Stress? Take it easy!

Stress? Take it easy!

Stress? Take it easy!

Grundsätzlich hilft uns Stress zu überleben. Doch was passiert eigentlich bei Stress? Wie verändert sich dabei das autonome Nervensystem? Wird Stress chronisch, führt er langfristig zu schweren Erkrankungen. Wir widmen uns Strategien für einen gesunden Umgang mit Stress. Dazu entdecken wir, welche Mittel die Natur uns bietet, um uns darin zu unterstützen und mehr Gelassenheit zu erleben.

Text: Rolf Wenger  |  Fotos: zvg

Stress ist gesund. Ja, wirklich! Der physische Effekt dauert in der Regel nur 90 bis 180 Sekunden. Dabei laufen im Körper mehr als 1400 physikalische und chemische Reaktionen ab, um die Stressinformation zu verarbeiten und darauf zu reagieren. Hätte der Mensch keinen Stress, hätte er die Steinzeit nicht überlebt. Stellen Sie sich vor, da steht plötzlich ein Säbelzahntiger vor Ihnen – und Sie haben keinen Stress, es ist Ihnen egal. Oder Sie überqueren grad die Strasse mit zwei vollen Einkaufstüten und plötzlich rast mit quietschenden Reifen ein Auto um die Kurve auf Sie zu. Hinsetzen und laut «OM» summen hilft nicht weiter. Stress ist überlebenswichtig. Adam und Eva hatten im Paradies keinen Stress, als die Schlange den Apfel anpries. Mit fatalen Folgen ...

Zuerst wird eine Situation auf ihre Bedrohlichkeit überprüft. Ein Kind weiss noch nicht, dass eine heisse Herdplatte gefährlich, der hübsche Hund bissig oder die Schlange tödlich sein kann. Vieles lernen wir von Vertrauenspersonen, über Beobachtung und Erfahrung. Hierin liegt aber auch die Gefahr der Manipulation, wie bereits verschiedene Skandale aufgezeigt haben.

Wird eine Situation als bedrohlich eingestuft, prüfen wir Abwehrstrategien. Diese werden oft beibehalten und führen zu späteren Lebensthemen. Geprägt werden solche Themen in der Regel vor der Pubertät. In dieser Zeit sind wir noch unselbständig und unser Denkvermögen nicht voll entwickelt. Wir glauben einfach, was man uns sagt. Negative Glaubensmuster können sich einschleichen, wie zum Beispiel «dafür bin ich zu klein, zu dumm, nicht gut genug» oder «Auge um Auge, Zahn und Zahn» oder «Tapfere weinen nicht» usw. Die erlernten Strategien reichen von Verdrängen und Verleugnen über Rationalisieren und Kompensieren bis hin zu Vergelten und Gewalt.

Haben wir auf die Schnelle keine Strategie zur Hand, springt das Notsystem an. Je nach Menschentyp finden wir eine andere Dominanz. Der Fluchttyp reagiert mit Angst, der Kampftyp mit Wut und der Totstellentyp mit Trauer bzw. Verzweiflung. Letzteres beim Tiger meist ohne grossen Erfolg.

Einer allgemeinen Definition zufolge ist Stress die körperliche und verstandesmässige Reaktion auf jeglichen Druck, der das normale Gleichgewicht stört. Das bedeutet: Stress ist nicht etwas, was von aussen auf uns einwirkt, sondern die eigene Reaktion darauf. Marie von Ebner-Eschenbach schlussfolgerte: «Nicht, was wir erleben, sondern wie wir empfinden, was wir erleben, macht unser Schicksal aus.»

Wenn wir Stress zulassen, verändern sich zahlreiche Körperfunktionen. Oft haben wir aber keine Wahl. Diese Prozesse laufen meist unbewusst über das autonome Nervensystem (ANS) ab. Dabei stellt uns der Körper kurzfristig mehr Energie zur Verfügung und reduziert für diese Situation «unwichtige» Körperfunktionen. 

