Das Steuerrad selbst in die  Hand nehmen

Das Steuerrad selbst in die Hand nehmen

Das Steuerrad selbst in die Hand nehmen

Wer mit dem Gedanken spielt, das Bootfahren zu erlernen, ist bei Karin Schäfer an der richtigen Adresse. Die 54-jährige Fahrlehrerin mit eidgenössischem Fachausweis bietet Fahrstunden auf dem Thunersee an – und das bei jedem Wetter.

Text: David Heinen  |  Fotos: zvg 

Der Thunersee lässt sich auf viele Weisen erfahren: Gemütlich dem Ufer entlang spazieren, seinen Anblick von einem der zahlreichen Wanderwege aus geniessen oder in ihm ein erfrischendes Bad nehmen – oder gleich selbst mit dem Motorboot über den See tuckern! Für das Erlernen des Bootfahrens bieten zahlreiche Fahrlehrer und Fahrlehrerinnen rund um den Thunersee ihre Dienste an. Eine von ihnen ist Karin Schäfer. Sie ist eine von schweizweit nur neun Frauen, die den eidgenössischen Fachausweis als Bootsfahrlehrerinnen besitzen. Damit hat Karin Schäfer ihren Traumberuf gefunden: «Für mich ist das der schönste Arbeitsplatz, den man überhaupt haben kann. Ich bin täglich draussen in der Natur und kann die Ruhe auf dem Wasser und die Naturgewalten hautnah erleben. Gleichzeitig habe ich die Sicherheit, dass ich mich in die Kabine zurückziehen kann. Die Ruhe auf dem See, die frische Luft und die Natur – das ist wunderbar.»

Von der Lernenden zur Lehrenden

Das Bootfahren spielte lange Zeit keine Rolle im Leben von Karin Schäfer – kein Wunder, sie ist schliesslich in Burgdorf und somit nicht grade direkt am Wasser aufgewachsen. An der Uni Bern hat sie sich zur Turn- und Sportlehrerin ausbilden lassen. Danach unterrichtete sie an verschiedenen Schulen Sport und erteilt bis heute noch Schwimmlektionen. Lange Zeit führte sie daneben die Volleyball Talent School in Bern und bildete sich zur Volleyballtrainerin von Swiss Olympic weiter. Vor zehn Jahren zog Karin Schäfer in die Thunerseeregion, und durch ihren Partner kam sie erstmals in Kontakt mit dem Bootfahren. Ausgerechnet auf einer zehn Meter langen Motorjacht mit Schlafkabine, Küche und Bad. Auf diesem Boot machte sie die ersten Fahrerfahrungen, denn ab 18 Jahren darf man auch ohne Führerausweis ein Boot fahren, solange jemand auf dem Boot den Schiffsführerausweis besitzt. Auch Karin Schäfer war lange ohne Schein unterwegs, doch irgendwann wollte sie das Boot auch allein führen. «So bin ich vor fünf Jahren auf Andreas Gehri und die Gehri Bootsschule gestossen. Nachdem ich meine Prüfung bestanden hatte, fragte mich Andreas, ob ich mir vorstellen könnte, ihn etwas zu entlasten und Fahrstunden zu geben. Er wusste, dass ich Sportlehrerin bin und bereits eine didaktische Ausbildung habe.» 

«Für mich ist das der schönste Arbeitsplatz, den man überhaupt haben kann.»

Nur weil man den Bootsführerschein hat, ist man noch nicht qualifiziert, anderen das Fahren auch seriös beizubringen. «Es gibt viele Fahrlehrer und Fahrlehrerinnen, die selbst nur diese Prüfung gemacht haben und seither unterrichten. Doch wenn man jemandem das Bootfahren beibringen will, muss man selbst um einiges sicherer sein und mehr Erfahrung haben.» Deswegen hat Karin Schäfer unzählige Stunden allein und zusammen mit Andreas Gehri geübt. Bei jedem Wetter fuhren sie auf den See, damit sie lernte, sich in jeder Situation zurechtzufinden. «Vor allem habe ich gelernt, die Anweisungen präzis und früh genug zu geben, damit den Lernenden ausreichend Zeit bleibt, um das Manöver korrekt auszuführen.» Zusätzlich zu diesem privaten Unterricht hat Karin Schäfer in den letzten beiden Jahren noch die offizielle Ausbildung beim Fahrlehrerverband VSBS absolviert und kann nun den eidgenössischen Fachausweis vorweisen.

