«Nights in White Satin…»
«Nights in White Satin…»
Für Skifahrer ist es selbstverständlich, dass die Pisten am Morgen optimal präpariert sind. Für die Pistenverantwortlichen ebenfalls. Über die Arbeit, die dahintersteckt, machen sich die wenigsten Gedanken. Wir begleiten Bernhard Tschopp im Skigebiet Beatenberg- Niederhorn am Steuer eines PistenBully 400W
Text & Fotos: Thomas Bornhauser
In der Dunkelheit kommt mir plötzlich dieser Song der «Moody Blues» in den Sinn: «Nights in White Satin» – Nächte in weissem Satin. Und tatsächlich: In der Dunkelheit ist im Lichtkegel der starken Schweinwerfer nichts anderes als Weiss zu sehen.
Berge versetzen
Weshalb spricht heute noch eine Mehrzahl der Leute von einem «Ratrac», wenn von einem Pistenfahrzeug die Rede ist, obwohl hierzulande der PistenBully längst zum Inbegriff der Technik geworden ist? Bernhard Tschopp schmunzelt: «Vermutlich weil damals die ersten Pistenfahrzeuge von Ratrac kamen, deshalb hat sich der Name eingeprägt.»
Bevor wir näher auf die Arbeit eines Pistenfahrzeuglenkers eingehen, sollen zuerst einige Angaben zum Fahrzeug und dessen Technik gegeben werden (siehe Seite 96), denn ein PistenBully ist weit mehr als bloss eine Maschine, die über den Schnee gleitet. Bei seiner Fahrt schiebt ein Pistenfahrzeug Schnee vor sich her und gleicht damit Unebenheiten im Gelände oder braune Flecken aus. Dank seiner in alle Richtungen drehbaren Schaufel kann es im wahrsten Sinne des Wortes Berge versetzen, nämlich frühzeitig angelegte Schneedepots, die später auf die Pisten geschoben werden, um die Schneedecke zu verstärken. Gleichzeitig wird der Schnee durch das Gewicht des PistenBullys verdichtet und mit einer Nachlauffräse verfeinert, bevor der Abschlussteppich die typischen Längsrillen in den Schnee zeichnet. Die Verdichtung des Schnees ist unerlässlich, damit die Skipiste so lange als möglich befahren werden kann.
Auf gewissen Pistenabschnitten befestigt Bernhard Tschopp die Seilwinde des PistenBully an genau festgelegten Orten. Eine Sicherheitsmassnahme im steilen Gelände, um ein Abrutschen des Pistenfahrzeuges zu verhindern? Mitnichten. Das Pistenfahrzeug kann durch seinen niedrigen Schwerpunkt und die grosse Auflagefläche zwar sehr steile Stellen bewältigen, die Seilwinde indes – deren Brems-, respektive Zugkraft individuell eingestellt werden kann – unterstützt den Fahrer bei seinen Bemühungen, grössere Schneemengen optimal zu verteilen oh- ne wegzurutschen, bei gleichzeitiger Schonung des Untergrunds.
Heizbare Scheiben und… Scheibenwischer
Während unseres Besuchs herrschte Bilderbuchwetter, wie die Fotos beweisen. Wenn man nun weiss, dass die Pisten jede Nacht präpariert werden müssen – denn nur eine präparierte Piste gilt offiziell auch als geöffnet –, so fragt man sich, welche Witterungseinflüsse Fahrten verhindern könnten. Die Antwort erstaunt den Laien: «Wir fahren bei jedem Wetter», sagt Bernhard Tschopp, «das Schlimmste ist aber der Nebel, wenn man praktisch nichts mehr sieht.» Und spätestens jetzt zeigt sich, wie wichtig es ist, dass der Fahrer das Gelände wie aus dem Effeff kennt. Was aber, wenn man wegen des Nebels keine zehn Meter weit sieht? In jenem Fall wartet man auf die Dunkelheit, denn das Scheinwerferlicht durchdringt den Nebel, zudem stehen am Pistenrand Markierungsstangen, die das Licht reflektieren. «So geht es einigermassen, es gilt aber, volle Konzentration zu zeigen.» Keine einfache Sache, wenn man weiss, dass die Präparierung von insgesamt 12 Kilometer Pisten, drei Kilometer Schlittelwegen sowie einem Dutzend Kilometer Winterwanderwegen auf Beatenberg und Niederhorn bis zu fünf Stunden beansprucht. Pistenfahrzeuge lenken ist also alles andere als eine 08/15-Arbeit. «Die Arbeit ist erst dann erledigt, wenn die Pisten präpariert sind», stellt unser Fahrer fest. Will heissen: Es ist nicht ausgeschlossen, dass es bei schlechten Bedingungen Mitternacht wird, bevor der Feierabend ansteht. Der Innenraum des PistenBully 400 erinnert an ein Flugzeug-Cockpit, ausgestattet mit modernsten Instrumenten. Die Kabine kann «bis-zum-geht-nicht-mehr» aufgeheizt werden, wie Bernhard Tschopp lachend feststellt. Heizbar sind nicht bloss die Scheiben, sondern – mit Warmwasser – sogar die Scheibenwischer, denn bei Temperaturen von bis zu minus 20 Grad wäre im Schneegestöber sonst bald gar nichts mehr zu sehen.
