Das Jahr 1837 hält spielend mit 2016 mit ...
Das Jahr 1837 hält spielend mit 2016 mit ...
1837 war nicht nur das Jahr, in welchem der Markenartikelmulti Procter & Gamble gegründet wurde, sondern auch die Ledergerberei Zeller in Steffisburg. Johannes Zeller, der Ururgrossvater des heutigen Betreibers Jürg Zeller, war der Gründer der Firma.
Text & Fotos: Christine Hunkeler
Seit 1837 am gleichen Ort
Zwei Wochen vor dem Besuch des Schreibenden teilt er Jürg Zeller telefonisch einen Wunsch mit: «Ich wäre für die Bebilderung der Reportage froh, wenn Sie mir Fotos aus früheren Zeiten bereitstellen könnten.» Diese vorab zu mailen ist nicht möglich: Jürg Zeller hat keine E-Mail-Adresse. Seine Reaktion: «Ich habe keine, aber das ist kein Problem. Stellen Sie Ihre Kamera auf schwarz-weiss, dann wissen Sie, wie es vor 100 Jahren bei uns ausgesehen hat. Nun ja, fast…»
Wenn Sie, liebe Lesende, die Aufnahmen betrachten, werden Sie die Aussage von Jürg Zeller problemlos nachvollziehen können. Hier wird noch (fast) wie zu Gründerzeiten gegerbt, als «Chemie» ein ziemlich fremder Begriff war. Kein Wunder also, dauert der gesamte Gerbungsprozess bei Jürg Zeller und seiner einzigen Mitarbeitenden, Astrid Kühne, um ein Vielfaches länger als die «Schnellbleiche» bei den meisten ausländischen Gerbereien, die dafür ihr Leder zur Hälfte günstiger auf den Markt bringen können. Kein Wunder, musste eine Schweizer Gerberei nach der anderen in den letzten Jahrzehnten ihren Betrieb aufgeben, weil ihre Leder im Vergleich zu ausländischen Produkten nicht mehr konkurrenzfähig waren.
Noch drei Schweizer Ledergerbereien
Der Vergleich mit dem Ausland zeigt aber – nebst dem viel schnelleren Gerben mit Chemikalien – noch eine weitere Herausforderung für die Schweizer Hersteller: die Kosten für den Umweltschutz. Auch diesbezüglich ist «Made in Switzerland» keine Wohlfühloase, bei der die Kosten kaum ins Gewicht fallen. Ganze drei Ledergerbereien gibt es heute nur noch in der Schweiz, alle im Kanton Bern: Emmeleder in Langnau, Graberleder in Huttwil und Zeller in Steffisburg.
Jürg Zeller mag sich darüber nicht beklagen: «Die Schweiz ist die Schweiz. Produkte, die hierzulande hergestellt werden, weisen nicht bloss in Bezug auf Qualität einen Vorsprung auf, sie sind ökologisch auch nachhaltiger als viele andere Waren aus dem Ausland. Das ist das Fundament, auf dem wir weiterbauen.»
Für einen Fotografen ist der Betrieb in Steffisburg eine Trouvaille, denn wo sonst gibt es noch einen Warenlift, der mit Transmissionsriemen aus dem Jahr 1918 betrieben wird? Oder Räume, in denen die Arbeitswelt des 19. Jahrhunderts förmlich spürbar ist?
Etwas Wichtiges hat sich im Vergleich zu früher geändert. Bei seinem Ururgrossvater wurden die Tierhäute in dreizehn sogenannten Lohgruben gegerbt, die bereits bei den Römern bekannt waren. Und das jeweils während eines Jahres! Fünf dieser Gruben sind in Steffisburg noch vorhanden, sind aber mit Brettern überdeckt, da die Häute heute in Fässern bearbeitet werden (siehe Kasten).
Kundschaft aus den USA
Fragt man Jürg Zeller – er hat wohl als letzter Schweizer noch den Beruf des Gerbers erlernt «und 1982 abgeschlossen, bei der Gerberei Schneider in Biglen» – nach aussergewöhnlichen Intermezzi in seinem Berufsleben, so muss er nicht lange überlegen. Stolz ist Jürg Zeller auf eine Bestellung der Colonial-Williamsburg-Stiftung in den USA für deren Meisterschuhmacher. Mit der Institution «gschäftet» er seither regelmässig.
Schweizer Exklusivität
Jedes Lederprodukt kann bei der Gerberei Zeller in Auftrag gegeben werden, auch wenn einiges nicht gänzlich im Berner Oberland hergestellt wird. Jürg Zeller: «Wir arbeiten mit anderen Schweizer Fachbetrieben zusammen, ergänzen uns bestens.»
