Das Alpentheater: anders als alle anderen Theater

Das Alpentheater: anders als alle anderen Theater

Das Alpentheater: anders als alle anderen Theater

Der Kanton Bern ist auch in dieser Beziehung einzigartig: Nirgendwo sonst in der Schweiz gibt es derart viele Freilichttheater-Aufführungen, so auch heuer vom Alpentheater in Aeschiried auf dem Schwingplatz bei der Chemihütte, mit einem 180-Grad-Rundblick über den Thunersee vom Niesen bis nach Interlaken. Aber nicht bloss deshalb ist die Produktion «Übere Gartezuun» eine Trouvaille.

Text: Thomas Bornhauser  |  Fotos: Marianne Hügli

Ich habe ein Drehbuch geschrieben, jetzt geht es darum, geeignete Schauspielende für die Figuren zu finden» – so ähnlich geht man bei der Besetzung eines Theaterstückes vor. Und bei der Verteilung von Filmrollen. Das Alpentheater geht seine eigenen Wege. Ungewöhnliche. Spannende.


«Wir sind Theater»

Gilles Antenen aus Wattenwil; Katrin Boss, Frutigen; Ernst Brügger, Kandersteg; Remo Grossen, Aeschi; Rudolf Keller, Bern; Gabriela Meier, Reichenbach; Regula Rothacher, Zollikofen; Melanie Ruchti aus Kandersteg und Sandra Wanzenried aus Bern: Sie werden 2015 als Spielende bei «Übere Gartezuun» zu sehen sein. Das Besondere am Alpentheater ist nun, dass die Darstellenden zusammen mit Regisseurin Sjoukje Benedictus (siehe Kästchen) die zu spielende Figur selber (mit)entwickeln, samt grossen Teilen der Handlung. Dabei ist es wichtig, dass die Charakterzüge der jeweils gewählten Figur möglichst nicht den eigenen entsprechen. Die Spielenden lernen mittels Schauspieltechniken, in die Figur(en) einzutauchen und sich authentisch in einer anderen Persönlichkeit auszudrücken. «Wir sind Theater» könnte man auch sagen, in Anlehnung an andere Zitate unserer Zeit. «Es gibt im Stück keine Haupt- und Nebenrollen, alle sind gleichermassen wichtig», sagt Sjoukje Benedictus.

Wenn die Figuren und die Handlung in einer Art Rohfassung stehen, schreibt Kabarettistin Maria Steiner den Figuren die Dialoge auf den Leib. In einer weiteren Phase werden die Texte bei Proben umgesetzt, abgeändert, gekürzt oder ergänzt. Da Sjoukje Benedictus auch Choreografin ist, enthalten ihre Theaterstücke auch kleine Tanz-, Gesangs- und Bewegungsteile, die sich nicht als Fremdkörper bei der Inszenierung erweisen. Ganz im Gegenteil. 

Die Begleitung durch live gespielte Musik gibt der Aufführung einen zusätzlichen Akzent: Für «Übere Gartezuun» konnte die Basler Musikgruppe SULP Swiss Urban Ländler verpflichtet werden. Die drei Musikerprofis bringen mit ihrer ausgefallenen Besetzung – Sopransax, Schwyzerörgeli und Bass/Tuba/Alphorn – eine ganz eigene musikalische Note ein.

Holländerin in den Bergen

Wie aber kommt eine gebürtige Holländerin dazu, sozusagen mitten in den Alpen Theaterstücke aufzuführen? Sjoukje Benedictus lacht: «Die Berge haben mich schon als Kind fasziniert, ich wollte später einmal hier leben. Und das eine ergänzt das andere doch perfekt! Ich bewege mich in zwei verschiedenen Welten, mit dem Verständnis für beide Kulturen.» In der Tat: Der 59-Jährigen mit dem unverkennbaren Dialekt aus ihrer Kindheit ist es ein Anliegen, mit ihrer Arbeit das kulturelle Angebot im Berner Oberland zu erweitern, in den Bereichen Theater und Tanz, auch für Jugendliche.

Bei den Proben wird die Zusammenarbeit zwischen Regie und Spielenden greifbar. Es werden diverse Passagen gespielt – und anschliessend besprochen. Wäre es geschickter, sich abzudrehen statt auf jemanden zuzugehen? Müsste man in einer besonderen Situation nicht etwas anderes sagen? Aufbrausen oder schweigen? Schritt für Schritt entwickelt sich das Geschehen weiter, für die späteren Bretter, die bekanntlich die Welt bedeuten. Dialoge werden optimiert, Mimik und Gestik ebenso. Und alle Beteiligten scheinen ihren Spass an der Sache zu haben. 

Schritt für Schritt entwickelt sich das Geschehen weiter, für die späteren Bretter, die bekanntlich die Welt bedeuten.

Der gewöhnliche Alltag

Man erahnt es aus dem Titel: «Übere Gartezuun» berichtet von Nachbarn, die Zaun an Zaun leben. Über ihren normalen Alltag. Palaver hier, Palaver dort. Gut schweizerisch. Harmonisch. Stinklangweilig. Genauso gut schweizerisch – es mönschelet halt o hie – entwickelt sich die Geschichte. Und auf einmal ist die scheinbare Harmonie futsch, ein Wort provoziert das andere, die Situation eskaliert, Zuschauende können den Duft von Pulver förmlich riechen. Die Zündschnur brennt. Wird das Fass explodieren? Die Handlung mag für die Bühne überzeichnet sein, um die Spannung stetig ansteigen zu lassen. Im Grunde genommen werden sich viele Zuschauende im Stück selber wiedererkennen, in «Sache Sächeli». Sicher ist indes: Der Unterhaltungsfaktor bei «Übere Gartezuun» ist hoch, sicher viel höher, als der Gartenzaun zwischen den beiden Gärten es selber ist.

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