St. Beatus-Höhlen – Kultstätte, Wallfahrtsort, Drachenloch

St. Beatus-Höhlen – Kultstätte, Wallfahrtsort, Drachenloch

St. Beatus-Höhlen – Kultstätte, Wallfahrtsort, Drachenloch

Die Steilklippen, die bei Sundlauenen schroff von den südlichen Abhängen des Niederhornmassivs zur blauen Fläche des Thunersees abstürzen, bergen Magie und Mythos der St.Beatus-Höhlen; ein Naturwunder ohnegleichen. 

Text & Fotos: Andreas Sommer

Aus einer tiefen Kluft unterhalb der Balmfluh strömt ein rauschender Bach und ergiesst sich über mehrere Kaskadenstufen fast 200 m tief in den See hinab. Ein verwunschen anmutender Wald aus Buchen, Stechpalmen und Eiben säumt den Aufgang zur Höhlenstätte und verstärkt den Eindruck eines veritablen Kraftortes. Kaum ein Besucher, der sich in diesem Gelände aufhält, bleibt unbeeindruckt von seiner Ausstrahlung und seiner wohltuenden Ruhe. Der Kontrast der stoischen Felswände und des quirligen, stiebenden Wassers belebt den Geist und verzaubert das Gemüt. Und wer sich durch das hoch gewölbte Höhlentor wagt, taucht erst recht in ein wundersames Reich ein …

Die markante Höhlenquelle bei Sundlauenen mag im Verlauf der Geschichte bereits viele Namen getragen haben. Alte Dokumente sprechen vom Drachenloch am Wendelsee. Heute ist der Ort als St. Beatus-Höhlen bekannt und empfängt zahlreiche Besucher aus aller Herren Ländern. In der wärmeren Jahreszeit nehmen sie wie die Pilger von einst den Aufstieg von der Seestrasse her unter die Füsse und können sich auf einem aufwändig angelegten Steig in das Berginnere hinein begeben. Ob sich diese modernen Wallfahrer bewusst sind, dass sie auf den Spuren einer uralten Tradition wandeln? Dass Menschen schon seit vielen Tausend Jahren diesen Ort immer wieder aufgesucht haben? Dass sich hier im ausgehenden Mittelalter neben Einsiedeln die wichtigste Wallfahrtsstätte der Schweiz befand? 

Eine vorgeschichtliche Kultstätte

Vieles deutet darauf hin, dass die Höhle bereits in vorkeltischer Zeit einen Kultplatz beherbergte. Unsere frühen Vorfahren massen der Signatur der Landschaft eine wichtige Bedeutung zu: Das klaffende Loch in der Felswand über dem See, aus welchem sich der rauschende Bach ergiesst, muss auf sie wie eine Offenbarung numinoser Mächte gewirkt haben. Wo sich Höhlen wie Eingänge auftun, befanden sich nach dem mythologischen Verständnis der alten Europäer Pforten in den Schoss der Mutter Erde. Tief unter der Oberfläche des vertrauten Landes hütete die Grosse Mutter die Geschicke aller Lebewesen. Aus der Tiefe verlieh sie neues Leben. Und in die Tiefe hinab verschluckte sie es wieder. Im Sinne einer solchen Anschauung mag das schäumende Wasser des Höhlenbaches, das aus dem unbekannten Dunkel des Berges unvermittelt zutage tritt, in der Tat wie ein Leben spendender Segen aus dem Leib der Urmutter erschienen sein. Wurde in dieser natürlichen Tempelanlage an der Schwelle zwischen den Welten also bereits in grauer Vorzeit den vergöttlichten Naturkräften gehuldigt? Zahlreiche frühmittelalterliche Gräberfunde im Gelände unterhalb der Balmfluh weisen auf eine alte kultische Bedeutung des Ortes hin. Auch die lokalen Flurnamen Balmfluh und Balmholz unterstreichen die Präsenz einer frühen Sakralstätte. Balmo leitet sich aus dem Keltischen her und bezeichnete ursprünglich ein Heiligtum im Felsen. 

