Ein halbes Leben für Kürbisse

Ein halbes Leben für Kürbisse

Ein halbes Leben für Kürbisse

«Ich weiss von jedem Setzling genau, wo er ist.»

Text: Madeleine Hadorn  |  Fotos: Annette Weber

Jetzt ist gerade ein genialer Moment», sagt Christian Tschanz auf dem kurzen Weg vom Brunnenhof zum Kürbisfeld an diesem kühlen Montagmorgen En- de Juni in Oppligen. Der Westwind weht, die Sicht auf Blümlisalp, Niesen, Nünenen, Gantrisch und Bürglen ist wolkenverhangen. Wir fahren durch eine lichte Allee, gesäumt von hellen Pappeln, die Tschanz einst anpflanzte. Denn jetzt, noch ist es gut sichtbar, tragen die Kürbissetzlinge leuchtend gelbe Blüten, bilden lange, efeuartige Ranken und kleine blass-grüne Früchte. In wenigen Wochen schon wird das weite Feld überwachsen sein. Vor gut anderthalb Monaten wurden die im Treibhaus angezogenen Setzlinge gepflanzt. Die Aussaat erfolgt immer unmittelbar nach den Eisheiligen, nach dem anthroposophischen Aussaatkalender von Maria Thun: An einem einzigen Tag setzt Christian Tschanz mit zehn Helferinnen und Helfern alle 8000 bis 9000 Kürbisse. Wir stehen in einer der mit einem satten Rasenteppich bedeckten Fahrgassen, die die Kürbisbeete voneinander abgrenzen. Links und rechts davon unzählige Kürbispflanzen, akkurat geordnet nach Sorten wie Pink Jumbo Banana, Permanent, Lakota oder Kikuza (moschato China). Die Anordnung entwirft Christian Tschanz jeweils mit Hilfe einer Excel-Tabelle: «So weiss ich von jedem Setzling genau, wo er ist.»

Die Kürbisse liegen auf einer glänzenden, anthrazitfarbenen Folie. Seit rund fünf Jahren arbeitet Christian Tschanz damit. «Eine Folie auf dem Feld, fremdes Material, das den Boden belastet, das war früher ein Schockthema», erinnert er sich. Doch dann fand er diese hauchdünne, aus Maisstärke und Milchsäure gefertigte Folie, die sich durch das UV-Licht und den Regen innerhalb von 90 Tagen selbst abbaut. Unter der Folie ist der Boden vor Erosion geschützt und behält, unabhängig von der Witterung, seine Struktur. Es entsteht kaum Unkraut, das aufwendig gejätet werden müsste. Und unter der Folie ist es konstant 15 Grad wärmer als draussen, was wiederum das Wachstum der Kürbisse begünstigt. «Damit haben wir einen Mehrertrag von rund 40 Prozent», sagt Christian Tschanz, «mit oder ohne Folie, das ist wie Tag und Nacht.»

Eigentlich, sagt Christian Tschanz, wieder zurück am langen Holztisch im grossen, zum Teil mit weissen Stoffbahnen überdachten Innenhof neben dem Brunnen, habe ihm die herkömmliche Landwirtschaft nie gelegen. Doch er wollte auf dem Hof bleiben, und so entschied er sich kurzfristig doch noch für eine Lehre als Landwirt. Als er 1982 «mit gemischten Gefühlen» den elterlichen Hof übernahm, wurden noch Kartoffeln, Getreide und Obst angebaut und Kühe, Mastschweine und Hühner gehalten. 

«Alles begann an einem nebligen Herbsttag am Genfersee.»

Ein paar Jahre später eröffnete er einen Pensionsstall für 18 Pferde und baute die landwirtschaftliche Produktion nach und nach ab. «An einem nebligen Herbsttag vor zwanzig Jahren, es nieselte und war kühl, fuhr ich mit meiner Frau durch ein kleines Dorf in der Nähe von Nyon», erinnert sich Christian Tschanz. Vor den grau verputzten Häusern entdeckten sie leuchtend orange-rote, damals hierzulande noch nahezu unbekannte Kürbisse der Sorte Rouge Vif d’Étampes, kauften zwei davon und stellten sie zu Hause dekorativ neben die Haustür: «Das war der Startschuss.» Christian und Bettina Tschanz machten sich kundig, lasen französische Bücher über Kürbisse und besorgten Samen eben dieser Sorte, Rouge Vif d’Étampes. Zehn im Garten selbst gezogene Kürbisse stellten sie dann, neben den Äpfeln, «aus Gwunder» an die viel befahrene Strasse, die gleich am Brunnenhof vorbeiführt – und verkauften sie sofort für insgesamt 200 Franken. «Und da fragten wir uns: Warum ziehen wir nicht hundert, tausend oder zehntausend Kürbisse?» 

