Mit Takt und Schwung auf den Weiten des Sees
Mit Takt und Schwung auf den Weiten des Sees
Rudern ist das eine – sportlich, diszipliniert oder gemütlich, alleine auf dem Skiff oder auf mehrsitzigen Booten. Paddeln ist das andere – es erscheint lockerer und verspielter. Die Weiten des Sees lassen sich auf beide Arten entdecken.
Text: Thomas Hirt | Fotos: Annette Weber
Die Harmonie und der Schwung, wie Ruderer auf ihren eleganten, filigranen Booten über die Wasserfläche des Thunersees gleiten, sprachen meine Frau Franziska und mich schon immer an. Und unabhängig von einem Ruderverein wollten wir zusammen, aber auch alleine rudern gehen können. Flotte Werbevideos auf Youtube, unterlegt mit süffigen E-Gitarrenriffs, liessen uns eine noch fast unbekannte Bootskategorie entdecken – die Liteboats. Von der Konstruktion her sind es Skiffs mit Rollsitzen und Auslegern, nur viel breiter, kaum kenterbar, anfängertauglich, aber mit etwa 10 km / h doch erstaunlich schnell. Seit einigen Jahren besitzen wir zwei Einer-Liteboats. Per Handwägelchen ziehen wir sie jeweils von unserem nahen Haus zum flachen Ufer am Wallrain beim Schloss Spiez.
«Man hat nie den perfekten Schlag, man ist immer auf der Suche.»
So können wir uns also freuen – bald ist das «Spiezerli» wieder auf dem Thunersee unterwegs. Auf der Website www.spiezerli.ch können Sie sich über den Zeitplan informieren und zusätzliche spannende Informationen zum Dampfer nachlesen. Ausserdem besteht auch immer noch die Möglichkeit, sich durch eine Spende am Projekt zu beteiligen – jeder Franken kann gebraucht werden. Es steht der Thunerseeregion sicherlich gut zu Gesicht, dass ein solches Stück Schifffahrts- und auch Tourismusgeschichte gepflegt wird und nicht finanziellen Überlegungen geopfert wurde. Gute Fahrt!
Tausende Kilometer rudern
Eine halbe Stunde und Dutzende Ruderschläge später. Längst habe ich meinen Rhythmus gefunden. Neben mir ziehen die Häuser des Dorfes Einigen vorbei. Vielmehr ich an ihnen. Mein Auge sucht die weissen Pfosten der Ländte. Gleich davor, auf dem offenen Wasser, habe ich abgemacht – mit dem Ehepaar Regi und Christian Meier. Im Vergleich zu mir sind die beiden knapp über 50-Jährigen geradezu Profis – Christian rudert 1000 Kilometer pro Jahr, Regi jeweils das Doppelte. Im Gegensatz zu mir sind sie in einem Verein, beim Ruder-Club Thun (siehe Kasten). Die Silhouette ihres langen, schmalen Holzbootes auf dem im Gegenlicht glitzernden See ist nicht leicht zu erkennen. Aber plötzlich sind sie da. Die Eleganz ihres rund zehn Meter langen, goldbraun glänzenden Gefährts ist bestechend. Auf ein leises Kommando von Regi halten sie die vier Ruderblätter hochkant ins Wasser. Mit heftigem Rauschen kommen sie neben mir zu stehen.
«Nicht im, sondern auf dem Wasser»
Die beiden haben mir schon viel von ihrem Hobby erzählt. Damals, nach einem Schnupperkurs beim Ruder-Club Thun, hat es Christian «gepackt». Seine Frau Regi, die sich im Wasser «unwohl» fühlt und «höchst ungern» schwimmt, liess sich von seiner Begeisterung anstecken. In einem Einführungskurs realisierte sie: «Rudern findet nicht im, sondern auf dem Wasser statt!» Was ihre Abneigung deutlich dämpfte. Heute sagt sie sogar: «Das Element Wasser beruhigt uns Menschen und tut gut.» Zwei bis drei Ausfahrten pro Woche unternimmt sie, und zwar während des ganzen Jahres. Die beiden sind sich einig: Von Oktober bis März ist es am schönsten. «Das Wasser ist nie so ruhig wie im Winter.» Beide sind jeweils in verschieden grossen Mannschaftsbooten des Ruder-Clubs Thun unterwegs.
