Ernst Ramseier – Kopflandschaften
Ernst Ramseier – Kopflandschaften
Schweizer Felder und Berge, immer wieder kahle Bäume und am Bildrand: Frauen, Männer und Kinder, die uns ansehen. Die Werke von Ernst Ramseier sieht man und behält sie in guter Erinnerung. Ein schönes Gefühl, das der im vergangenen Jahr verstorbene Künstler den Besuchern hinterlässt. Das Kunstmuseum Thun widmet ihm eine grosse Einzelausstellung.
Text: Alisa Klay | Fotos: Christian Helmle, Kunstmuseum Thun
Während der Bildhauer früher hauptsächlich Vorlagen für seine Plastiken skizzierte, entstanden ab 1987 eigenständige kreative Zeichnungen.
Charakteristische Einzelfiguren oder dicht ged- rängte Menschengruppen finden sich am Bildrand.
Wer schaut hier wen an?
Man wird nicht schlau aus Ramseiers Figuren: Erwarten sie eine bestimmte Reaktion oder warten sie lediglich darauf, dass wir unseren Blick wieder abwenden, damit sie ungestört fortfahren können? Ramseier lässt uns in seine Bilder eintreten und das Dargestellte miterleben, stellt uns in gewissem Sinne als Fremden dar, dessen plötzliches Eindringen die Bildfiguren irritiert in Augenschein nehmen und eröffnet auf diese Weise ein humorvolles Spiel des Beobachtens, indem der Betrachter in die Rolle des aktiven Beobachters tritt, aber zugleich auch selbst zum Beobachteten wird (Die Zuhälter, o. D.). Im Kunstmuseum Thun sind in der Ausstellung «Kopflandschaften» nicht nur ausgewählte Holzschnitte aus der Sammlung des Kunstmuseum zu sehen, sondern auch ausdrucksstarke Ölbilder aus dem Nachlass des Schweizer Malers, Grafikers und Lyrikers, die zum Teil noch nie ausgestellt wurden. Der Künstler trat seinerzeit gerne als stiller Beobachter in Erscheinung. Eine Rolle, die in seinen Werken überdeutlich und unverkennbar ist. Die Gedrungenheit und auf eine gewisse Art sachlich wirkende Präsenz der Bildmotive, die durch das virtuose Navigieren zwischen Fülle und Leere zusätzlich hervorgehoben werden, transzendieren zum Charakteristikum seiner markanten Bildsprache. Einer Bildsprache, deren Dringlichkeit und Ausdrucksstärke den Künstler zum Erzähler werden lässt.
Bereits als Schüler zeigte Ramseier ein grosses Interesse an Malerei wie auch Literatur.
Ernst Ramseier, EMIU, o. D., Holzschnitt auf Papier, 110x84 cm, Aufl. 6/10, Kunstmuseum Thun.
Ernst Ramseier, Bauernkopf, o.D., Foto: Christian Helmle, Kunstmuseum Thun.
Ernst Ramseier, 1983, in der Galerie Aarequai Thun.
Foto: Galerie Aarequai Thun.
Auf eine kindliche Art poetisch
Ernst Ramseier, der mit 20 Jahren nach Krattigen zog, zählt zu den bedeutendsten Holzschnitzern der Schweiz und ist für seine Malerei, Mosaike, Reliefs, Glas- und Sakralkunst sowie seine Eingangs-, Treppenhaus- und Platzgestaltungen bekannt. Seine Gedanken, Erfahrungen und Erlebnisse bringt der Maler überdies in seinen lyrischen Werken Glaskugeln (1961), Die Landschaft des Betrachters (1995), Brot und Wein (1997) oder Schalttag (2004) zum Ausdruck. Bereits als Schüler zeigte Ramseier ein grosses Interesse an Malerei wie auch Literatur. Dennoch beginnt er zunächst eine kaufmännische Lehre. In seiner Freizeit malt der junge Künstler vor allem das, was ihn umgibt – die umliegenden Landschaften sowie das städtische Treiben seiner zweiten Heimatstadt Thun, Natur und Menschen – Sujets, die ihn Zeit seines Lebens beschäftigen. Seine zunehmende Begeisterung und Leidenschaft für Kunst veranlasst Ernst Ramseier dazu, die Lehre abzubrechen und Künstler zu werden. Seine künstlerische Ausbildung durchläuft er als Autodidakt, Lehrmeister findet er in Museen, Galerien, bei Künstlerkollegen*innen und auf Reisen. 1961 stellt Ramseier in der Galerie Aarequai in Thun zum ersten Mal selbst aus. Seine dort ausgestellten Simmentaler Landschaften finden grossen Anklang. In den Folgejahren erhält der Künstler nicht nur zwei Stipendien, sondern auch zunehmend öffentliche und private Aufträge.
