Optimisten auf dem See
Optimisten auf dem See
Kleine Segelboote schwimmen wie kleine Entenbabys dem grossen Motorboot hinterher. Jeder Handgriff erfordert Konzentration und ein Gefühl für den Wind – Kentern ist aber genauso Teil des Segelns. Trotzdem bleiben sie optimistisch auf ihren Optimisten.
Text: Alice Stadler | Fotos: zvg
Richtig gehört, das kleine Segelschiffchen für Kinder und Jugendliche bis zu 15 Jahren heisst Optimist. Nicht etwa weil das Segeln auch sehr viel mit Willenskraft und Durchhaltevermögen zu tun hat, sondern weil der Name vom heimischen Clubhaus der Erfinder abgeleitet wurde, was nebenbei zum Spitznamen «Opti» führte. Aber beginnen wir zuerst mit etwas Geschichte: Clark Mills, ein amerikanischer Konstrukteur und Bootsbauer, entwarf zusammen mit seinem Freund Major Clifford McKay um 1947 ein simples Kinderboot. Die Grundinspiration war es, eine Seifenkiste fürs Wasser zu bauen – herkömmliches Material, leichte Bedienung und in der Grösse für Kinder gemacht. Dahinter verbarg sich vor allem ein finanzieller Grund, denn Sponsoren zahlten damals 50 US-Dollar (heute 1200 Franken) für den Bau einer Seifenkiste. Mit diesem knappen Budget versuchten die beiden, kostengünstig die Wasserseifenkiste zu konstruieren. Deswegen entstand dieser eher flachere, breite Rumpf, auch Prahmrumpf genannt, aus fünf Sperrholzplatten und versehen mit einem Gaffelsegel, einem viereckigen Segel, das unten an einem Baum fixiert wird. Ein dänischer Architekt verfeinerte den Aufbau später mit einem Sprietsegel, wobei eine sogenannte Spiere vom Mast abgespreizt ist, woran das Segel befestigt wird. Der Optimist segelte bald über die ganze Welt und wurde 1973 als internationale Bootsklasse anerkannt. Der heutige Optimisten-Rumpf besteht meistens aus glasfaserverstärktem Kunststoff und nur noch ganz selten aus Sperrholz. Er hat ein Schwert und ein Rigg, das ist die Ausstattung des Mastes, und ein dazu passendes Segel. Durch das Kennenlernen und Selberaufbauen der eigenen Jolle – einfügen des Steckschwertes, das mehr Stabilität verleiht, das Segel an Mast und Baum wird angebändselt (angebunden), das Spriet gesetzt (Stange, die das Segel strafft) – wird den Kindern bereits die Verbindung zum Boot sowie ein grosses Mass an Autonomie nahegelegt. Denn ein zentraler Punkt, der bei den Segelkursen vermittelt werden soll, ist die Selbstständigkeit, die man erreichen soll, aber auch Teamwork wird vermittelt. Dellen und Beulen an der Jolle gehören dabei auch zum Lernprozess – je nach Material passieren diese schneller. Frontalcrashs kommen auch ab und an vor, jedenfalls zu Beginn, wenn es darum geht, das Steuern zu lernen und das Ruder in den Griff zu bekommen.
Obwohl Segeln durchaus ein Einzelsport ist, wird Teamfähigkeit auch immer wieder verlangt. Nicht nur bei einem Fleetrace, bei dem jedes Boot für sich allein segelt, sondern auch im Teamrace. Ein solches wurde nebst der «normalen» Sommermeisterschaft im letzten Jahr vom RCO organisiert. Dabei segeln vier Boote eines Clubs gegen vier Boote eines anderen, wobei man sich hier im Team helfen darf und so taktisch versiert vorgehen muss.
Hene Keller will den Einsteiger:innen auch nicht die abenteuerliche Seite des Segelns vorenthalten: Wind, Wellen und verschiedene anspruchsvolle Segelreviere lassen der Langeweile keine Chance. Manchmal gesellt sich etwas Angst dazu, aber diese gilt es zu überwinden, um zu sehen, was man eigentlich alles so meistern kann. Eines dieser Reviere wird in der Silser Woche und ein anderes im Davoser Optilager erkundet. Beide haben eine lange Tradition. Die Silser Woche wird im Family-Modus durchgeführt. Da sprechen sich die Familien der Segler:innen ab, wer mit wem reist und bei wem wohnt. Jenes in Davos dagegen ist ein echtes Lager, in dem die Kinder die ganze Woche über von den Lagerleitenden betreut sind. Aber nicht nur Davos und Sils sind sehr interessante Orte. Auch nach Riva del Garda (Italien), Workum (Niederlande) und Cap d’Agde (Frankreich) reisen die Thunersee-«Optis». Damit nicht immer alle Eltern überall mitreisen müssen, gibt es den Teamleader-Modus, bei dem jemand die Reise und Betreuung an Land übernimmt.
