Die letzte Fahrt des «Oberhofnerli»

Die letzte Fahrt des «Oberhofnerli»

Die letzte Fahrt des «Oberhofnerli»

Das kleine, aber feine Thunersee-Motorschiff «Oberhofen» hat eine bewegte Geschichte. Nun hat es Ende Oktober seine letzte Fahrt unter der Flagge der BLS angetreten. Die Zukunft ist offen. Aber es besteht Hoffnung.

Text und Fotos: Samuel Krähenbühl

Oberhofen am Thunersee. 28. Oktober, 16.00 Uhr. Der Ort strahlt an diesem Herbstnachmittag ein südländisches Flair aus. Die Palmen an der Schiffländte tragen ihren Teil dazu bei. Das Schloss im nahen und das Dreigestirn der Berner Alpen, welches sich leicht hinter einem Dunstschleier versteckt, im ferneren Hintergrund, vervollkommnet das Bild. Von der oberen Seehälfte nähert sich das mächtige Motorschiff «Stadt Thun» der Ländte. Weiter draussen, in Richtung Thun, wartet bereits ein kleineres Schiff darauf, sich der Ländte zu nähern. Die «Stadt Thun» legt ab. Vor dem Turmhaus Oberhofen fährt die grosse «Stadt Thun» am kleinen Motorschiff «Oberhofen» vorbei. Mit langanhaltenden, tiefen Hornstössen erweist sie dem viel kleineren Schiff und gleichzeitig auch einem langjährigen Mitarbeiter der BLS Schifffahrt die Ehre. Denn für beide ist es die letzte Fahrt auf dem Thu­nersee. Zumindest in Diensten der BLS. Die kleine «Oberhofen» erwidert mit ihrem deutlich weniger grossmächtigen Horn. Jeder, der das Ereignis auf einem der Schiffe oder von Land her verfolgt, muss von diesem Moment berührt werden. Danach nähert sich die «Oberhofen» der Ländte. Ihrer Ländte, die den gleichen Namen trägt. Dass die «Oberhofen» überhaupt noch, beziehungsweise wieder, auf dem Thunersee fährt, das hängt mit einem Ehepaar zusammen, welches diese Abschiedsfahrt organisiert hat: Kurt und Ursula Matter aus Oberhofen.

Für die «Landi 39» gebaut

Dabei hat die heutige «Oberhofen» ihre Karriere weder auf dem Thunersee begonnen, noch trug sie von jeher diesen Namen. Zuerst hiess sie «Ente». Und ihre Karriere begann auf dem Zürichsee. Sie und ihre drei Schwesterschiffe «Taucherli», «Schwan» und «Möwe» wurden von der längst verschwundenen Schweizer Schiffbaufirma Escher Wyss in Zürich gebaut und 1939 auf dem ­Zürichsee in den Einsatz geschickt. Damals waren Schiffe mit Dieselmotoren noch relativ neu. Die Dampfschiffe hatten noch die Oberhand. Für die Landesausstellung 1939, die berühmte «Landi» also, wurden die vier Schwestern beschafft, um den Besucherverkehr zwischen den beiden Ausstellungsteilen, welche auf beiden Seiten des unteren Zürichseebeckens lagen, zu verbinden. Die heutige «Oberhofen» ist also genauso ein Kind der Landi wie etwa die mächtige Gotthardlokomotive Ae 8/14, welche einst als stärkste Lokomotive der Welt galt und noch heute im Verkehrshaus in Luzern bewundert werden kann. In Erinnerung bleibt auch das schon längst verschwundene Landi-Dörfli, das von Marthely Mumenthaler im gleichnamigen Lied besungen wurde. Während der Landi brach am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg aus. Doch trotz Generalmobilmachung und Krieg blieb die Landi wie geplant bis zum 29. Oktober geöffnet.

Nach dem Ende der Landi war die erste Karriere der «Ente» vorbei. 1940 kaufte die BLS Schifffahrt das Landi-Schiff, liess es auf den Thu­nersee versetzen und taufte es um auf seinen heutigen Namen «Oberhofen». Das besonders für Extra­fahrten beliebte Schiff wurde nach 747 000 Kilometer 1999 zum ersten Mal ausgemustert und nach Holland verkauft. Unter dem neuen Namen «Vriendschap» verkehrte die «Oberhofen» während 14 Jahren in der ­Region Amsterdam. Das ehemalige Schweizer Schiff nahm gar an der Schiffsparade anlässlich der Krönung des niederländischen Königs Willem-­Alexander am 30. April 2013 teil.

Damals waren Schiffe mit Dieselmotoren noch relativ neu. Die Dampf­schiffe hatten noch die Oberhand. 