Joysticks und Schlittler
Einzig mit einem Joystick – bekannt von Spielkonsolen oder Flugsimulatoren – werden die verschiedenen Schwenkbewegungen der mehrteiligen Schaufel ausgeführt. Wer Bernhard Tschopp bei seiner Arbeit beobachtet, kommt aus dem Staunen nicht heraus: Es sieht aus, als ob der Hebel in direkter Verbindung mit seinem Hirn stünde. Alle Manöver geschehen automatisch, ohne sichtbares Überlegen: vorwärts, rückwärts, links, rechts, heben, senken, neigen, schwenken. Mensch und Maschine in totaler Übereinstimmung. Tschopp hat ein untrügliches Gespür für das Gelände, den Schnee und das Auge für das Machbare. Ab und zu fährt er während seiner fast fünf Stunden dauernden Schicht eine Stelle mehrfach vor- und rückwärts an, bis er mit dem Resultat zufrieden ist, das klobige Gefährt immer zentimetergenau steuernd. Unglaublich.
Wann werden die Pisten in der Regel präpariert, gegebenenfalls auch während des Tages? «Nein», kommt die kategorische Antwort, «das ist zu gefährlich, denken Sie nur, was passieren könnte, wenn jemand das Windenseil nicht sieht. Wir gehen nur nach Pistenschluss ins Gelände.» Eine klare Ansage. Was aber, wenn Unvorsichtige verbotenerweise lange nach Pistenschluss eine letzte Abfahrt wagen? Bernhard Tschopp: «Unsererseits haben wir alle Vorsichtsmassnahmen vorgekehrt, tun das Menschenmögliche, um Zwischenfälle zu vermeiden, alles andere liegt ausserhalb unseres Einflussbereichs.»
Eine aussergewöhnliche Herausforderung sind die vielen Schlittenfahrer im Skigebiet, bei denen Mondscheinabfahrten sehr beliebt sind. Bei solchen Gelegenheiten bleibt die Schlittelpiste von 17 bis 18 Uhr für die Präparierung gesperrt, damit auch im Dunkeln optimale Verhältnisse geboten werden können. Wie wichtig die Kommunikation unter den Teammitgliedern ist, beweist ein Funkgespräch während unserer Reportage: «Alle Streckenarbeiter müssen ihre Abschnitte freigeben und melden, bevor wir die Schlittelbahn eröffnen können.»
PistenBully 400W
Der PistenBully 400W von Kässbohrer aus Laupheim (D), der in dieser Reportage beschrieben wurde, ist eines von drei Pistenfahrzeugen auf dem Beatenberg-Niederhorn. Für Wander- und Schlittelwege kommt ein kleinerer PistenBully zum Einsatz, zudem steht dem Team um Bernhard Tschopp das «gelbe Grosi» für Spezialeinsätze zur Verfügung, ein Bombardier der älteren Generation.
Der PistenBully 400W, 2008 angeschafft, wird von einem Sechszylinder-Dieselmotor mit 8,9 Liter Hubraum angetrieben und wiegt elf Tonnen. Er hat eine Seilwinde mit einem Seil von einem Kilometer Länge. Pro Stunde verbraucht er zwischen 25 und 30 Liter Kraftstoff. Gesamtbreite: 5½ Meter. Länge: 9 Meter. Kostenpunkt: über 400000 Franken.