Gewohntes mit anderen Augen sehen
Hat man einige der Arbeiten Ramseiers gesehen, gewöhnt man sich an dessen Spiel: Landschaften, Stillleben und Menschen werden in seinen Bildern und Schnitten zu ungewöhnlichen Kompositionen, die uns alltäglich Vertrautes fremd und eigenartig erscheinen lassen. Als Beispiel genannt sei eines seiner Hemdenmotive: Der Holzschnitt EMIU (o. D.), ein Hemd, mit Wäscheklammern an einer Leine befestigt. Man denkt an Waschen, Sauberkeit, vielleicht noch das Beseitigen von Flecken und eine neu erlangte Reinheit. Verwundern lässt uns jedoch, dass das Hemd nicht nur zugeknöpft ist, sondern auch von einer sorgfältig geknoteten Krawatte geziert wird. Die Darstellung geht fast mit einer Verkehrung von Subjekt und Objekt einher. Der Körper, den wir uns ohne Hemd und Krawatte vorstellen können, bleibt unsichtbar und das Hemd, welches ohne Körper eigentlich schlaff und leblos als Gegenstand in Erscheinung tritt, wirkt in dieser Darstellung in gewissem Sinne lebendig, bewohnt, sonderbar frei und selbstbestimmt. In seinen Ölbildern verwendet der Maler oftmals kräftigere Farben. Auch in seinem Selbstbildnis von 1977 kontrastieren Orange und Blau mit sonst eher unbunten Farben wie Schwarz, Weiss und Grau. Lediglich das zarte Rosa des Pullovers tritt hier als Vermittlerin in Erscheinung, leitet über von den bunten, kraftvollen Farben zu den stillen, zeitlosen Artgenossen. Ramseier schlüpft in die Rolle seiner Bildfiguren – selbstbewusst blickt er die Betrachtenden direkt an. Geometrische Formen und Balken, die sich in ihrer Farbenpracht auch in seinen Stillleben wiederfinden lassen, umrahmen das Selbstbildnis. Auf diese Weise erscheint die Abbildung des Malers wie ein Bild im Bild oder wie der Blick in einen Spiegel, das Selbstbildnis eines Selbstbildnisses. Und unmittelbar kommt der leise Humor zum Vorschein, der mit der scheinbaren Sachlichkeit seiner Darstellungen kontrastiert und auch im Selbstbildnis in schelmischen Widerspruch zu dem ernsten Gesichtsausdruck des Malers steht.
Symbolträchtige Arbeitsweise oder Zufälligkeit?
Laut Rolf Stähli, Thuner Chronist, liegt auch dem Baum bei Ramseier eine Symbolik zugrunde. Die erzählerische Ernsthaftigkeit und der leise Humor, der doch immer auch in den Werken Ernst Ramseiers präsent ist, mögen sich in der Tristesse des winterkahlen Baumes und der spielerischen Leichtigkeit der frühlingshaften Blütenkrone tatsächlich in übertragenem Sinne widerspiegeln und erinnern an die Ansichten Hermann Hesses: In ihren Wipfeln rauscht die Welt, ihre Wurzeln ruhen im Unendlichen. Dieser These kann man am besten bei einem Besuch der Ausstellung auf den Grund gehen. Die wörtliche Zusammensetzung des Ausstellungstitels, «Kopf» und «Landschaft», mag nicht nur zwei charakteristische Sujets des Schweizer Malers verbinden, sondern lässt zudem die Imagination einer Fantasiewelt entstehen, die Ernst Ramseier in seiner Kunst zum Ausdruck bringt. Seine Werke stimmen uns nachdenklich und dennoch ist ihnen ein gewisser Schalk nicht abzusprechen, der von einer Heiterkeit und Lebenslust zeugt und uns das ganz eigene Verständnis der Welt von Ernst Ramseier, dem stillen Beobachter, gewahr werden lässt.
«Wer im Heimmarkt nicht erfolgreich ist, dem gelingt es auch im Rest der Welt nicht.»
Ernst Ramseier, Die Zuhälter, o. D., Holzschnitt auf Büttenpapier, 75.3x105.5 cm, Aufl. 9/10, Kunstmuseum Thun, Foto: Christian Helmle
Ernst Ramseier, Der grosse Regen, o.D., Foto: Christian Helmle, Kunstmuseum Thun.