Ein unvergessliches  Farbenspiel

Ein unvergessliches Farbenspiel

Ein unvergessliches Farbenspiel

In der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 2024 bot sich in der Thunerseeregion ein Spektakel, das man in unseren Breitegraden nicht allzu oft sieht: Über dem See erleuchteten Polarlichter den Nachthimmel in Pink, Grün und Violett.

Text: David Heinen  |  Fotos: Simon Schuhmacher Photography 

Wenn Polarlichter früher in Europa auftauchten, dachten Menschen oft, dass es ein grosses Feuer, eine Prophezeiung oder etwas Übernatürliches sei. Das mag kaum überraschen – die tanzenden Schleier aus Grün, Rot und Violett am Nachthimmel wirken magisch und verzaubern die Betrachtenden. Polarlichter lösen ein Gefühl tiefer Ehrfurcht und Staunen aus. Sie lassen die Welt für einen Moment stillstehen und hinterlassen ein Gefühl von Verbundenheit mit der Natur. Das überwältigende Farbenspiel erzeugt eine Mischung aus Ruhe und Erregung, die die Seele berührt und den Geist inspiriert. Es handelt sich um ein unvergleichliches Erlebnis, das tiefe Emotionen weckt und bleibende Erinnerungen schafft. «Aurora borealis» und «Aurora australis» sind die wissenschaftlichen Bezeichnungen für Nordlichter und Südlichter. Beide Begriffe stammen aus dem Lateinischen. «Aurora» steht für die römische Göttin der Morgenröte, während «borealis» und «australis» nördlich beziehungsweise südlich bedeuten. Der Begriff «Aurora borealis», die nördliche Morgenröte, wurde im 17. Jahrhundert vom Astronomen Pierre Gassendi geprägt und beschreibt die Lichter in hohen nördlichen Breiten. «Aurora australis», die südliche Morgenröte, bezeichnet das Pendant in südlichen Breiten. Beide Phänomene faszinieren durch ihre farbenfrohen Lichtspiele am Himmel. Die Polarlichter sind von vielen Legenden umwoben. Die Wikinger glaubten, dass die Lichter die Seelen gefallener Krieger nach Walhalla tragen. Sie sahen in den tanzenden Schleiern am Himmel Zeichen für den Weg ins Jenseits, wo die tapferen Kämpfer von Odin empfangen würden. Auch die Inuit sahen in den Polarlichtern Botschaften aus dem Geisterreich. Andere Kulturen interpretierten sie als Omen oder Zeichen göttlicher Präsenz. Diese Geschichten verleihen den Polarlichtern eine mystische Dimension, die über ihre wissenschaftliche Erklärung hinausgeht. Die faszinierenden Naturphänomene können jedoch auch Gefahren bergen. Die elektromagnetischen Stürme, die die Lichter verursachen, können Satelliten und Kommunikationssysteme stören. Starke Polarlichter sind fähig, ganze Stromnetze zu beeinträchtigen und grossflächige Stromausfälle herbeizuführen. Flugzeuge, die in hohen Breiten fliegen, müssen Kursänderungen vornehmen, um erhöhten Strahlenbelastungen zu entgehen. Zudem können bei empfindlichen Menschen Migräne oder Schlafstörungen ausgelöst werden. Trotz der Schönheit sollten die potenziellen Risiken also nicht unterschätzt werden. 


Polarlichter entstehen, wenn durch Sonnenstürme Sonnenwind ausgestossen wird, der voller elektrisch geladener Teilchen ist. Diese Teilchen werden vom Magnetfeld der Erde abgefangen und zu den Erdpolen gelenkt. Das ist auch der Grund, weshalb wir die Polarlichter normalerweise nur am Nord- und Südpol beobachten können. Wenn die elektrisch geladenen Teilchen dann auf die Erdatmosphäre treffen, entsteht das Naturphänomen. Je nachdem, mit welchen Gasen und in welcher Höhe die Teilchen kollidieren, erscheinen die Lichter in anderen Farben. Bei besonders starken Sonnenstürmen kann es vorkommen, dass der Sonnenwind weiter vordringt und die Polarlichter sogar in Zentraleuropa sichtbar werden. Dies war in der Nacht auf den 11. Mai der Fall: Der stärkste Sonnensturm seit 20 Jahren liess den Thuner Himmel in einer einmaligen Farbenpracht erstrahlen. Bereits gegen 22 Uhr zeigten sich erste Farben im klaren Nachthimmel, die sich in den folgenden Stunden nur noch verstärkten. Das Naturspektakel begeisterte Menschen aus der ganzen Schweiz, die zur Kamera griffen, um die Lichter festzuhalten. Eine gute Idee, denn obwohl die Lichter auch von blossem Auge erkennbar waren, sind die Farbnuancen am besten auf Fotos zu erkennen. Wer das Phänomen aber verpasst hat, kann beruhigt sein: Die Sonne befindet sich momentan in einer hochaktiven Phase, die voraussichtlich noch das ganze Jahr andauern wird. Es ist also zu hoffen, dass der Thuner Nachthimmel noch einige Male in Farben erstrahlen wird.

Das überwältigende Farbenspiel erzeugt eine Mischung aus Ruhe und Erregung, die die Seele berührt und den Geist inspiriert.

