Goldgelbe Blätter, tiefblau der See
Goldgelbe Blätter, tiefblau der See
Über die Wege der Jakobspilger
Die Wanderung von Sundlauenen nach Merligen ist ein Teilstück der ViaJacobi. Je nach Witterungsbedingungen ist der Pilgerweg eine Ganzjahreswanderung. Die Strecke führt von Seeufer zu Seeufer und nimmt knapp zwei Stunden in Anspruch.
Text & Fotos: Beat Straubhaar
Verträumt in der Herbstsonne liegt die Bucht, an der die Holzhäuser von Sundlauenen stehen. Unweit der Stelle, wo der Legende nach der heilige Beatus den feuerspeienden Drachen besiegte, kräuselt sich der See in silbernem Glanz. Bei der Schiffstation von Sundlauenen oder bei der Busstation «Pilgerweg» beginnt eine wunderschöne Ganzjahreswanderung ins «Palmendorf» Merligen. Unter den Wegbegleitern sind sehr oft solche, die von Neuhaus herkommen und als äusseres Zeichen eine Jakobsmuschel am Rucksack tragen – Pilger auf der ViaJacobi.
Vom Brünig her
Der «Brünigweg» verbindet die attraktiven Landschaften und Seengebiete der Zentralschweiz und des Berner Oberlandes. Der Vierwaldstättersee wird wie seit Jahrhunderten mit dem Schiff überquert. In Flüeli-Ranft führt die ViaJacobi an der Kapelle des Nationalheiligen Bruder Klaus vorbei. Über den Brünigpass erreicht der Weg den Brienzer- und Thunersee, wo die Route ab Mitte Mai bis September per Schiff über den See nach Spiez verläuft. Das Teilstück zwischen Sundlauenen und Merligen ist nicht nur bei den Pilgern sehr beliebt. Die südexponierte Lage führt dazu, dass im Frühjahr sehr viele Leberblumen den Weg säumen. Im Sommer bietet der Wald willkommenen Schatten, im Herbst glüht er golden und im Winter, in der schnee- und eisfreien Zeit, bietet der Weg wohltuende Ruhe. Wie bei allen Wanderwegen, die nicht explizit als Winterwanderweg ausgeschildert sind, gilt auch hier: zuerst die Verhältnisse beurteilen. Es kann vorkommen, dass Teile der Route wegen aussergewöhnlichen Ereignissen sogar gesperrt werden.
Zum Wallfahrtsort
Der Pilgerweg erschliesst eine geschichtlich, geologisch und botanisch interessante Gegend am oberen Thunersee. Nach der Schiffstation Sundlauenen steigt der Weg in Kehren zur Staatsstrasse, wo er bei der STI-Busstation über Steintreppen weiter ansteigt. Von hier aus ist ein interessanter Blick auf das imposante Strassenbauwerk entlang der Felsen möglich. Am Fusse eines Felsbandes gehts sanft weiter bis zu den Beatushöhlen, die von Mai bis Ende Oktober geöffnet sind. Das Augustinerkloster Interlaken errichtete hier im 12. Jahrhundert einen Wallfahrtsort, den es dem heiligen Beatus, dem Drachenbändiger, weihte. Eindrücklich, was das Wasser in Jahrtausenden in den Tropfsteinhöhlen erschaffen hat.
Durch zwei Naturschutzgebiete
Nach dem Gelände der Beatushöhlen gelangt man durch romantische Waldpartien ins Naturschutzgebiet Balmholz. Der felsig-waldige Hang des Beatenbergs vom Chrutbach bis zum Nastel wurde 1993 unter Schutz gestellt. Damit soll der wärmeliebende, artenreiche Mischwald auf felsigem Grund erhalten bleiben. Auffallend viele Stechpalmenbestände sind beim Passieren des grossen Steinbruchs Balmholz zu beobachten. Hier befindet sich auch ein Rastplatz mit einer Feuerstelle. Kurz nach dem Überschreiten der 1937 erbauten Holzbrücke über den Budelbach erreicht man den schönsten Aussichtspunkt der Wanderung, den auf einer Felsnase gelegenen Widmann-Platz. Von hier aus gesehen präsentiert sich das Schreckhorn in seiner ganzen Schönheit. Weiter wandernd betreten wir ein anderes Naturschutzgebiet, jenes vom Nastel. Dieses besteht bereits seit dreissig Jahren. Der Wald in diesem Gebiet ist sehr naturnah, weist viel Totholz und seltene Waldgesellschaften auf, wie zum Beispiel den Orchideen-Buchen-Wald.
Die Vögel sollen im kommenden Jahr eine saubere «Wohnung» vorfinden.
Hinunter ins Palmendorf
Unter der Schmockeflue hindurch verläuft der Weg durch das Gebiet der Fischbalme. Beim Überqueren des Trassees der Standseilbahn Beatenbucht–Beatenberg verlassen wir das Naturschutzgebiet Nastel. Hier öffnet sich der Blick aufs untere Thunerseebecken. Der Niesen und die Stockhornkette sind nun ständige Begleiter. Der Zielort Merligen ist nicht mehr weit, durch die Bäume hindurch sind bereits die im Hafen vertäuten Schiffe sichtbar. Beim Verlassen des Waldes präsentiert sich über dem Weg der Merliger Rebberg, wie könnte es anders sein, mit dem Namen «Pilgerweg». Nach alten Über- lieferungen stehen hier bereits seit dem 16. Jahrhundert Reben. Auf 26 Aren wachsen vier verschiedene Sorten. Durchs schmucke Dorf geht der Weg hinab zur Bus- oder an den See zur Schiffstation. Spätestens hier wird klar, weshalb Merligen gelegentlich als Palmendorf bezeichnet wird. Durch die günstige Lage am Südhang des Niederhorns, direkt am Ufer des Sees, herrscht das ganze Jahr ein mediterranes Klima.
Via Jacobi
Die Pilgerfahrt zum Grab des heiligen Jakobus in Santiago de Compostela (Nordspanien) ist eine der wichtigsten spirituellen Traditionen Europas. Als Teil des europäischen Jakobswegs führt die ViaJacobi dem Alpenfuss entlang vom Bodensee nach Genf, quer durch die Schweiz. Wie Perlen auf einer Kette reihen sich Kapellen, Kirchen und Herbergen entlang der ViaJacobi aneinander und bieten zusammen mit der abwechslungsreichen Kulturlandschaft ein grossartiges Wandererlebnis.