbeikommen, er habe jetzt ein neues Motiv. Die Überraschung im Atelier ist perfekt. Nun ist ein grosses Schaf zu sehen, das mit einem jungen Adler zwischen den Zähnen davonläuft …

Markus Otth

Geboren 1963 in Unterseen, wo er auch – zusammen mit einem Bruder und zwei Schwestern – zur Schule geht. Der Vater arbeitet auf einer Bank, die Mutter – zu jener Zeit eine typische Hausfrau – ist handwerklich vielseitig begabt: Bauernmalerei, klöppeln, Emaille bemalen und brennen, unter vielem anderen. Diese Vielseitigkeit überträgt sich auf den Sohn. Nach der Schule lässt sich Markus Otth zum Elektroinstallateur, zum «Stromer», bei den BKW in Wilderswil ausbilden. Im Laufe der Jahre ist er unter anderem – der Platz hier reicht nicht aus, um alle Weiterbildungen und Karriereschritte aufzulisten – als Elektroinstallateur bei Oester in Thun beschäftigt und merkt in dieser Zeit, dass ihm die Beschäftigung im Büro als Elektrozeichner noch mehr zusagt als die Arbeit direkt auf den Baustellen. 1997 wechselt Markus Otth nach mehreren Stationen zu den SBB, wo er unter anderem für die Gebäudetechnik der Division-Immobilien verantwortlich zeichnet, nachdem er Managementkurse in den Bereichen Facility-Management und Betriebswirtschaft erfolgreich abgeschlossen hat. Heute ist er selbstständig mit seinem Büro für technisches Facility-Management, spezialisiert auf Aufzüge und Fahrtreppen sowie Energieoptimierungen im elektrotechnischen Bereich.

Im Wohnzimmer steht ein Keyboard. Spielt er damit? Nein, seine Frau, eine Erwachsenenbildnerin, sie malt auch. Markus Otth selber – Ausdauersportler – hat im Keller ein Schlagzeug stehen, was eigentlich logisch ist, hat er doch schon seinerzeit als Drummer in einer Schülerband gespielt, wenn auch erst auf OMO-Waschkübeln  …

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