So können wir uns also freuen – bald ist das «Spiezerli» wieder auf dem Thunersee unterwegs. Auf der Website www.spiezerli.ch können Sie sich über den Zeitplan informieren und zusätzliche spannende Informationen zum Dampfer nachlesen. Ausserdem besteht auch immer noch die Möglichkeit, sich durch eine Spende am Projekt zu beteiligen – jeder Franken kann gebraucht werden. Es steht der Thunerseeregion sicherlich gut zu Gesicht, dass ein solches Stück Schifffahrts- und auch Tourismusgeschichte gepflegt wird und nicht finanziellen Überlegungen geopfert wurde. Gute Fahrt!
Auch Salvina Fries besuchte einst das Schulsportangebot und fand eine Leidenschaft, die sie heute in den Sommerkursen der Segelschule weitergibt. Innerhalb einer Woche wird dabei den Kindern ab 6 Jahren das Segeln beigebracht – und tatsächlich ist es innerhalb dieser Zeit möglich, die Grundlagen zu erlernen. Voraussetzung ist, schwimmen zu können und mit Regenkleidung, Badesachen, Schwimmweste, Sonnenbrille und -hut ausgerüstet zu sein, dann steht dem Spass auf dem See nichts mehr im Wege. Absichtlich ins Wasser fallen, besonders auch unabsichtlich, kommt immer wieder vor, deswegen ist es von Vorteil, Wechselkleidung mitzunehmen. Eingefleischte Segler:innen, die bei jedem Wetter aufs Wasser gehen, sind mit einem Neopren bis hin zu Trockenanzügen und -schuhen ausgerüstet. Jeweils zwei Stunden am Morgen und zwei am Nachmittag, die gefüllt sind mit dem spielerischen Erlernen des Segelns, fordern die Kinder heraus. Theorieblöcke sind aufgrund des Alters nicht speziell eingeplant, denn wie Salvina selbst sagt: «Selbst für Erwachsene ist die Segeltheorie schwer verständlich bis unverständlich.» Deswegen wird beim «Klar-Schiff-Machen» meist auch anhand eines Rollenspiels eine Situation auf See im Trockenen betrachtet. Die Trainer:innen sind dabei der Wind, der das Segel mit Baum bewegt, während ein Kind versucht, herauszufinden, wie es beispielsweise das Ruder drehen und sich verhalten muss, um den «Opti» zu wenden. Kurz darauf geht es auch schon ins Wasser, um die Trockenübung im Nassen umzusetzen. Das Erste, was man lernt, ist, das Ruder zu bedienen, denn «Segeln ist nicht wie Autofahren; wenn man das Ruder nach links dreht, segelt man nach rechts – und das muss man zuerst einmal begreifen». Dies wird mit Parcoursfahren wie Bojen umsegeln oder Formationsfahren, wenn alle in eine Reihe hintereinander gleiten sollen, geübt. Auch Tennisbällefischen, Baden und absichtliches Kentern gehören zum Programm. Die Trainer:innen sind dabei immer auf einem Motorboot in der Nähe, falls jemand einmal eine Pause braucht, aber auch zur Sicherheit. Ein Highlight ist dabei der Ausflug mit gemeinsamem Grillieren und Segeln am Kanderdelta, der den Abschluss der Woche bildet.
Hene Keller wie auch Salvina Fries betonen den Durchhaltewillen, die Selbstständigkeit, das Teamwork, aber auch das gemeinsame und einzelne Überwinden von Ängsten. Auf See ist man allein in seiner Jolle, wenn man nicht ausnahmsweise einmal zu zweit drin hockt, und muss die Situation, die sich oft auch aufgrund der Witterung von Minute zu Minute ändern kann, irgendwie meistern. Segeln ermögliche den Kindern, unabhängig von ihren Eltern, das eigene Potenzial und die eigene Stärke zu entdecken. Wobei ihnen immer in sicherer Distanz auch Trainer:innen zur Seite stehen. Aber das Hauptziel ist auf jeden Fall der Spass, den man selbst durchs Segeln erfahren hat und tagtäglich versucht weiterzugeben.