Überlegen wir kurz: Was ist nicht mehr wichtig, wenn der Säbelzahntiger fletschend vor uns steht? Werden wir noch die Jagd des nächsten Tages planen? Wohl kaum. Die kognitiven Leistungen, das Denken, ist nicht mehr wichtig. Unter Stress machen wir mehr Fehler. Sagen wir zum Tiger, dass er sich noch kurz gedulden muss, weil wir noch aufs Häuschen bzw. hinter den Busch müssen? Auch nicht. Die Verdauung ist unwichtig. Das Einzige, worauf es ankommt, ist die Kraft in der Muskulatur. Das ist entscheidend, ob wir im Kampf gewinnen, auf den Baum flüchten können oder gefressen werden. In wenigen Minuten ist die Entscheidung gefallen. Der Stress ist vorbei und es kommt zur Gegenregulation des ANS. 

Wenn Ihnen das Wasser bis zum Halse steht, lassen Sie den Kopf nicht hängen.

Nur länger andauernder Stress wirkt schädlich. Dies können individuell empfundene Dauerbelastungen oder negative Glaubenssätze sein. Häufig folgt eine Erschöpfung der Nebennieren. Das Gefühl eines Burnouts macht sich bemerkbar. 

Stress ist auch ein wichtiger Faktor bei Krebserkrankungen. Wenn in unserer hektischen Leistungsgesellschaft unser ANS stetig in Alarmbereitschaft ist, stehen die Reserve- energien nicht mehr zur Verfügung, wenn sie wirklich gebraucht werden. Wie stark Angst das Denkvermögen beeinflusst und irrationale Entscheidungen getroffen werden, sehen wir auch wieder am Beispiel der Corona-Grippe. Doch es gibt Lösungen. Also: Wenn Ihnen das Wasser bis zum Halse steht, lassen Sie den Kopf nicht hängen.

Der Begründer des Lachyoga, Dr. med. Madan Kataria, sagte: «Lebensqualität hängt nicht davon ab, wie viele positive Dinge uns im Leben wiederfahren; sie hängt davon ab, was wir tun, wenn uns negative Dinge widerfahren.»

So ist es ratsam, sich rechtzeitig über die Signale des Körpers Gedanken zu machen. Der Körper hat nicht die alleinige Entscheidungsbefugnis, er reagiert auf unsere Gedanken, unsere innere und äussere Haltung. Als mentale Notbremse dient uns die Frage: «Ist mein Leben akut bedroht?» In 99 Prozent der Fälle dürfte das nicht der Fall sein. Das heisst: Tief ausatmen und Schultern wieder hängen lassen bzw. bewusst nach unten ziehen. Warten, bis der Impuls zum Einatmen von selbst kommt, und nach dem Einatmen wieder tief ausatmen und auf den Einatmungsimpuls warten. Während wir das zehnmal machen, zaubern wir uns ein Lächeln auf die Lippen (auch wenn wir nichts zu lachen haben – das Hormonsystem reagiert trotzdem positiv darauf). Mit diesen drei Massnahmen können wir Stresssymptomen jederzeit und überall die Stirn bieten.

Für unser ANS stellt es auch Stress dar, wenn wir nicht in der Gegenwart weilen. Stellen Sie sich eine Antilope an der Wassertränke vor. Wenn sie darüber sinniert, was sie in der Vergangenheit hätte besser machen können, oder wenn sie darüber grübelt, ob es morgen wohl auch noch Wasser haben wird, hört sie den Tiger nicht kommen. Nur in der Gegenwart ist sie achtsam und würde den Tiger sehen, hören oder riechen. Allein im Hier und Jetzt kann unser System befreit von Stress sein. Achtsamkeit, Dankbarkeit, Wertschätzung, all das bringt uns in die Gegenwart, entspannt. Universitäre Studien zeigen die Vorteile von Dankbarkeit auf:

  • Robuster gegen Stress
  • Hilft bei Schlafstörungen
  • Hebt Zufriedenheitsniveau um 25 Prozent (Glücksdroge)
  • Kann bei leichten bis mittelschweren Depressionen oder Angststörungen Antidepressiva ersetzen
  • Grübler und Sich-Sorger werden gelassener
  • Kann Depressionen, Süchten, Angst- und Panikerkrankungen vorbeugen und posttraumatischen Stress lindern

«Nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind.»