Zu Gast bei Clubs im In- und Ausland
«Wanderfahrten» mit Clubmitgliedern auf diversen Seen im In- und Ausland gehören für Meiers dazu – so ruderten sie bereits in Berlin, Freiburg i.Br., auf dem Lago Maggiore, dem Zürichsee, ja einmal sogar auf den Backwaters in Südindien. Hin und wieder sind sie zu Gast bei andern Clubs, oder jene bei ihnen. Eine übliche Trainingsfahrt führt von Thun zum Kraftwerk Spiez oder nach Gunten und zurück – 12 bis 15 Kilometer weit. «Wir schaffen aber auch 40 Kilometer lange Seerundfahrten», berichtet Regi. Auch heute wollen sie noch etwas weiter. Sie rücken ihre Sitze zurecht, richten den Bug ihres Bootes sorgfältig aus. Ihre rhythmischen, klackenden Ruder‑
bewegungen setzen wieder ein. Allmählich entschwinden sie Richtung Spiez.
Schneller dank der Kraft der Ruhe…
Den Bug meines Bootes richte ich nun auf das knapp sichtbare alte Stadion in Thun, ergo das Heck in meinem Blickfeld auf das Morgenberghorn. Wiederum suche ich meinen Rhythmus. Was ist das Geheimnis effizienten Ruderns? Ich erinnere mich an die ersten Ausfahrten mit Franziska. Monatelang war sie schneller, ich konnte ihr nur knapp folgen, was uns beide überraschte. Dabei ruderte sie einen deutlich langsameren Takt und setzte weniger Kraft ein. Mein sportliches Selbstbild war angeschlagen… Regi bestätigte mir später eine Ahnung: «Jede ruckartige Bewegung im Boot wirkt sich bremsend auf den Vortrieb aus», sagt sie. Keinesfalls darf das Heck «stampfen». So lernte ich, die Bewegungen sanfter, runder und sogar langsamer auszuführen, am hinteren Umkehrpunkt des Rollsitzes den Rücken möglichst gerade zu halten, «das Boot unter mir durchgleiten zu lassen», wie es mir ein erfahrener Ruderer mal veranschaulichte. Es wirkte, ich wurde schneller. Das Sprichwort «In der Ruhe liegt die Kraft» gilt ganz besonders fürs Rudern.
Spitzensportlerin Debora Hofer: «Auf der Suche nach dem perfekten Schlag»
Schlag für Schlag ziehe ich am Kanderdelta vorbei, am Ufer leuchten einzelne Sonnenschirme. Vor und zurück rolle ich auf dem Boot, rhythmisch strecke und krümme ich Beine, Rumpf und Arme. «Die Ruder-Bewegung gefiel mir von Anfang an sehr», hat mir die 21-jährige Spitzensportlerin und Medizinstudentin Debora Hofer kürzlich im Klubhaus des Seeclubs Thun erzählt. Erst elfeinhalbjährig war sie, als sie die Sportart eher zufällig an einem Ferienpass-Kurs entdeckte. «Heute begeistert mich das Gleiten des Bootes, wie es unten durchläuft.» Aber: «Man hat nie den perfekten Schlag, man ist immer auf der Suche», gesteht sie. «Den Einsatz zu erwischen, ist nicht einfach.» Debora Hofer hat in der Ruderszene bereits einen klingenden Namen – an den EM 2015 beispielsweise wurde sie in der Kategorie Juniorinnen im Doppelvierer Zweite, an der WM Fünfte, 2017 Dritte im Doppelzweier. All diese Erfolge sind hart erarbeitet: Unglaubliche zwölf Mal trainiert Debora wöchentlich – und führt daneben ihr anspruchsvolles Studium weiter. Jeweils von Donnerstag- bis Sonntagabend hält sie sich im nationalen Leistungszentrum am Sarnersee auf, in einer kleinen Wohnung mit anderen jungen Ruderinnen. Zudem trainiert sie am Bieler- und am Thunersee bei den dortigen Clubs. Obwohl sie in Pohlern im Stockental wohnt, bewältigt sie alle Wege per Bus und Bahn. «Das geht schon, man muss sich organisieren», meint sie bescheiden. Auch daraus ist zu spüren: Selbstdisziplin ist eine zentrale Fähigkeit auf dem Weg zur Spitze.
Die Alternative: Das See-Kajak
Doch es gibt nicht nur das Rudern, das für manche Freizeitsportler etwas Strenges oder gar Martialisches ausstrahlt. Lockerer und leichter scheint das Kajakfahren mit diesen verspielt wirkenden Drehbewegungen des Paddels. Und man fährt erst noch in Blickrichtung. Diese Art der Fortbewegung hat es Eva Klaper angetan. Mit ihr habe ich heute mein zweites Rendez-Vous, sie erwartet mich vor dem Strandbad Thun in ihrem Seekajak. Die 63-jährige Geologin liess sich vor acht Jahren von Regi Meier, damals Arbeitskollegin, fürs Rudern begeistern. Später gab sie dem Seekajakfahren den Vorzug. Spaziergänger sind auf dem Uferweg des Bonstettenparks zu erkennen. Vor den sattgrünen Wiesen des Strandbads, auf denen sich zahlreiche Badegäste tummeln, lege ich die Ruder aufs Wasser, lasse mein Liteboat treiben. «Hallo!», tönt es plötzlich. Und schon bremst Eva Klaper in eleganter Querneigung aus einer Kurve heraus neben mir ab – stilecht in einem schwarz-weissen Dress in einem ebenfalls schwarz-weissen, langen und schmalen See-Kajak, dessen Urahne das Jagdboot der Eskimos ist.
