Die Natur in den Schutzgebieten ruht
Die Natur in den Schutzgebieten ruht
Nur gerade zwei Prozent der Fläche des Kantons Bern stehen unter Naturschutz. Damit seltene Pflanzen und Tiere hier überleben können, ist ein rücksichtsvolles Verhalten von Besucherinnen und Besuchern gefordert – auch im Winter.
Text: Bruno Petroni | Fotos: Christine Hunkeler, Bruno Petroni
Wohnwagen und Zelte sind grösstenteils verschwunden, die Grillfeuer an den Ufern und bei der Kandermündung sind erloschen. Dafür haben, wie jedes Jahr, zahlreiche Wasservogelarten ihr Winterquartier am Thunersee bezogen. Die Naturschutzgebiete Weissenau, Gwattlischenmoos und Seeallmend sind durch artenreiches Gefieder bevölkert.
Auengebiet von nationaler Bedeutung
Eine Wasseramsel steht im fliessenden Wasser der Kander. Sie teilt in dieser Zeit das Delta mit einem Fuchs, der sich gerade um eines der kleinen Wäldchen schleicht. Das Naturschutzgebiet Kanderdelta ist die einzige noch verbliebene hochdynamische Deltaaue im Kanton Bern. Eine grossökologische Vielfalt mit stehendem und fliessendem Gewässer, Sand- und Kiesbänken sowie angrenzendem, geschlossenem Auenwald. Das Gebiet von 36 Hektaren ist ein Lebensraum von seltenen Vogelarten wie jener des Fluss-
uferläufers. Nach Auskunft von Hans Schmid von der Schweizerischen Vogelwarte war die seltene Vogelart aus der Familie der Schnepfenvögel auch früher nie ein regelmässiger Brutvogel im Kanderdelta. «2014 und 2015 hat jedoch jeweils ein Brutpaar erfolgreich gebrütet», erklärt der Fachmann. Im Gegensatz dazu sei der Flussregenpfeifer ein regelmässiger Brutvogel (jeweils 1–2 Paare). Auch 2015 hat ein Paar erfolgreich Junge aufgezogen. Für beide Arten ist das Kanderdelta einer der ganz wenigen Brutplätze im Berner Oberland. Deshalb gilt für das geschützte Gebiet ein ganzjäh-
riges Begehverbot mit Ausnahme des vordersten Uferstreifens von 30 bis 40 Metern. Gleich dahinter beginnt das Wasser- und Zugvogelreservat von nationaler Bedeutung. Das fallende Laub hat die Landschaft der Naturschutzgebiete rund um den Thunersee verändert. In den Tümpeln sorgen die Frostnächte für eine dünne Eisschicht. Die Tierwelt ist verstummt, die Winterstandorte sind bezogen – es ist still geworden in Teich und Moor. Im Naturschutzgebiet «Gwattmösli» haben die Schottischen Hochlandrinder ihre Arbeit mit dem Reduzieren des Röhrichts wie in den letzten Jahren erledigt. Die Tiere wurden Ende Oktober abgezogen.
Im Winterquartier
Gleichzeitig sind die wechselwarmen und frostempfindlichen Amphibien und Reptilien der Kälte ausgewichen. Ihre Winterstandorte sind frostfreie Plätze im Boden und im Wasser. Die Winterruhe, während der keine Nahrung aufgenommen werden kann, dauert bis Ende März. Schlangen, Echsen, Kröten und Frösche verfallen dabei nicht in eine Winterstarre, sie schränken ihre Aktivitäten nur ein. Amphibien können nach der Metamorphose an Land oder im Wasser überwintern. Die letzten, die sich ins Winterquartier zurückziehen, sind die Wasserfrösche und die Unken. Wer sich nicht frostsicher genug eingegraben hat, droht umzukommen. Grasfrösche, Wasserfrösche und alle Molcharten überwintern oftmals im Wasser – in Bächen oder Ein- und Ausflüssen von tiefen Weihern, bei denen die Sauerstoffversorgung ausreichend ist. Eine offene Frage lautet, weshalb gewisse Froscharten vor der Winterruhe ihre Rufaktivität nochmals aufnehmen. Vor allem der Grasfrosch kann im Herbst mit Gleichgesinnten ein richtiges Chorkonzert anstimmen. Vielleicht ein Abgesang auf den sonnig-warmen Sommer – oder die Vorfreude auf den Frühling?