Nicht nur das Lachen, auch singen, oder schon summen hat eine ähnliche Wirkung. Wer als Zeichen des Glücks lachend und singend durch die Welt geht, empfindet weniger Stress. Francis Bacon pflegte zu sagen: «Nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind.»

Wie oft benutzen Sie den Begriff «hurti»? Oder gar gesteigert «hurti schnäll»? Damit induzieren Sie dem Körper Stress. Indem Sie den Sprach- satz verändern, kann Ihr Körper gelassener bleiben. Als erster Schritt gilt es, sich bewusst zu werden, wie oft wir diesen Begriff benutzen. Erst dann ist es möglich, ihn auch zu verändern. Sagen Sie anstelle von «Ich gehe noch schnell einkaufen» einfach nur «Ich gehe noch einkaufen». Die Steigerung wäre dann: «Ich gehe noch gemütlich einkaufen.» Diese Übung kann Ihnen nachhaltig helfen, Ihr Leben zu entschleunigen und weniger Stress zu empfinden.

Eine andere Anwendung: Essen wir in Hektik, haben wir zu wenig Verdauungssäfte. Das Tischgebet bringt uns durch die Dankbarkeit in die Gegenwart. Erst so können wir die Lebensmittel richtig verdauen. Viele gläubige Menschen finden Halt bei Gott. Mit Gottvertrauen lässt es sich viel entspannter leben. 

Oft empfinden wir Stress, ohne dass wir das Adrenalin über eine körperliche Aktivität wieder abbauen. Der Kampf mit oder die Flucht vor dem Tiger fehlt. Insofern dient fast jegliche Art der Bewegung dem «Entstressen». Studien zeigen zum Beispiel auf, wie schädlich sitzendes Arbeiten ist. Pro acht Stunden braucht es eine Stunde mässigen Sport, um die Schäden zu kompensieren. Aber auch Achtsamkeitsübungen wie das Barfusslaufen und die Kneipp’schen Wechselgüsse – wenn wir es bewusst machen – senken den Stresslevel. Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation, Biofeedback-Übungen und vieles mehr kann uns helfen.

Wie Sie sicherlich erkannt haben, sind es nicht Medikamente, sondern die Arbeit an uns selbst, die inneren Ressourcen, welche die Stressresilienz, also die Widerstandskraft bei Stress, verbessert. Besonders anfällig auf Stress sind daher Menschen, die perfektionistisch veranlagt sind. Hier hilft das Motto: «Weniger ist mehr.» Dem interessierten Leser empfehle ich den praktischen Ratgeber des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. Raphael Bonelli, «Perfektionismus – wenn das Soll zum Muss wird».

Je nach Temperament sind es aber andere Dinge, die uns in Stress versetzen. Der grosse Schweizer Psychologe Prof. Dr. Max Lüscher hat einen Farbtest entwickelt, mit dem man die Selbstgefühle und möglichen Ängste eruieren kann. Er zeigt auf, welche Temperamente im Menschen dominant und welche im Mangel sind. Fehlt der Anteil eines Temperaments, führt dies zu:

  • Angst vor Zwang – man fühlt sich in den Ansprüchen eingeengt.
  • Angst vor Hingabe – man fühlt sich nicht befriedigt, entbehrt.
  • Angst vor Misserfolg – man fühlt sich bedrängt, überfordert.
  • Angst vor Verlust – man fühlt sich unsicher oder ist besorgt.

