Spannende Liebes­geschichte zwischen Reben und Palmen

Spannende Liebes­geschichte zwischen Reben und Palmen

Spannende Liebes­geschichte zwischen Reben und Palmen

Das Dorf Merligen liegt an der klimatisch mildesten Stelle des Thunersees. Deshalb wachsen sogar Palmen. Doch das Leben dort war nicht immer einfach. Das zeigt ein Blick in das neue Buch «Merligen – Streiflichter aus der Geschichte» des Dorfchronisten Vincenz Oppliger.

Text: Samuel Krähenbühl  |  Fotos: zvg

Die Gemeinde Sigriswil, zu der auch das Dorf Merligen gehört, feiert dieses Jahr den 675. Geburtstag ihres Freiheitsbriefes. Doch Merligen – eines der elf Sigriswiler Dörfer – war immer ein Spezialfall. Das hat mehrere Gründe. Der vielleicht wichtigste war die bis ins 19. Jahrhundert schlechte Erschliessung. Auf dem Landweg führten nur Fuss­wege dorthin. Merligen wurde erst 1873 über eine Fahrstrasse von Gunten her an die grosse, weite Welt angeschlossen. Gut erreichbar war das Dorf aber immer über den See. Bis zur einsetzenden Massenmotorisierung im 20. Jahrhundert wurden die alten Fusswege noch eifrig genutzt. Denn zu Fuss führt der nächste Weg von Merligen ins Dorfzentrum von Sigriswil nicht etwa über Gunten, sondern über die Dörfer Wiler und Endorf. Auch der 1944 geborene Merliger Vincenz Oppliger kennt diesen Weg sehr gut. Denn als er die Sekundarschule besuchte, gab es noch keine Schülertransporte. Vielleicht ging aber mit den Schülertransporten auch etwas Romantik verloren. Denn er ging den Weg mit seiner gleichaltrigen Schulkollegin Dora Oppliger-Zumbach, die später seine Frau wurde und mit der er noch heute glücklich verheiratet ist. Doch Oppliger kennt nicht nur die alten Wege in Merligen und Umgebung bestens. Er ist unbestritten der grösste Kenner der Geschichte seines Geburts- und Wohnortes überhaupt. Deshalb hat er in jahrelanger Arbeit eine Dorfchronik erarbeitet, welche diesen Sommer im Weber Verlag unter dem Titel «Merligen – Streiflichter aus der Geschichte» erschienen ist. 


Mehrere Glücksfälle halfen

Ueli Häsler, ehemaliger Schulleiter aller Sigriswiler Schulen und ebenfalls lange Zeit in Merligen wohnhaft, bezeichnet in seinem Vorwort zum Buch drei Glücksfälle, zu denen auch die Person des Autors Oppliger gehört: «Der zweite Glücksfall also, der hier erwähnt sein soll, ist die beeindruckende, unermüdliche Schaffenskraft von Vincenz Oppliger. Sie gründet, wie er selbst sagt, auf seinem Interesse an Geschichte im Allgemeinen und an der Geschichte seines Dorfes Merligen im Besonderen, die ihn beide seit seiner Kindheit begeistern.» Oppligers Interesse an der Geschichte generell, aber vor allem auch seines Heimatdorfes begann früh. «Mein Grossvater erzählte mir viel über unsere Vorfahren und die Sage von der verschütteten Stadt Roll. Er übergab mir auch alte Familiendokumente, die er in einer Kiste aufbewahrt hatte», schreibt er in der Einleitung seines Buches. Trotz zahlreichen Engagements in Beruf und diversen Ämtern (siehe Kasten) hat er es geschafft, über Jahre immer mehr Material über Merligen zusammenzutragen. Ein Glücksfall half mit, dass daraus am Ende ein fundiertes Buch werden konnte: «Mein schon recht umfangreiches Archiv wurde noch erweitert, als mir der alt Dorfschullehrer und alt Grossrat Hugo Hofer noch die bereits angesengten Dorfgemeindeprotokollbücher, die er beim Abbruch des alten Schulhauses gerade noch aus dem Brandhaufen retten konnte, übergab. Die noch in alter deutscher Kurrentschrift abgefassten Protokolle nahm ich in Verwahrung und machte mich nach meiner Pensionierung daran, sie zu transkribieren.»


Bedeutende Bauwerke

So kam nach jahrelanger akribischer Arbeit ein Manuskript zustande, welches in diesem Jahr letztendlich auch auf 168 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen versehen, zwischen zwei Buchdeckeln gedruckt wurde. Schon das Coverbild – eine eindrückliche Luftaufnahme des auf einem Delta gelegenen Dorfes Merligen – zeigt, weshalb das Dorf speziell ist. Doch noch anderes macht das Dorf einzigartig. Das milde Klima, welches den früher stark präsenten Rebbau begünstigt hatte, wurde bereits genannt. Das Buch zeigt aber noch viele weitere spannende Facetten auf. So zum Beispiel seine Gebäude. Merligen hat seit 1937 eine eigene Dorfkirche. Viel älter ist aber das am Ortsrand in Richtung Gunten gelegene, im Volksmund auch «Schloss» genannte Gut Ralligen. «Der ‹Rallig-Thurm›, wie er auch genannt wurde, war wohl im Ursprung ein fest gemauertes Haus, das einem Edlen gehörte und von den Augustinermönchen des Klosters Interlaken als Herbsthaus mit Trüel und Keller ausgebaut wurde», schreibt Oppliger dazu. Es würde zu weit führen, über die spannende Geschichte dieses Gebäudes, das sich unter anderem auch im Eigentum von Berner Patriziern befand, ausführlich zu berichten. Nur so viel sei erwähnt: Es gab sogar ein weit verbreitetes «Ralliger Kochbuch», das in der einst dort angesiedelten Haushaltungsschule entstanden ist.