Im Naturschutzgebiet Aarelandschaft Thun- Bern sind die ausgedehnten Auenwälder eines der Schutzziele. Das kommt einem sich ausbreitenden Gast sehr zugute. Der Biber hat schon seit einigen Jahren die Aare entdeckt, diese und den Thunersee durchschwommen und sich im Naturschutzgebiet Weissenau angesiedelt. Vor zwei Jahren hat ein Jungtier im Naturschutzgebiet des Heimberger Baggersees sein Revier bezogen. Ein weiterer Biber liess sich in Thun nieder und einer wurde im Kanderdelta heimisch. Gemäss einem Bibermonitoring im Auftrag des Jagdinspektorates des Kantons Bern von diesem Jahr leben heute zwischen dem Wohlensee und Interlaken rund 183 Biber in 47 Revieren, wobei in 32 Revieren Familien zuhause sind.
Die Vögel sollen im kommenden Jahr eine saubere «Wohnung» vorfinden.
Spuren verraten ihn
Leider kriegt man den Biber nur selten zu Gesicht, da er dämmerungs- und nachtaktiv ist. Seine Anwesenheit an einem Gewässer lässt sich aber über verschiedene Spuren nachweisen. Vor allem Nagespuren und gefällte Bäume verraten ihn. In Sand und Schnee sind seine typischen Trittsiegel, manchmal auch die charakteristische wellenförmige Spur der Kelle, ein deutliches Zeichen für seine Anwesenheit. Ein einmal bezogenes Revier werde nicht mehr verlassen, ausser es komme zu massiven Störungen, betont Peter Lakerveld, Projektleiter «Hallo Biber! Mittelland» von Pro Natura. Nach ihm warten die beiden Tiere in Thun und Heimberg auf eine Partnerin oder einen Partner, um eine Familie zu gründen. Zweijährige Biber werden von ihren Eltern vertrieben, um sich ein eigenes Revier zu suchen. Durch das Vordringen der Nager in kleinere Gewässer tritt ihre Bedeutung als Schlüsselart für die Biodiversität immer deutlicher zu Tage. Auf der anderen Seite nehmen aber auch die Konflikte mit dem Menschen zu.
In den meisten Naturschutzgebieten der Region haben ornithologische Vereine Nistkasten aufgehängt. Diese «Wohn- und Brutgelegenheiten» werden in den meisten Fällen dankbar angenommen. Dort, wo ein Wanderweg durchs Gebiet führt, wie zum Beispiel der Aare entlang, können sich Interessierte am Brutgeschäft verschiedenster Vo-
gelarten erfreuen. Im Spätherbst sind jeweils Freiwillige gefordert, um die Nistkasten zu reinigen. Alte Nester mit den darin lebenden Parasiten wie Vogelflöhen, Milben und Zecken werden entfernt, damit die Vögel im kommenden Jahr eine saubere «Wohnung» vorfinden.
Als Übergangsquartier
Die Nistkastenreinigung kann Überraschun-
gen, ja sogar unliebsamen Schrecken bieten. Es empfiehlt sich daher, bei den zu kontrollierenden Nistkästen kurz anzuklopfen, damit der mögliche Hauseigentümer – etwa eine Hasel- oder eine Waldmaus – gewarnt ist und seine Behausung verlassen kann. Gerade die Haselmaus oder der Siebenschläfer nutzen die leeren Vogelbehausungen gerne von Spätsommer bis Herbst als Übergangsquartier. Für die Überwinterung verkriechen sich die Schläfer im Boden, weil dieser frostsicherer ist als der Nistkasten. Bis zu sieben Monaten liegen sie dann eingerollt in einem Kugelnest, kaum noch atmend und mit einer Körpertemperatur von wenigen Graden über dem Gefrierpunkt. Bei den Heimberger Ornithologen gibt es Mitglieder, welche die Anzahl Haselmäuse in den Nistkasten zählen und daraus Rückschlüsse auf den Beginn des Winters schliessen, ähnlich den Muotataler Wetterschmöckern und ihren Ameisen – Trefferquote in etwa identisch.
