Die Bootsflüsterer vom Thunersee
Die Bootsflüsterer vom Thunersee
Wilke Swiss Marine Composites, die Bootswerft und Service AG von Yvonne und Christof Wilke in Leissigen, baut die weltweit schnellsten Segelboote der Finn- und 5.5-Meter-Yacht-Klasse. Aber Wilkes haben viel mehr zu bieten als nur schnelle Boote: Mit ansteckender Leidenschaft nehmen sie sich selbst für die kleinsten «Schiffswehwehchen» gerne Zeit.
Text: Renate Hodel | Fotos: zvg
Yvonne und Christof Wilke haben ihr Unternehmen 1986 gegründet. Damals noch in Faulensee am Hang, befindet sich die Werft nun seit 1993 direkt am See in Leissigen. Dieser Umzug vor über 20 Jahren hat natürlich enorme Vorteile gebracht. Damals mussten Wilkes die Schiffe äusserst umständlich mit dem Anhänger in der Bucht von Spiez holen, in die Werkstatt transportieren, dort wieder abladen und nach getaner Arbeit den ganzen Ablauf noch einmal. Doch genau dort machten Wilkes die ersten Gehversuche im Schiffsneubaubereich: Ursprünglich auf den Erhalt bestehender Boote auf dem See konzentriert, bauten sie die erste 5.5-Meter-Yacht.
20 Jahre später können sie auf eine von Erfolg geprägte Unternehmensentwicklung zurückschauen – Wilke-Boote sind nämlich mehrfache Weltmeister und Olympiasieger! Dass in einem Binnenstaat wie der Schweiz solche Segelerfolge möglich sind, liegt vor allem an gut ausgebildeten Leuten und der fortschrittlichen Technik – natürlich darf es aber auch an Motivation nicht fehlen: «Es macht schon Freude, wenn ich die Bilder der Olympiamedaillengewinner in der Finn-
Klasse sehe und weiss, dass sie alle mit unserem Material gefahren sind», meint Christof Wilke zum jüngsten Erfolg an den olympischen Spielen in Rio 2016 – und etwas stolz darf man schon sein, wenn man in den Klassen Finn und 5.5 Meter regelmässig zu den Besten gehört. Nach der Olympiade ist vor der Olympiade – Wilkes stecken schon wieder mitten in den Vorbereitungen für die nächste Sommerolympiade in Tokio und dort werden die Verhältnisse ganz anders sein als noch in Rio. Vier Jahre lang wird jetzt also jeweils getüftelt, angepasst und optimiert. «Wir bauen speziell auf die Verhältnisse des Austragungsortes angepasste Boote. Natürlich bauen wir nicht jedes Mal ein brandneues Boot, da sind ganz kleine Unterschiede – die Anpassungen passieren im Millimeterbereich!» Gerade bei Olympiabooten ist das natürlich ein fortwährender Prozess. Da arbeitet die Wilke AG eng mit den jeweiligen Teams und Sparringpartnern zusammen, holt vor Ort Feedback, filmt und fotografiert, um das nächste Olympia- oder Weltmeisterboot so weiterzuentwickeln, dass am Tag X alles passt.
Bei den normalen Seglern läuft das natürlich anders ab: Da dürfen Wilkes auch mal in die Beraterrolle schlüpfen, Ausrüstungsteile anpassen, die eine oder andere Einzelanfertigung oder spezielle Masten herstellen – nicht jedes Mal werden komplette Boote verkauft.
Die Abwechslung ist uns wichtig, unsere Tür steht allen offen!
Aber Wilkes beschäftigen sich nicht nur mit Neubauten und den Ferraris unter den Segelbooten: Genauso gerne kümmern sie sich um die Boote in nächster Nähe auf dem See. So sind denn auch die meisten Boote, die in der Werft stehen, Service-Boote und die kommen praktisch zu hundert Prozent vom Thunersee. Das bedeutet, im Herbst auswassern, reinigen, abspritzen, zudecken und wegstellen, um sie dann im Frühling wieder seetauglich zu machen. Umfangreichere Arbeiten, wie das Deck spritzen oder grössere Reparaturen, werden im Winter erledigt. Es ist gerade diese Abwechslung, die Christof Wilke schätzt: «Uns ist es sehr wichtig, dass die Leute wissen, dass es bei uns nicht nur um diese Supercracks geht – unsere Türe steht allen offen! Wir machen sehr gerne Leute glücklich, die bei uns nur irgendwelche kleine ‹Bobos› an ihren Schiffen flicken lassen wollen. Neben dem Bootsbau und den Olympiaprojekten montieren wir genau so gerne bei einem Fischerboot eine Rutenhalterung. Die Abwechslung ist uns wichtig, nur Hightech-Projekte würden mit der Zeit monoton. Und gerade deshalb sind wir doch auch hier in Leissigen – für die Boote auf dem Thunersee!»
So können wir uns also freuen – bald ist das «Spiezerli» wieder auf dem Thunersee unterwegs. Auf der Website www.spiezerli.ch können Sie sich über den Zeitplan informieren und zusätzliche spannende Informationen zum Dampfer nachlesen. Ausserdem besteht auch immer noch die Möglichkeit, sich durch eine Spende am Projekt zu beteiligen – jeder Franken kann gebraucht werden. Es steht der Thunerseeregion sicherlich gut zu Gesicht, dass ein solches Stück Schifffahrts- und auch Tourismusgeschichte gepflegt wird und nicht finanziellen Überlegungen geopfert wurde. Gute Fahrt!