Frühlingswalk auf den Harder
Frühlingswalk auf den Harder
Ein fantastisches Bergpanorama geniesst man auf dem Hausberg von Interlaken, dem Harder Kulm. Wenn man sich für den Aufstieg zu Fuss anstatt mit der Harderbahn entscheidet, wird das Erlebnis noch grösser. Ein beeindruckender Aussichtspunkt beim Aufstieg hoch über dem Tal ist auch die Falkenfluh.
Text: Patrick Leuenberger | Fotos: Annette Weber
Die spektakuläre Kulisse rund um die Schwemmebene zwischen Thuner- und Brienzersee, auch «Bödeli» genannt, ist alles andere als ein Geheimtipp. Rundherum präsentieren sich die Berge der Berner und Emmentaler Alpen in ihrer atemberaubenden Grösse. Zwischen den zahlreichen Bergmassiven, von denen viele ihn überragen, wirkt der Harder Kulm gar nicht so gewaltig. Trotzdem sollte man für den Aufstieg die guten Wanderschuhe mitbringen, denn die rund 750 Höhenmeter bis zum Panorama-Restaurant sind nicht zu unterschätzen. Selbst für geübte Berggänger kann das stellenweise recht anspruchsvolle Gelände eine Herausforderung darstellen. Doch wer sich dem Harder Kulm stellt, wird reich dafür belohnt.
Streng genommen ist der Hausberg Interlakens, der Harder Kulm, gar kein Berg, sondern lediglich der westlichste Teil des etwa 30 Kilometer langen Harder-Gebirgszuges. Nachdem der hier einheimische Alpensteinbock am Anfang des 20. Jahrhunderts durch Jagd und Krankheit beinahe ausgestorben war, wurde 1914 in der Nähe der Talstation der Harderbahn ein Wildpark errichtet. Die dort gezüchteten Tiere konnten erfolgreich wieder auf dem Hardergrat ausgesetzt werden und führten dazu, dass sich die Wildbestände erholt haben. Heute kann man den Steinböcken also, mit etwas Glück, wieder in freier Wildbahn begegnen. Wer die imposanten Tiere einmal von ganz nahe betrachten möchte, hat dazu im heute noch aktiven Wildpark die Gelegenheit.
Es geht bergauf
Der Aufstieg zum Harder Kulm beginnt bei der Talstation der Harderbahn, von wo aus ein stellenweise sehr steiler Wanderweg durch den Bleikiwald zur Falkenfluh führt. Dort, direkt über der Stirn des Hardermannlis, finden wir einen genialen Aussichtspunkt, von dem aus man über die Weiten des Bödelis auf die sich dahinter auftürmenden Berner Alpen blickt. Nach der Falkenfluh führt uns ein gut befestigter Bergweg weiter nach oben. Während dieses Wegabschnitts liegen der Thunersee und der unverkennbar pyramidenförmige Niesen direkt im Sichtfeld der Wandernden und ziehen alle Blicke auf sich.
Was den Aufstieg zu etwas Besonderem macht, ist der allmähliche Perspektivenwechsel. Mit jedem Höhenmeter steigt auch die Begeisterung. Schritt für Schritt kommen uns die Berge entgegen und je näher wir diesen kommen, desto weiter öffnet sich unter uns das Bödeli. Immer prächtiger strecken sich dahinter Eiger, Mönch und Jungfrau in die Höhe. Die Wanderung, und mit ihr die Aussicht, erreicht schliesslich beim Panorama-Restaurant Harder-Kulm ihren Höhepunkt. Für die Schwindelfreien gibt es dort zudem eine Aussichtsplattform, auf der man fast schon über die weite Ebene hinaushängt und die märchenhafte Region in voller Pracht unter sich bestaunen kann. Dieser Aussichtspunkt auf 1322 Metern über dem Meer ist das klare Highlight des Ausflugs. Falls Sie nach den knapp drei Stunden, die man ungefähr bis zum Panorama-Restaurant einplanen sollte, erstmal genug gewandert sind für einen Tag, befindet sich gleich daneben die Bergstation der Harderbahn, mit der Sie bequem zum Ausgangspunkt in Interlaken Ost zurückfahren können.