Pilgerwesen und Heiligenkult 

Der heutzutage im Volksmund gebräuchliche Name St. Beatus-Höhlen nimmt diesen Faden wieder auf und führt uns in eine Zeit, in welcher die Höhle Schauplatz eines ausgeprägten Heiligenkultes war. 1231 wurde hier eine Pilgerkapelle erstmals urkundlich erwähnt. Aus dem 15. Jahrhundert ist ein reger Wallfahrtsverkehr am rechten Thunerseeufer verbürgt. Ein Bittgang zum Beatusgrab versprach Gläubigen aus nah und fern Linderung bei mannigfachen körperlichen und seelischen Leiden. Die Beatuslegende ist tief im schweizerischen Überlieferungsschatz verwurzelt: Ursprünglich aus einem edlen irischen Geschlecht herstammend, soll der junge Beatus seine Berufung vom Apostel Petrus selbst empfangen und danach als Glaubensbote zu den galloromanischen Völkern des alten Helvetien entsandt worden sein. Mit seinem Gefährten Justus habe er am Wendelsee (so der alte Name des Thunersees) einen Drachen aus der Höhle vertrieben, wo die Einheimischen einst ihre heidnischen Götzendienste abgehalten hätten. Beatus habe sich in der Folge als Einsiedler bei der aufgelösten Drachenstätte niedergelassen und in der Grottenklause bis zu seinem Tod als weiser Ratgeber gewirkt. Justus sei derweil in ein benachbartes Tal weiter gezogen und habe dort Kranke geheilt und die christliche Botschaft verkündet (der Name des Justistales oberhalb von Merligen soll sich von ihm herleiten). In der Volkssage vermischt sich die kirchliche Legende des Heiligen Beatus mit der archaischen Vorstellung eines gütigen Landesvaters, der im Einklang mit den Kräften von Himmel und Erde dem Wohl der ihm anvertrauten Geschöpfe dient. Die Zwerge, jene uralten Bewohner der Berge und Hüter ihrer geheimnisvollen Schätze, seien der lokalen Sagenüberlieferung zufolge dem Höhleneinsiedler treu beigestanden, hätten ihm ihr Kräuterwissen vermacht und ihn allzeit mit frischer Gämsmilch versorgt. 

Legende oder Wirklichkeit

In vielen Gegenden der Schweiz wurde dem Heiligen Beatus auch nach der Reformation eine starke Verehrung zuteil und er behielt lange Zeit den Status des Schweizer Landesheiligen. Erst im Jahr 1947 wurde Niklaus von der Flüe offiziell dessen Rolle zugesprochen. Über die historische Wirklichkeit eines einsiedelnden Beatus bei der gleichnamigen Höhle streiten sich die Gelehrten allerdings bis heute. Eine rege Verehrung des Heiligen bei der Höhle ist ausgehend vom Mittelalter bis in die Neuzeit unzweifelhaft nachweisbar. Kritische Stimmen wenden ein, dass das Kloster Interlaken die Bedeutung des Wallfahrtsortes aus politischen Erwägungen künstlich aufgebauscht und kurzerhand eine südfranzösische Legende um den Drachenbezwinger St. Beat de Vendôme an den Thunersee verlegt habe. Nicht von der Hand weisen lässt sich die Tatsache, dass urzeitliche Kultstätten im Zuge der Christianisierung oft vereinnahmt, durch die Errichtung von Kapellen und die Umdeutung altüberlieferter Mythenstoffe dem neuen Weltbild angeglichen wurden. So gesehen ist die Legende um den Heiligen Beatus vielleicht nur die christianisierte Fassung eines viel älteren Mythos um die alte Kulthöhle am Thunersee.

Werk des Wassers

Im Verlaufe von vielen Jahrtausenden haben die Erosionskräfte des Wassers ein verschlungenes Labyrinth von Grotten und Gängen aus dem Kalkmassiv des Niederhorns herausgewaschen. Durch Kohlensäure aus der Atmosphäre angereichertes Regenwasser hat den Kalkfelsen nach und nach zersetzt und sich immer tiefer in den Berg hineingefressen. Wo das aufgelöste Kalkmaterial in unterirdischen Hohlräumen wieder ausgeschieden wurde, lagerte es sich in bizarren Formationen an, bildete verspielte Tropfsteingebilde aus oder erstarrte zu buckligen, elfenbeinfarben schimmernden Sinterwänden. Ganze 14 Kilometer sind im System der St. Beatus-Höhlen bis dato erforscht und vermessen worden – und über das Ausmass dessen, was sich dahinter noch verbirgt, kann nur spekuliert werden. Durch diesen verwinkelten Irrgarten unter dem Berg rinnt und fliesst, sickert und tröpfelt das ganze Regen- und Schmelzwasser, das in einem weiten Einzugsgebiet auf der Erdoberfläche niedergeht und durch den zerklüfteten Untergrund verschluckt wird. Diese emsigen Wässer, die den Zwergen aus der Sage gleich unermüdlich in der Felsentiefe schaffen und werken, strömen letztlich im unterirdischen Höhlenbach zusammen und streben als vereinte Flut aus dem Höhlenmund an das Tageslicht zurück, wo sie als Wasserfälle über die Felsen in den Thunersee hinabstieben. 