Wer sich im Kreis dreht, dem sei der Gang zum Seelsorger, Psychologen oder Arzt bzw. Heilpraktiker mit Erfahrung in psychosomatischer Medizin empfohlen. Übrigens: Wussten Sie schon, dass man Stress messen kann? Das ist zum Beispiel möglich über spezielle kinesiologische Tests oder die medizinische Messung der Herzkohärenz – eine spezielle Form des EKGs (Elektrokardiogramm). Aber auch im Labor können wir Hinweise auf Stress bestimmen. Das geschieht über Blut und Speichel mit den Werten von oxidativem und nitrosativem Stress, dem Cortisol-Tagesprofil oder auch der Mitochondrien-Diagnostik. Damit werden nicht nur die oben aufgeführten Anti-Stress-Massnahmen messbar, sondern auch die Wirkung von Pflanzen auf das ANS. Diese können wichtige Begleiter sein, während wir lernen, besser mit den stressauslösenden Faktoren umzugehen. Hier eine kleine Auswahl aus der westlichen Naturheilkunde:

  • Johanniskraut: Vermittelt Nervenkraft und innere Stabilität.
  • Zitronenmelisse: Fördert entspannende Besänftigung, Weichheit und Milde.
  • Passionsblume: Schenkt Herzensruhe und lässt uns im Einklang mit uns selbst sein.
  • Hopfen: Bietet Fröhlichkeit, Leichtigkeit und Innehalten. Gelber Enzian: Hilft emotionale Belastungen besser zu überwinden und verdauen.
  • Lavendel: Führt zur Klärung und Bereinigung von Unruhezuständen.
  • Orangenblüte: Unterstützt das Hineingleiten in einen entspannten Schlaf.
  • Engelwurz: Führt uns aus der Schwäche, Angst und Mutlosigkeit heraus.

«Da es sehr förderlich für die Gesundheit ist, habe ich beschlossen, glücklich zu sein.»

Wenn Jemand durch anhaltenden Stress bereits in der Erschöpfung ist, kann die Auswahl fallen auf:

  • Rosenwurz: Schenkt neue Kraft und Mut zum Leben.
  • Safran: Lässt die Freude am Leben wieder aufkeimen.
  • Ginseng: Verbessert die Konzentration und Stressresistenz.
  • Rosmarin: Erweckt das erloschene «innere Feuer», die verlorene Motivation.

Heilpflanzen sollten nicht wild durcheinander gemischt, sondern sinnvoll aufeinander abgestimmt sein. Drogisten und Heilpraktiker erstellen dazu individuelle Rezepturen.

Übung zur Entspannung

Nehmen Sie sich drei Minuten Zeit.

Stufe 1
Legen Sie die Hand auf den Brustkorb und spüren Sie, wie er sich beim Ein- und Ausatmen wölbt und wieder senkt – ohne den Atemrhythmus zu beeinflussen, einfach nur wahrnehmen. Wenn Ihnen das gut gelingt, bemerken Sie schon, wie der Atemrhythmus sich verlangsamt. Dann können Sie die nächste Stufe anhängen.

Stufe 2
Diese Übung ist etwas abstrakt und verlangt ein gutes Vorstellungsvermögen. Beginnen Sie mit Stufe 1 (zirka eine Minute). Stellen Sie sich jetzt vor, wie Sie mit jedem Wölben und Senken des Brustkorbs durch das Herz ein- und wieder ausatmen. Damit verbessert sich Ihre Herzkohärenz. 

Stufe 3 
Hierfür braucht es ein wenig Vorbereitung. Nehmen Sie einen Stift und ein Blatt Papier. Schreiben Sie nun die Momente im Leben auf, in denen Sie sich geborgen, sicher, dankbar, geliebt gefühlt haben. Wählen Sie dann aus dieser Liste eines der Erlebnisse für die Übung aus. Sie beginnen mit Stufe 1 und 2 (zirka 1 Minute). Stellen Sie sich jetzt vor, wie Sie die ausgewählte Erfahrung durch das Herz ein- und wieder ausatmen. Lassen Sie die positiven Gefühle nochmals in Ihnen hochkommen, während Sie jetzt ganz in der Gegenwart ruhen.

Machen Sie diese Übungen lieber mehrmals täglich in kurzen Sequenzen als einmal in längerer Abfolge. Täglich mehrere kleine Dosen wirken auf Dauer intensiver als eine einzige Grossportion. Mit der Zeit brauchen Sie nur tief auszuatmen und an das Ereignis zu denken, um sich sofort entspannt zu fühlen. Geniessen Sie jetzt die Gegenwart, hier findet das Leben statt!