Naturschneepisten und Administration
Welche Fähigkeiten sind zum Führen ei- nes Pistenfahrzeuges erforderlich? «Wissen Sie, der PistenBully ist im Prinzip wie ein Auto zu fahren, man braucht dazu lediglich einen gewöhnlichen Führerausweis, die Bedienungselemente kann man erlernen», sagt der Betriebsleiter. Zum Beispiel während eines fünftägigen Theoriekurses von «Seilbahnen Schweiz» im Ausbildungszentrum Meiringen. Aber: «Die Praxis kann man sich nur im eigenen Gelände aneignen, dazu bilden wir neue Fahrer im Detail aus.»
Was zeichnet den guten Pistenpräparierer aus? Erfahrung, Erfahrung, Erfahrung… Und das ist weit mehr als nur die technische Bedienung des Raupenfahrzeugs. Geländekenntnisse – aus den bereits erwähnten Gründen – sind eine Grundvoraussetzung, aber auch Erfahrung mit den lokalen Witterungsverhältnissen, schliesslich ist Schnee nicht gleich Schnee – und schon gar nicht gleich Eis. «Mir scheint, dass wir diesbezüglich oftmals fast zu viele Informationen
haben», sagt Bernhard Tschopp nachdenklich, «hilfreicher ist es da manchmal, den Riecher für das Wetter zu haben, das Bauchgefühl.» Apropos Schnee: Das Skigebiet Beatenberg-Niederhorn kennt keinen Kunstschnee, auch wenn dadurch die Wintersaison kürzer ausfällt als andernorts. Die Besucher aber wissen das auch zu schätzen, schliesslich ist man in Sachen Naturschutz sensibler geworden.
Wie verbringt Bernhard Tschopp seine Zeit im Cockpit, wenn er nicht gerade mit den Fragen eines Beifahrers beschäftigt ist? Manchmal hole auch ihn der Zeitgeist ein, der Wille, alles zu kontrollieren und zu analysieren: «Als Betriebsleiter habe ich es vermehrt mit Administrativem zu tun, mit Bürokram, bei dem ich mich oft frage, ob er etwas bringt ausser Aufwand. Im PistenBully kann ich mich bestens erholen, runterfahren, so allein in der Natur.»
Wir haben davon gehört, dass die Pistenpräparierung durch die beiden PistenBullys nach Pistenschluss erfolgt. Was aber, wenn nachts viel Schnee fällt? Die Antwort kommt nicht überraschend: «Dann müssen wir um vier Uhr nochmals raus, damit fünf Stunden später die Pisten so gut präpariert sind, wie in einem solchen Fall möglich.» So einfach ist das. Kein Job für Bürokraten.
Südkoreaner und Wiederholungen
An einem schönen Tag transportiert die Beatenberg-Niederhorn-Bahn über 1000 Leute bergwärts, neuerdings auch vermehrt Gäste aus Südkorea, die die atemberaubende Aussicht auf Eiger, Mönch und Jungfrau bewundern wollen (auch dann, wenn es wegen schlechten Wetters nichts zu sehen gibt). «In ihrem Reiseprogramm steht ‹Niederhorn› drin, das wird dann auch ganz programmgemäss durchgezogen, obwohl der Aufenthalt nur eine knappe halbe Stunde beträgt», sagt Bernhard Tschopp. Macht das schlechte Wetter einen Strich durch die Rechnung, erhalten die Gäste aus Fernost Postkarten und andere Aufmerksamkeiten, um sie für das entgangene Panorama zu entschädigen. «Niemals habe ich es erlebt, dass des Wetters wegen jemand verärgert gewesen wäre. Im Gegenteil: Sie bedanken und verabschieden sich höflich», freut sich der Berner.
PistenBully-Fahrer
Bernhard Tschopp (47), der Betriebsleiter der Beatenberg-Niederhorn-Bahn, ist verheiratet und wohnt mit seiner Familie in Oberhofen. Sowohl Ehefrau Yvonne als auch Tochter Melinda arbeiten im Unternehmen mit – als Teilzeitangestellte, beziehungsweise während der Ferien bei der Trotti-Vermietung. Das Unternehmen zählt insgesamt 16 Fest- und bis zu 20 Teilzeitangestellte. Der gelernte Lastwagenmechaniker ist seit 22 Jahren bei den Bahnen angestellt. Er war in verschiedenen Funktionen tätig, seit 1999 zählt er zu den Pistenfahrern im Gebiet Beatenberg-Niederhorn, von denen es heute fünf gibt.