Irgendwo dort unten, tief verborgen unter dem Seegrund, soll der Drache aus der Sage noch immer schlummern, seit Beatus ihn aus dem Berg vertrieben hat. Ein Kreis scheint sich zu schliessen, wenn die überlieferten Bilder der alten Legenden und Mythen heute im Innern der Höhle wieder in das Bewusstsein der Menschen aufsteigen. Dann verwebt sich die einmalige Landschaft über und unter dem Berg mit den staunenden Empfindungen der Besucher. Und es möchte dem Besucher des 21. Jahrhunderts vorkommen, als würden der Drache und der alte Eremit durch den Berg, durch die tropfenden Steine und durch das rauschende Höhlenwasser immer noch zu den Gästen aus nah und fern sprechen. So wie es an diesem Ort seit tausend und abertausend Jahren geschieht.

«Irgendwo dort unten soll der Drache aus der Sage noch immer schlummern.»

Unser Tipp

Geführte Sagenwanderungen in der Drachenhöhle mit Kerzenlicht 
Ein magisches Höhlenerlebnis versprechen die geführten Sagenwanderungen bei Kerzenlicht, welche ausserhalb der regulären Besuchszeiten in den unbeleuchteten Tropfsteinhöhlen durchgeführt werden.

Der Sagenwanderer Andreas Sommer, professioneller Geschichtenerzähler und Buchautor aus der Region, entführt seine Gäste auf diesen exklusiven Touren in die geheimnisvolle Drachenhöhle aus alter Zeit. In chüschtigem Berner Dialekt erzählt er im Innern des Berges überlieferte Märchen, Mythen und Sagen aus der heimischen Tradition. Das Erlebnis der Höhlenwelt im Licht der flackernden Laternen verbindet sich mit den Bildern, welche die Erzählungen heraufbeschwören, zu einer wahrhaft magischen Reise fernab der vertrauten Wirklichkeit. Die Sagenwanderungen finden das ganze Jahr hindurch einmal im Monat öffentlich statt und können auf Anfrage auch als exklusive Gruppenevents gebucht werden.

Tel. 079 241 68 70
E-Mail info@animahelvetia.ch
www.animahelvetia.ch

St. Beatus-Höhlen

Die grösste begehbare Tropfsteinhöhle des Berner Oberlandes
In der Zeit zwischen Ende März und Mitte November kann die Schauhöhle jeden Tag von 9.30 bis 17.00 Uhr besucht werden. Neu können sich die Besucher wahlweise einer geführten Tour von ca. 75 Minuten Dauer anschliessen oder selbständig durch die Höhle streifen (wobei das Fotografieren gestattet ist). Das kürzlich umgebaute Höhlenmuseum bietet vertiefende Einblicke in die faszinierende Welt der Speläologie. Für Familien mit Kindern ist der neu gestaltete Spielplatz mit Holzburg und Drachenrutschbahn eine ergänzende Attraktion. Für das leibliche Wohl der Gäste sorgen das Restaurant am Höhleneingang und ein Take-Away. Wer gar etwas länger an diesem eindrücklichen Ort verweilen möchte, kann im lokalen B&B nächtigen und der Höhlenwelt auch in den Träumen nahe bleiben.

St. Beatus-Höhlen, Schauhöhle, Museum und Restaurant
Tel. 033 841 16 43, E-Mail info@beatushoehlen.ch, www.beatushoehlen.ch 

B&B beim Waldhaus
Tel. 033 821 24 30, E-Mail info@agis-bnb.ch, www.agis-bnb.ch

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