Mit dem Auge wandern

Die faszinierenden Fotos der Polarlichter, die Sie auf den vorangehenden Seiten bestaunen können, gehen auf das Konto von Simon Schuhmacher. Für den 37-jährigen Landschaftsfotografen aus Mülenen ist damit ein Wunsch in Erfüllung gegangen, der noch sehr lange nachhallen wird.


Herr Schuhmacher, wie kam es zu diesen tollen Bildern? 

Ehrlich gesagt war das eine himmlische Fügung (lacht). Am 10. Mai war ich in Zürich auf einer Konferenz und bin erst am späteren Abend von dort losgefahren. Auf der Heimfahrt sah ich dann plötzlich ein rötliches Licht am Himmel. Bald wurde mir klar, dass es sich um Polarlichter handelte. Im November waren ja bereits mal welche in der Thunerseeregion zu sehen gewesen, doch ich hatte sie leider verpasst – darüber war ich schwer enttäuscht. Es war also klar: Ich muss sofort nach Hause und mit meiner Kamera in die Nacht losziehen. Als ich dann um Mitternacht zu Hause war, sah ich zu meiner Bestürzung keine Farben mehr am Himmel. Ich packte trotzdem mein Equipment und machte mich zum höchsten Punkt auf, den ich in kurzer Zeit erreichen konnte. Kaum war ich in Aeschiried, erblickte ich wieder das Rot. Und mit jedem Höhenmeter wurde es intensiver und weitere Farben kamen hinzu. Als ich oben ankam, befand sich das Naturspektakel kurz vor seinem Höhepunkt. Für eine kurze Zeit war das gesamte Farbspektrum der Nordlichter zu sehen. Es war ein atemberaubend schönes Erlebnis und eine absolut unvergessliche Nacht. Ich war die ganze Nacht unterwegs und suchte auch noch andere Spots auf. 


Welchen Eindruck machte das Naturphänomen auf Sie? 

Es fehlen mir noch immer die Worte – einfach unbeschreiblich schön! Ich habe wirklich schon sehr viele eindrückliche Naturschauspiele gesehen, doch so etwas Berührendes habe ich noch nie erlebt. Es war fast schon surreal. Polarlichter zu fotografieren, war schon lange ein Traum von mir; doch ich dachte eigentlich, dass ich dafür in den Norden reisen muss. Dass ich das nun in meiner Herzensregion erleben durfte, macht mich einfach sehr glücklich. 


Weshalb haben Sie sich auf Landschaftsfotografie spezialisiert? 

Das ist für mich eine Herzensangelegenheit. Seit meiner Kindheit fasziniert mich die unberührte Natur. Die Leidenschaft war also schon immer vorhanden, ich musste nur die passende Aktivität finden, mit der ich sie ausleben kann. Die Motivvielfalt ist unendlich. Die saisonalen Wechsel, die unterschiedlichen Licht- und Wetterstimmungen – wenn man das alles miteinander kombiniert, wird einem nie langweilig (lacht). Zusätzlich kann ich das Fotografieren gut mit meinen anderen Leidenschaften wie Wandern, Mountainbiken und Schneeschuh- sowie Skitouren verbinden. Meistens habe ich die Kamera dabei und halte nach spannenden Motiven Ausschau. 


Was macht für Sie ein gutes Foto aus? 

Da sind zuerst einmal die technischen Aspekte. Also beispielsweise, dass alles richtig belichtet ist. Und für die Landschaftsfotografie ist eine durchgehende Schärfentiefe wichtig: Vom Vordergrund bis zum Hintergrund sollte alles komplett scharf sein. Wenn man das alles im Griff hat, kann man sich um die kreativen Aspekte kümmern. Hier ist der Bildaufbau grundlegend. Meiner Meinung nach muss ein Bild gut ausbalanciert sein, eine gute Tiefenwirkung erzielen. Weiter sind Führungslinien wichtig, die den Blick zum Hauptmotiv leiten. In der Natur können das beispielsweise Pflanzen (Äste, Wurzeln usw.), Gesteinsformen oder Wasserläufe sein. Am entscheidendsten ist natürlich ein fesselndes Hauptmotiv. Und für mich persönlich hat ein gutes Bild einen ausgeprägten Detailreichtum – man soll mit den Augen auf Wanderung gehen können. Eine Landschaftsaufnahme ist besonders gelungen, wenn sie dem Betrachter einen spezifischen Ort oder eine besondere Stimmung realitätsnah widerspiegelt und ihn durch die erwähnten Merkmale zum Entdecken respektive Bestaunen einlädt, ohne die Bildkomposition infrage zu stellen. Auf diese Weise kann ein Bild erlebbar gemacht werden. 


Wie kamen Sie zur Fotografie? 

Während meiner Berufslehre als Mediamatiker hatte ich einen einwöchigen Fotografiekurs – seither hat mich die Materie nicht mehr losgelassen. Zuerst war es nur ein Hobby, aber mit der Zeit hat es sich immer mehr professionalisiert. Nach meiner Berufslehre bin ich direkt in den gestalterischen Bereich eingestiegen, arbeitete als Polygraf, in einer Werbeagentur, im Produktdesign und als Content-Creator. Seit 2023 bin ich nun selbstständiger Grafikdesigner. Daneben baue ich seit 2020 die Fotografie als zweites Standbein auf. In Zukunft würde ich mich aber gerne noch mehr der Fotografie widmen.


Kontakt: 
Simon Schuhmacher Photography
contact@simonschuhmacher.com


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