Ob Wind, Regen oder Sonnenschein

Seit 1994 führt Andreas Gehri die Gehri Bootsschule. Im Bootshafen Güetital bei Faulensee liegen zwei Boote für den Unterricht: eine Loon und eine Parker Pilothouse. Die Loon hat er nach eigenen Plänen bauen lassen, weil er das ideale Fahrschulboot auf dem Markt nicht gefunden hatte. Die Parker Pilothouse ist ein ehemaliges Fischerboot, das vor zwei Jahren von Andreas Gehri für den Unterricht angepasst wurde. Nach Karin Schäfer muss ein Boot einige Anforderungen erfüllen, um für den Unterricht geeignet zu sein: «Uns ist sehr wichtig, dass es eine Radsteuerung hat und keine Pinnensteuerung. Wenn man später mal ein grosses Boot steuern will, ist es viel sinnvoller, wenn man von Anfang an die Manöver mit der Radsteuerung lernt. Weiter ist wichtig, dass es eine Kabine hat, die geheizt werden kann und über einen Scheibenwischer verfügt, damit man auch im Winter fahren kann. So können wir das ganze Jahr über unterrichten, was mit offenen Booten nicht möglich ist.»  Bei der Ausbildung ist zentral, dass die Lernenden gut mit dem Boot umgehen können. Egal ob Nebel, Wind oder Sonnenschein, sie müssen das Boot immer sicher steuern können. Doch auch der Spass darf nicht zu kurz kommen, schliesslich ist es für die Fahrlernenden eine Freizeitbeschäftigung. Die grösste Befriedigung ist dabei für Karin Schäfer, wenn die Lernenden Erfolgserlebnisse verbuchen können. Wenn sie beispielsweise bei rauem Wetter draussen auf dem See ein Rettungsmanöver üben: Es hat Schaumkronen auf den Wellen, der Wind peitscht gegen die Scheiben, und den Lernenden gelingt es, den Rettungsring sicher wieder an Bord zu bringen. Auf dem See ereignen sich auch immer wieder kuriose Szenen: «Wir mussten schon mitten auf dem See zwei Stand-up-Paddler retten. Sie hatten so viel Gegenwind, dass sie nicht mehr vorwärts kamen. Sie waren sehr müde und verzweifelt. Wir haben sie an Bord genommen und sicher an Land zurückgebracht.»


Auf dem See – und zur See

Karin Schäfer und Andreas Gehri bieten Fahrstunden zum Erreichen des sogenannten Schiffsführerausweises, Kategorie A, an. Damit dürfen Schiffe mit Maschinenantrieb über 8 PS gesteuert werden. Wer den Ausweis erlangen will, muss zuerst beim Schifffahrtsamt ein Gesuch stellen. Dazu gehört ein medizinisches Zeugnis inklusive Sehtest. Nun könnte man bereits mit den Fahrstunden starten, doch Karin Schäfer empfiehlt, sich zuerst der Theorie zu widmen. Die theoretische Prüfung ähnelt der fürs Autofahren: Insgesamt 540 Multiple-Choice-Fragen müssen gelernt werden. Bei der Prüfung werden dann 60 abgefragt, wobei man 15 Fehlerpunkte haben darf. Erst wenn die theoretische bestanden ist, kann man sich für die praktische Prüfung anmelden. Die Gehri Bootsschule bietet von Einzel- bis zu Gruppenunterricht verschiedene Module an, um auf die praktische Prüfung vorzubereiten. «Wenn jemand alle Prüfungsmanöver ohne unsere Hilfe selbstständig fahren kann, ist er oder sie reif für die Prüfung, und wir legen gemeinsam den Prüfungstermin fest. Im Durchschnitt braucht man 15 bis 25 Stunden, um bereit zu sein. Es geht uns aber nicht darum, die Leute möglichst schnell an die Prüfung zu schicken und falsche Versprechungen zu geben, sondern unser Ziel ist es, dass sich die Leute beim Fahren sicher fühlen.» Für alle, denen der See nicht ausreicht, bieten sie neu den Sportbootführerschein See an, der auch unter dem Namen Küstenschein bekannt ist. Damit darf man auf dem Meer bis zu drei Seemeilen, also gut fünf Kilometer von der Küste entfernt fahren. Es handelt sich um einen deutschen Schein, der international gültig ist. Die praktische Prüfung absolviert man als Crew zu dritt oder zu viert, und es kommen extra deutsche Experten zum Thunersee, um die Prüfung abzunehmen. Auch für diesen Schein gibt es eine entsprechende Theorieprüfung. Ähnlich wie beim Hochseeschein müssen auch einige Navigationsaufgaben gelöst werden. Neben dem praktischen Unterricht bieten Karin Schäfer und Andreas Gehri hier auch eine Theorieausbildung an und helfen bei den Navigationsaufgaben. 

Doch für wen ist eigentlich das Bootfahren geeignet? «Im Prinzip können alle Personen ab 18 Jahren, welche die gesundheitlichen Anforderungen erfüllen, das Bootfahren erlernen. Wir haben Lernende in allen Altersstufen. Unsere älteste Schülerin war 75 Jahre alt – und hat die Prüfung mit Bravour bestanden!» Es gibt also keine Ausreden mehr: Wer schon immer davon geträumt hat, selbst Boot zu fahren, kann diesen Traum nun wahr werden lassen.

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