Je nach Sommer werden Nistkasten auch von Wespen und Hornissen bewohnt. Hornissennester werden bei der Reinigung verschont, sofern der Standort keine Gefahr für Wanderer beinhaltet.
Gut zu wissen: Grössere Naturschutzgebiete rund um den Thunersee
Spiezberg
Artenreicher Wald und Halbtrockenrasen. Grosse Gegensätze Schattenhang/Sonnenhang.
Gwattlischenmoos
Ausgedehnte Verlandungszone, artenreiche Riedwiesen. Bedeutender Brut-, Rast- und Überwinterungsplatz für Wasservögel.
Weissenau-Neuhaus
Naturnahe Uferlandschaft mit Schilfflächen, Ried- wiesen, Auenwäldern und Gebüschstreifen. Brut-, Rast- und Überwinterungsplatz für Wasservögel.
Stauweiher Spiez
Ausgedehnte Schilfgürtel, gut bestockte Ufer, Gross-Seggenried. Ungestörter, hervorragender Mauserplatz für Wasservögel.
Aarelandschaft Bern
Mittelländische Auenlandschaft. Mosaik verschiedener Lebensräume wie Fliess- und Stillgewässer, Altwasser, Röhrichte, Streueflächen, Feuchtwiesen, Trockenstandorte. Ausgedehnte unterholzreiche Auenwälder.
Kanderdelta
Auentypische Tier- und Pflanzenarten. Erhaltung der natürlichen Dynamik des Gewässer- und Geschiebehaushaltes.
Amsoldinger-/Übeschisee
Erhaltung der Seen mit Inseln und Verlandungszonen sowie der Flachmoore von nationaler Bedeutung und deren Umfelder.
Nastel
Artenreicher Mischwald auf felsigem Grund mit Eiben und Stechpalmen. Erika-Föhren-Wälder, Magerwiesen, Alpenrosen bis ans Seeufer.
Gwattmösli
Feuchtgebiet mit reichem Pflanzenbestand. Amphibien-Lebensraum, gut gegliederter Waldsaum, Lehrgebiet.
Augand
Erhaltung und Aufwertung der Auenlebensräume, der auentypischen Tier- und Pflanzenwelt sowie der standortgerechten Waldgesellschaften.
Seeallmend
Wasserfläche mit vollständiger natürlicher Verlandungszone von den Schwimmblattgesellschaften bis zum Ufergebüsch. Wichtiger Brutplatz für Sumpf- und Wasservögel.
Balmholz
Felsiges Waldgebiet in ausgesprochener Südlage mit seltenen Waldgesellschaften und wärmeliebenden Pflanzen- und Tierarten. Felsenbrütende Vogelarten.
Aus «Verzeichnis der Naturschutzgebiete des Kantons Bern», Abteilung Naturförderung – Amt für Landwirtschaft und Natur des Kantons Bern, Stand 2014
Verhaltensregeln
Im Winter befinden sich die meisten unserer kleinen Wildtiere im Winterschlaf. Viele von ihnen haben in Kleinstrukturen wie Holzbei-
gen oder Asthaufen, in Steinhaufen, Mauern, Ritzen, unter schützendem Gestrüpp oder im Laub Unterschlupf gefunden. Deshalb ist es wichtig, dass auch im Winter der Natur mit Vorsicht und Respekt begegnet wird. In den unter Naturschutz stehenden Gebieten gelten die signalisierten Verhaltensregeln auch im Winter.