Naturkatastrophen

Einschneidend für Merligen waren aber auch Naturkatastrophen, wie Oppliger beschreibt: «Am 16. Juli 1856 verwüstete ein Unwetter grosse Teile des Oberlands und liess in Merligen die Bäche über die Ufer treten. Ganze Häuser wurden weggeschwemmt und 15 Familien wurden dadurch obdachlos.» Doch noch verheerender war der Dorfbrand vom 11. April 1898. Oppliger beschreibt auch hier detailliert den Hergang: «Ausgelöst durch einen Funken aus der Tabakspfeife von Ulrich Spieler, der in der Heubühne in seinem Haus im Oberdorf beschäftigt war, breitete sich das ausgebrochene Feuer durch den ‹Heiterluft› (Talwind aus dem Justistal) noch angefacht gegen das Innerdorf aus. Brennende Dachschindeln flogen durch die Luft und entzündeten die eng aneinander stehenden Häuser.»

Diese beiden Naturkatastrophen – beziehungsweise die aus Sicht der Merliger zögerliche Rolle der Gemeinde Sigriswil beim Wiederaufbau – führten nicht zum ersten Mal in der Geschichte zu ernsthaften Diskussionen darüber, ob eine eigene Gemeinde gegründet werden sollte. Namentlich die zum Schutz der Siedlung notwendigen Verbauungen von Grön- und Gerbebach waren kostenintensiv und wurden letztendlich auch mit Bundessubventionen bewältigt.


Tourismus

Über Merligen kann man nicht schreiben, ohne den Tourismus zu erwähnen. Auch hier hat sich Vincenz Oppliger schon früh verdient gemacht, indem er Chroniken zum 75- und zum 100-Jahr-Jubiläum der örtlichen Tourismusorganisationen verfasste. Der sogenannte «Fremdenverkehr» nahm bezeichnenderweise zunächst vom See her Aufschwung. Eine wichtige Rolle spielte dabei die 1835 von den Gebrüdern Knechtenhofer in Thun begründete Dampfschifffahrt. Doch bereits zuvor kamen Besucher ins Dorf am Thunersee, darunter gar ein Dichterfürst: 1779 legte Johann Wolfgang von Goethe auf seiner Reise durch die Schweiz mit Herzog Karl August von Sachsen-Weimar im damaligen «Bären», der noch im gleichen Jahr in «Wirtschaft zum Löwen» umbenannt wurde, zu einem Imbiss an. Während Goethes Stippvisite keine sichtbaren Spuren hinterliess, sind die Folgen des Zweiten Weltkriegs bis heute sichtbar. Das rechte Thunerseeufer lag genau am Rand des «réduit national», mit dem General Henri Guisan die deutsche Wehrmacht aufhalten wollte. In Merligen zeugen noch die Panzersperren mit dem Bunker und die Strassensperreinrichtung in der Beatenbucht von dieser gefahrvollen Zeit.

Merligen heute

Oppliger kommt am Ende seiner Chronik in die Gegenwart. Er benennt dabei klar auch die Probleme und Herausforderungen des 900-Seelen-Dorfes: «Merligen ist heute weitgehend zum Feriendorf und Alterssitz geworden. Arbeitsplätze ausserhalb der Touris­musbranche sind Mangelware. Die Merliger arbeiten auswärts, in der Regel Richtung Thun-Bern. Im Ort selbst gibt es nur noch wenige Arbeitgeber.» Doch er benennt auch die erfreulichen Seiten: «Nebst Selbstständigerwerbenden in verschiedenen Berufen gibt es noch Arbeitsplätze im Lebensmittelladen mit Bäckerei, im Kehricht- und Transportunternehmen, in der Autogarage, im Elektrogeschäft, im Haushaltap­parategeschäft und im Pflege- und Hotelbereich.»

Vincenz Oppliger

Vincenz Oppliger (*1944) wuchs im Dorf Merligen auf, besuchte dort die Primarschule und dann die Sekundarschule in Sigriswil. Nach einer Berufslehre und dem Diplomabschluss als Maler und Schriftenmaler studierte er Berufspädagogik und später als Nachdiplom auch Architekturgeschichte, Kunst und Spanisch. Der langjährige Berufsschullehrer engagierte sich politisch als Gemeinderat von Sigriswil und als Dorfpräsident von Merligen. Er ist verheiratet mit Dora Oppliger, geborene Zumbach, und hat zwei Kinder, zwei Enkelkinder und einen Urenkel. Durch die Politik kam er noch enger in Berührung mit der Gemeinde- und Dorfgeschichte. Als Dorfhistoriker verfasste er die Chroniken zum 75- und zum 100-Jahr-Jubiläum von Merligen Tourismus und zum 100-Jahr-Jubiläum der Wasserversorgungsgenossenschaft. Dadurch und durch die beim Abbruch des alten Schulhauses gerade noch geretteten Dorfgemeindeprotokollbücher kam er auf die Idee, diese Berichte in einen grösseren Zusammenhang zu stellen und als Dorfchronik streiflichtartig zu beleuchten.










Buchtipp

Merligen – Streiflichter aus der Geschichte

Autor: Vincenz Oppliger
168 Seiten, 23 × 27 cm, gebunden, Hardcover
Mit 160 Abbildungen.
ISBN 978-3-03818-412-6 CHF 39.– | EUR 39.– 

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