Von See zu See – mit allem Gepäck
Eva Klaper ist durch und durch auf raue und wilde Natur ausgerichtet. «Ich liebe garstiges Wetter sogar», bekundet sie im Gespräch im Gebäude des Kanu-Klubs Thun. Früher war sie passionierte Bergsteigerin und Hochseeseglerin. «Die Kombination Team, Natur und Wetter» hat sie in beiden Sportarten gefunden. Heute ist sie gerne auch alleine unterwegs. Eva Klaper erzählt von mehrtägigen Ausfahrten in Nachbarländern, in Norwegen, Kanada, Wales, auf Spitzbergen. Auf der Oberseite ihres Kajaks sind zwei grosse, kreisrunde Öffnungen mit wasserdichtem Deckel zu erkennen. Unter jedem verbirgt sich ein kleiner Stauraum. «Da hat alles Platz, um eine Woche unterwegs zu sein – Zelt, Schlafsack, Kleider, Kocher, Proviant.» Im Norden fahre sie der Küste entlang von Insel zu Insel oder auch mal von See zu See, «abends lege ich an, koche, geniesse die Abendstimmung und bei klarem Wetter auch mal die Sterne, ohne störendes Licht der Zivilisation». Angst habe sie nie, aber grossen Respekt vor der Natur. Selbst grosse, über einen Meter hohe Wellen bewältige sie furchtlos. «Ich bin schon Windstärke Beaufort 6 gefahren, aber das ist dann vor allem auch harte Arbeit», berichtet sie lächelnd. Zugleich ist Eva Klapers sportlicher Ehrgeiz spürbar. Sie scheint vieles zu wissen übers Kanufahren, über Fahrtechniken, Ausrüstungsdetails oder die Wettkampfszene. Laufend bildet sie sich weiter und legt anspruchsvolle internationale Prüfungen ab.
Auf meinem Rückweg Richtung Spiez begleitet mich Eva Klaper noch bis zum Ende des Bonstettenparks. Grundverschieden wirkt das Bild von aussen: die nach vorne schauende, ihre Paddelenden verspielt kreisförmig schwingende Seekajakfahrerin, der rückwärts fahrende, auf seinem Sitz hin und her rollende, sich streckende und beugende Ruderer. Kaum haben wir uns verabschiedet, raut eine böige Bise die Seeoberfläche auf. Schwierig wird es, die Ruderblätter über die Wellenkämme zu ziehen. Unruhig auf den Wellen tanzend, versuche ich, Fahrt beizubehalten, komme nur halb so rasch voran wie auf dem Hinweg. Zwei Segelschiffe überholen mich locker. In Umkehrung einer alten Weisheit erkenne ich: «Wo man nicht rudern kann, müsste man segeln.» Oder mit einem Seekajak über die Wellen tanzen.
Informationen
Ruder-Club Thun
www.ruderclub-thun.ch
Seeclub Thun
www.seeclubthun.ch
Kanu Klub Thun
www.kkt.ch
Kanu Klub Spiez
www.kanuklubspiez.ch
Kanuweg Thunersee
Miete von Kanadiern:
www.spiez.ch, «Tourismus» –
«Sport» – «Kanuweg Thunersee»
Liteboat-Ruderboote
Vertretung in der Schweiz:
www.smallboats.ch
Der Kanuweg als Einstieg – später privat oder im Verein
Wen es rudernd oder paddelnd auf den Thunersee lockt, dem bieten sich verschiedenste Möglichkeiten: Eine ideale Schnuppermöglichkeit bietet im Sommer eine Fahrt mit einem mehrplätzigen Miet-Kanadier des Kanuwegs Thunersee ab Spiez, Faulensee, Gwatt oder Leissigen. Rudern lernen und ausüben kann man bei einem der beiden Rudervereine in Thun: Der Seeclub Thun auf dem Inseli am Scherzligweg ist etwas mehr auf Leistungssport ausgerichtet, der Ruder-Club Thun am Lachenkanal ausschliesslich auf Breitensport. Der Ruder-Club Thun bietet ebenfalls Schnupperrudern an. Der Kanuclub Thun, gleich nebenan, konzentriert sich aufs Kanufahren auf See und Fluss. Beim Kanuclub Spiez – neben dem Kraftwerk Spiez – liegt der Schwerpunkt heute vor allem auf Fliessgewässern.
Eine weitere Option ist die Anschaffung eines eigenen Ruderbootes oder eines
Kanus.