Heute setzt Christian Tschanz Jahr für Jahr tausende Kürbisse – etwa 100 Speise- und 20 Zierkürbissorten – auf dem rund 230 Aren grossen Feld. Die Samen kommen von überall her, vor allem aber aus Laos, Vietnam, China und Japan, bezogen von kundigen Lieferanten aus Basel und Holland. Auf dem Rest des schon lange verpachteten Landes werden im Wechsel der Fruchtfolge Kartoffeln, Zuckerrüben und Getreide angebaut. Und doch ist der Kürbisanbau nebst den Erträgen aus Pacht, Waldwirtschaft und aus der Organisation von Apéros und Geschäftsanlässen nur eines von verschiedenen Standbeinen der Familie Tschanz: Christian Tschanz ist im Nebenamt seit fünf Jahren Gemeindepräsident (parteilos) von Oppligen, Bettina Tschanz arbeitet als Shiatsu-Therapeutin und gibt Qi-Gong- und Tai-Chi-Kurse auf dem Hof. Seit 18 Jahren öffnet die Familie den Brunnenhof jeweils am Bettag für den Kürbismarkt, mit Musik, Brot, Wurst und Kürbissuppe, virtuos gekocht von Adrian Tschanz (siehe Seite 57), dem begnadeten jungen Thuner Koch – und Sohn des Hauses.




Adrian Tschanz – Kochen aus purer Freude

Adrian Tschanz, aufgewachsen auf dem Brunnenhof in Oppligen und 30 Jahre jung, gilt als bester Koch in Thun. Vorher unter anderem in Basel, Salzburg und Sils Maria tätig, arbeitet er seit zwei Jahren im Restaurant Halle 6 in einer alten Fabrikhalle im Thuner Selveareal, direkt an der Aare gelegen. Tschanz kocht in der offenen Showküche mitten im Restaurant, modern und unkonventionell, kombiniert in Olivenöl gegarten Tafelspitz mit Blumenkohlpüree und blauen Kartoffeln, gebackene Zitronenpolenta mit Parmesan oder warmes Rhabarber-Dreiback mit Nussstreusel, Tobleroneglace und Joghurtmousse. Crossover mit regionalen Produkten – Adrian Tschanz kocht frech und wild, mit viel Talent und vor allem aus purer Freude. Doch Tschanz kocht nicht nur in der Halle 6, sondern seit gut einem Jahr auch im Schweizer Fernsehen: Jeweils am Donnerstag um 16.55 Uhr zaubert der junge Koch in der Sendung «Tschanz mit allem» im Kinderprogramm Zambo auf SRF 1 das Wunschgericht eines Zuschauers, kombiniert mit zwei Zutaten seiner Studiogäste, die er vorher nicht kennt. Daraus entstehen oft ungewohnte Kombinationen wie zum Beispiel Mohrenkopf mit Chilinudeln. In der ThunerseeLiebi präsentiert er das Rezept für einen rezenten Kürbiskuchen – rechtzeitig für den traditionellen Kürbismarkt am 20. und 21. September 2014 auf dem elterlichen Hof in Oppligen (siehe Seite 56).





Grossmutter Bethlis rezenter Kürbiskuchen

Zutaten: 1 runder Kuchenteig (30 cm), ausgewallt 

Garnitur: 1 Packung Rohschinken oder Parmaschinken, in Streifen geschnitten 3 EL Oliven ohne Stein, in Scheiben geschnitten frische Cherrytomaten oder eingelegte Tomaten 4 EL geriebener Parmesan 1 rote Peperoni, in dünne Streifen geschnitten

Guss: 1 Tasse Kürbismus (eine mehlige Sorte Kürbis, z.B. Potimarron, Delica, Butternut, im Dampfkochtopf ca. 15–20 Minuten weich gegart und heiss püriert) 2 Eier 2 EL Weisswein 1 Tasse Kaffeerahm (15% Fettanteil) 3–4 EL frische oder getrocknete Gartenkräuter (Schnittlauch, Petersilie, Basilikum, Minze etc.) Salz, Pfeffer aus der Mühle 1 Prise Zucker

Zubereitung: Den Kuchen mit den Garnituren belegen (nach Belieben etwas hinzufügen oder weglassen). Die Zutaten für den Guss gut mixen und über den Kuchen giessen. Den Kuchen bei 200 Grad in der Mitte des Ofens 30–40 Minuten backen. Warm servieren mit einem Salat.