Rückkehr in die Schweiz

Doch auch in Holland näherte sich die Karriere der MS Vriendschap alias «Oberhofen» alias «Ente» erneut ihrem Ende entgegen. Die BLS Schifffahrt als ehemalige Eigentümerin hatte zwar Interesse, das Schiff wieder in ihre Flotte zu inte­grieren, aber es fehlte das nötige Kleingeld. Mit Support von Stefan Widmer, damaligem Leiter der BLS-Schiffsflotte, ergreifen Gerhard Schmid, damals Präsident der Dampferfreunde, und Vorstandsmitglied Rolf Lemberg auf privater Basis die Initiative, die MS Oberhofen auf den Thunersee zurückzuholen. Die Initianten nutzen ihr Beziehungsnetz und erwirken, dass sich verschiedene Oberhofner Persönlichkeiten und mögliche Sponsoren bereit erklären, die Rückkehr des «Oberhofnerli» zu unterstützen.

Und der Glücksfall trat ein: Der in Oberhofen wohnhafte Unternehmer Kurt Matter entscheidet sich spontan, das Schiff zu kaufen. Am 1. Oktober 2013 schenkte Matter es der BLS Schifffahrt. Mit Ziel Schweiz begann der Rücktransport im Oktober 2013 über den Rhein bis Basel. Dort wird die «Vriendschap» ausgewassert und mit einem Schwertransport nach Thun transportiert. Nach einer Renovation und Anpassung an die neusten Schweizer Normen legte das wieder auf den Namen «Oberhofen» getaufte Schiff am 2. Mai 2014 erneut an der Ländte seines Namens an. 

Wie geht es weiter?

Ende gut, alles gut? Leider nein. Noch kurz vor der Coronakrise entschied der BLS-Verwaltungsrat, die Schiffsflotte zu verkleinern. Obschon die für kleinere Gruppen sehr geeignete MS Oberhofen stark eingesetzt wurde, entschied der Verwaltungsrat, sich vom schmucken Schiff zu trennen. Erneut droht der Abschied des «Oberhofnerli» vom Thunersee. Dieses Mal vielleicht für immer? Droht jetzt gar die Verschrottung? Diese und ähnliche Überlegungen prägten denn auch die Gespräche auf der Abschiedsfahrt. Zumindest zwei Fakten waren an diesem Tag klar: Es war die letzte offizielle Fahrt der «Oberhofen» unter der Flagge der BLS. Und die BLS gibt das Schiff dem Spenderehepaar Matter zurück. Grundsätzlich kann also die MS Oberhofen weiter betrieben werden. Aber ganz allein können wohl auch Matters das «Oberhofnerli» nicht am Leben erhalten und sinnvoll betreiben. Doch nicht umsonst hatten Ursula und Kurt Matter die wichtigsten Mistreiter von 2013 auf die vorerst letzte Fahrt ihres Schiffs eingeladen: Gerhard Schmid, Rolf Lemberg, Stefan Widmer, aber etwa auch den Schiffsexperten und Buchautor Erich Liechti aus Wimmis (siehe unten). Und auch Philippe Tobler, Gemeindepräsidenten von Oberhofen. Sie alle und viele mehr werden auch dieses Mal dafür kämpfen, der MS Oberhofen erneut Leben einzuhauchen. Es war bereits am Einnachten, als das Schiff an seiner Ländte in Oberhofen anlegte. Die Kollegen des abtretenden BLS-­Kapitäns warten an der Ländte. Auf ihren Kollegen, aber auch etwas auf das Schiff. Es bleibt zu hoffen, dass beide noch oft in den See stechen dürfen. Wenn auch nicht mehr ­unter der Flagge der BLS.

Buchtipp

Die Geschichte der Schifffahrt auf dem Thuner- und Brienzersee

Autoren: Dr. Jürg Meister und Erich Liechti 504 Seiten, 23 × 27 cm, gebunden, Hardcover ISBN 978-3-03818-340-2 Preis: CHF 59.–

Die bewegte Geschichte der MS Oberhofen ist auch im kürzlich neu erschienenen Buch «Die Geschichte der Schifffahrt auf dem Thuner- und Brienzersee» beschrieben. Das Werk will mit aktualisierten Texten und sehr vielen neuen, meist un­bekannten und nie publizierten Bildern die Flotte vom Thuner- und Brienzersee sorgsam, aber auch unterhaltend porträtieren. Neben den klassischen Ganzbildern vermitteln historische und aktuelle Aufnahmen aus den Innenräumen und Bordszenen aus der ganzen Zeit seit 1836 die faszinierende Atmosphäre der Schifffahrt. Pläne und Rekonstruktionen, diverse davon besonders wertvoll, ergänzen die Fotografien bei jedem Schiff. Die für jede Einheit mit viel Aufwand wieder neu recherchierten technischen Daten bilden einen weiteren festen Bestandteil des Werks.

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