Neuestes Beispiel: Jürg Zeller weiss wohl als einziger Schweizer Verarbeiter, wie man Störleder herstellt. Die Fischhäute bezieht er vom Tropenhaus in Frutigen, das bekanntlich Kaviar vertreibt. Glaubt man dem gelernten Gerber – und wer würde an seinen Aussagen zweifeln? –, so war es ein extrem langer Lernprozess, bis es schliesslich geklappt hat. Den entscheidenden Schlüssel zum Erfolg will er denn auch nicht verraten.
Sabina Brägger (www.sabinabraegger.ch) ist an dieser Neuentwicklung «mitschuldig»: Die heutige Produktdesignerin schrieb ihre Bachelorarbeit «STÖR – fischleder swissmade» zu diesem Thema. Ausgangspunkt war das bereits erwähnte Tropenhaus in Frutigen, das die Störhäute noch nicht gezielt weiterverwertete – bis zum Moment, da Sabina Brägger dies bewusst wurde und sie mit Jürg Zeller Kontakt aufnahm. Mit dem Resultat, dass die Stadtbernerin als Textildesignerin Störleder verarbeitet und dafür den Nachhaltigkeitspreis der Hochschule Luzern erhielt, worauf ein kleiner Medienrummel aus dem In- und Ausland um sie und um Jürg Zeller einsetzte. Ochs und Junior in Luzern stellen Uhren her und sind ebenfalls Abnehmer von Störleder, wie auf www.ochsundjunior.ch zu sehen ist.
Zum Schluss die unvermeidliche Frage an den Unternehmer, der genau weiss, was er will: Wird es eine sechste Zeller-Generation geben, welche die Gerberei weiterbetreibt? «So wie es aussieht, eher nicht…», schmunzelt der sympathische Steffisburger.
Von der Tierhaut zum Lederprodukt
Jürg Zeller kauft seine Tierhäute vornehmlich bei lokalen und regionalen Metzgern mit eigenen Schlachtstellen. Diese Häute – von der Ziege über das Schwein bis zum Rind – werden eingesalzen angeliefert. Salz stellt die Haltbarkeit der Haut sicher, konserviert sie und verhindert das Vermehren von Mikroorganismen. In Steffisburg werden diese Häute zwei Tage lang in riesigen Trommeln gewaschen und von Verschmutzungen befreit, in der Regel von Samstag bis Montag, anschliessend mechanisch von Fleisch- und Fettresten getrennt. Anschliessend geht es zurück in die rotierenden Fässer, damit in einem weiteren Arbeitsprozess die Haare abgelöst werden. Dieser Vorgang nennt sich «Äschern», weil früher mit Holzasche gearbeitet wurde, die Schwefel enthielt. Heute werden die Grundhaare chemisch entfernt, unter anderem mit einem Öl, das nichtionische Tenside enthält. Der Zwischenstand der «Blösse» ist hiermit erreicht, die eigentliche Rohhaut. Diese wird jetzt – wiederum im Fass – «neutralisiert», um den pH-Wert von 13 auf 7 zu reduzieren, weil die Haut sonst die Gerbstoffe nicht aufnimmt. Das eigentliche Gerben – diese in Steffisburg aus ökologischen und qualitativen Überlegungen heraus praktizierte Schongerbung – dauert vier Wochen. Diese Zeit verbringen die ungefähr 600 Kilogramm schweren Häute wiederum in den mit jeweils 2500 Liter Wasser und pflanzlichen Gerbstoffen gefüllten Fässern. Diese Gerbelemente dringen von beiden Seiten in die Haut ein. Vom Moment an, da in der Mitte keine Rohhaut mehr feststellbar ist, gilt das Material als gegerbtes Leder. Das getrocknete Leder wird bei einer Raumtemperatur von 60 Grad Celsius in eine heisse Fettmischung eingetaucht und eingefettet, anschliessend wieder getrocknet.
Zum Schluss kommt das Leder auf eine Marmortafel, wo es von Hand «flachgestossen» wird. Dabei erhält das Leder einige dauerhafte Eigenschaften, spezielle Merkmale oder modische Effekte. Auch kann in dieser Phase dem Leder die ursprüngliche Narbenstruktur zurückgegeben werden.
Von jetzt an bearbeitet der Spezialist das Leder je nach Endprodukt – sprich: festes, schwarz eingefärbtes Leder mit Paraffinwachs für Kuhglocken oder weiches, mit tranhaltigem Öl bearbeitetes Leder zur Weiterverwendung beim Schuhmacher oder Sattler.