Das Hardermannli
Schon seit Jahrhunderten erweckt der Harder Aberglauben und Ehrfurcht in den Menschen vom Bödeli. Dafür ist sicher nicht zuletzt das «Hardermannli» verantwortlich: Wenn man von Interlaken aus den Harder betrachtet, entdeckt man knapp 200 Meter unterhalb des Gipfels einen Felsabbruch, der das riesige Gesicht eines Mannes mit Schnauzer zeigt. Die Legende besagt, dass ein Mönch hoch auf dem Harder einem Mädchen aus Unterseen begegnete und ihm nachstellte. In seiner Angst sprang das verfolgte Mädchen daraufhin in den Abgrund und verlor dabei sein Leben. Als Strafe für diese Untat wurde der Mönch vom himmlischen Richter in Stein verwandelt, verflucht dazu, Jahrtausende lang zur Stelle seines Verbrechens hinunterzuschauen.
Die Sage vom Hardermannli ist bis heute tief im kulturellen Gedächtnis der Interlakner Bevölkerung verankert. Jedes Jahr am 2. Januar findet dort die «Harder-Potschete» statt, bei der sich Menschen mit Holzmasken und Kostümen als Waldgeister verkleiden und gemeinsam mit dem Hardermannli durch die Strassen ziehen. Nach dem Umzug machen die erwachsenen Teilnehmer den sogenannten «Pintenchehr» und begeben sich in die Wirtshäuser, wo die furchterregenden Masken allmählich verschwinden. Der Name dieses Brauchtums leitet sich übrigens von den im Dialekt «Potschen» genannten Schweineblasen ab, die früher von den Metzgern für die Buben aufgeblasen und bereitgestellt wurden, die damit wahllos auf Opfer eindreschten. Die Schläge mit den Potschen sind zwar nicht schmerzhaft, trotzdem trauert wohl niemand dieser ausgestorbenen Tradition nach.
Die beste Jahreszeit zum Wandern
Im Mai ist die Wanderung auf den Harder Kulm besonders lohnenswert. Die Wärme des Frühlings hüllt das Tal bereits in saftiges Grün, während die dicke Schneeschicht des Winters noch immer auf den Bergen liegt. So findet ein aussergewöhnliches Farbenspiel zusammen: Das klare Blau des wolkenlosen Himmels geht über in die schneeweissen Berge, darunter zuerst die Tannen in dunklem Grün, gefolgt von den hellgrünen Matten. Schliesslich glänzen die beiden Seen kristallblau dem Himmel entgegen. Die Farben harmonieren in einem wunderbaren Kontrast und präsentieren die Natur des Berner Oberlandes in ihrer unvergleichlichen Schönheit.
Bereits seit über 100 Jahren ist die Harderbahn in Betrieb und überwindet auf ihrer knapp 1,5 Kilometer langen Strecke Neigungen von bis zu 64%. Zwar wurde die Bahn 1966 grundlegend modernisiert, der Pavillon der Talstation ist aber bis heute fast unverändert so erhalten geblieben, wie er 1908 ursprünglich erbaut worden war. Viele nutzen die Harderbahn, um von der Bergstation aus ihre Wanderungen anzutreten. Zum Beispiel bietet sich dafür der gut eine Stunde dauernde Harder Kulm-Rundweg an, wenig anspruchsvoll, aber wunderschön. Für besonders ausdauernde Wanderer könnte es sich durchaus empfehlen, den Rundweg mit dem Aufstieg zu verbinden.
Wenn man auf die Bergbahn verzichtet und zu Fuss hinauf wandert, bekommt man genau das, was der Name bereits suggeriert: Was man vor sich hat, ist ein Harder Aufstieg. Es ist jedoch ganz klar im positiven Sinne als Herausforderung zu verstehen, denn der Marsch hält einiges bereit, was Ihnen die Harderbahn nicht bieten kann. Zum Beispiel eine Sichtung von tierischen Bergsteigern in freier Wildbahn wie Gämsen, Murmeltieren oder Steinböcken. Die schönste Aussicht mag man auf dem Gipfel finden, doch ist es das Gesamterlebnis, das die Wanderung so lohnenswert macht. Nicht nur bei den Aussichtspunkten wie der Falkenfluh, denen man unterwegs begegnet, lohnt es sich kurz innezuhalten. Je höher man steigt, desto schöner wirkt die ohnehin unvergleichliche Landschaft, der langsame Wandel der Perspektive macht die Erfahrung vollkommen.
Die Wärme des Frühlings hüllt das Tal bereits in saftiges Grün, während die dicke Schneeschicht des Winters noch immer auf den Bergen liegt.
Der Marsch hält einiges bereit, was Ihnen die Harderbahn nicht bieten kann. Zum Beispiel eine Sichtung von tierischen Bergsteigern in freier Wildbahn wie Gämsen, Murmeltieren oder Steinböcken.